Kolumne German Angst: Im Fahrwasser der großen Politik

Die Enthüllungen in Mecklenburg-Vorpommern zeigen erneut: Niemand weiß, wie weit der rechte Sumpf in den Staat hineinreicht. Oder andersrum.

Porträt Beate Zschäpe

Wie weit sind Behörden, Polizei und NSU verschachtelt? Die Aufklärung ist erbarmungslos gescheitert Foto: reuters

Erst eine gute Woche ist seit dem Jahrestag des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen vergangen. Wenig wird gesprochen über das Ineinandergreifen von Untätigkeit von Polizei, Politik und einem rassistischen Mob, der sich davon eingeladen fühlte – und im Nachgang noch das geschenkt bekam, was er mit Molotowcocktails durchsetzen wollte: ein Deutschland vor allem für Deutsche, wie es der „Asylkompromiss“ im Nachhinein festschrieb.

Und schon sind die 25 Jahre später errichteten Gedenk-Stelen beschädigt. Zweieinhalb Jahrzehnte – und einige Wenige wollen nicht akzeptieren, dass an die gemeinschaftliche Hatz erinnert wird. Aber sind es wirklich nur einige Wenige? Letztes Jahr holte die AfD bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, Wahlkreis Rostock, 21,4 Prozent. Aber es geht gar nicht um Rostock. Oder Mecklenburg-Vorpommern. Jedenfalls nicht nur.

Die neue Mauer

In Deutschland sind wir seither kaum einen Schritt weiter. Selbst nach der – vermutlich nur teilweisen – Aufdeckung des Nazi-Terrornetzwerks NSU. Es geht immer noch um Obergrenzen und ‚Arbeit zuerst für Deutsche‘ in allen möglichen Gewändern, Aussetzung des Familiennachzugs – mittlerweile eine Dauereinrichtung –, die legale Zuwanderung ist einem politischen Hauruck verunmöglicht worden und die Frage ist bloß noch, welcher schmutzige Deal Europa luftdichter abschließt: Türkei oder Libyen?

Wie kommod, wenn die Mauer fernab von Europa verläuft. Ganz nach dem Vorbild der Aushebelung des Asylrechts 1993 ist dies eine Belohnung für all die Rechten und militanten Rassisten, die gerade laut sind. Und aktiv. Und so ganz ohne Gegenwind im Fahrwasser der großen Politik segeln.

Die Rechten sind längst nicht mehr bloß APO oder Kleinstpartei. Sie sind der „Reichsbürger“, der wegen Mordes vor Gericht steht. Die Unbekannten, die am Samstag auf die Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Dahlem schießen. Der Hamburger Neonazi mit seinem Waffenarsenal. In den Parlamenten der (nun Ex-)Fraktions-Vize der AfD in Mecklenburg-Vorpommern, der seine Mordfantasien in konkrete Worte fasst.

Bündnis mit der Polizei?

Und Hand in Hand mit der politischen Mitte wie der CDU, die in Sachsen-Anhalt mit der AfD gegen Links klüngelt. Bautzens Vize-Landrat (CDU), der sich mit der NPD verbrüdert. Oder – auf einer anderen Ebene – zwei mutmaßliche Rechtsterroristen mit Mordlisten, unter ihnen ein Polizist, deren Räume in Mecklenburg-Vorpommern von Bundesbeamten durchsucht wurden, aus Angst, das Bündnis mit der Polizei könnte tiefer gehen.

Wer weiß schon, wie weit der rechte Sumpf in den Staat hineinreicht. Oder andersrum. Während all dies in nur wenigen Wochen passierte, hat die Aufklärung des NSU-Komplexes und seiner Netzwerke kaum begonnen. Mecklenburg-Vorpommern zeigt noch einmal: Niemand weiß, wie verzweigt das rechte Netz ist.

Nicht, weil hier eine Verschwörung im Gange wäre, sondern weil es niemand wissen will. So erbarmungslos, wie Deutschland daran gescheitert ist, den größten politischen und Geheimdienstskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte, die Verschachtelung von Behörden, Polizei und NSU-Naziterrorismus aufzuklären, so brutal ist die stoische Gelassenheit im Umgang mit Rechtsradikalen auf allen Ebenen.

Das eine nämlich sind die Rechten, die über die Parlamente in den Staat einziehen. Das andere ist, dass sie offensichtlich längst drin waren.

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Am 22. August 1992 begannen die tagelangen Angriffe auf das Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen. Für die taz berichtete damals die spätere Chefredakteurin Bascha Mika in drei Reportagen von vor Ort. Im ersten Text beschrieb sie, wie Tausende AnwohnerInnen ihre Leute anfeuerten: „Skins, haltet durch!“ Im Bericht vom zweiten Tag erzählt sie, dass sich die Polizei, kurz bevor der erste Brandsatz flog, zum Schichtwechsel zurückzog. In der dritten Reportage schrieb Bascha Mika über die hunderte Rechte, die immer noch zu den mittlerweile leeren Plattenbauten ziehen.

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