Debatte Merkels Rolle für die Frauen: Zwischen den Alphatieren

Man muss Merkel nicht wählen, aber bewundern. Die Kanzlerin ist einer der größten Triumphe unserer Zeit. Seit 2005 ist Macht nicht mehr männlich.

Angela Merkel steht, mit gefalteten Händen und im schwarzen Jackett, vor einem taupe-farbenen Kunstwerk

Farblos, unaufgeregt? Genau das gefällt uns an ihr. Sie vermittelt: Jeder kann es schaffen Foto: ap

Meine Tochter ist vier Tage vor der Bundestagswahl zur Welt gekommen, die Angela Merkel zur Kanzlerin machte. Ich hatte im FreundInnenkreis gerne damit gedroht, das Kind mit dem Namen Angie im Geburtsregister einzutragen. Ernst genommen hat das selbstredend niemand, denn vor zwölf Jahren hätten die meisten, die ich kannte, nicht einmal mit zugehaltener Nase die CDU gewählt, ganz egal wer als SpitzendkandidatIn angetreten wäre.

Heute bin ich mir nicht mehr so sicher. Öffentlich zugeben würden die meisten aus dem linksliberalen Spektrum es wohl nicht, aber inzwischen hört man doch verblüffend oft: „Merkel find ich richtig gut!“ Oder sogar im Ich-vertraue-Dir-ein-Geheimnis-an-Ton: „Ich überlege ernsthaft, Merkel zu wählen.“ Dass nach Umfragen des ARD-Deutschlandtrends über 60 Prozent der Grünen-Anhänger sich bei einer Direktwahl für Merkel entscheiden würden, sagt alles.

Meine Tochter ist lange der festen Überzeugung gewesen, dass in Deutschland Frauen Kanzlerinnen werden und bestimmen können, während Männern das Amt des Präsidenten vorbehalten ist, wo man viel winken muss. Ihre Generation ist mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass Mädchen alles werden können – und zwar nicht nur in der Theorie wie in anderen Ländern, sondern im richtigen Leben und auf der echten Regierungsbank.

Für Deutschland – und darüber hinaus – ist diese Tatsache so bedeutend wie der erste schwarze Präsident für die USA. Auch Barack Obama hat die Situation der Schwarzen nicht grundsätzlich oder gar entscheidend verbessert. Aber allein die Tatsache, dass er als Schwarzer Präsident des mächtigsten Landes der Welt werden konnte, war eine historische Zäsur.

Merkels Karriere ist erstaunlicher als die Obamas

Mit Merkel ist es ähnlich. Wenn wir uns daran erinnern, dass Frauen gerade mal erst 35 Jahre wählen durften, als Merkel geboren wurde. Oder dass frau bis 1977 in Westdeutschland noch die Erlaubnis des Ehemannes vorzulegen hatte, um arbeiten gehen zu dürfen, dann kann man gar nicht überschätzen, wie bahnbrechend eine Frau im Kanzleramt ist.

Doch Merkels Karriere ist viel erstaunlicher als die Obamas. Der US-Amerikaner ist in jeder Hinsicht ein Ausnahmeerscheinung; ein Politiker mit Visionen, eine charismatische Persönlichkeit und ein brillanter Redner, der Menschen in seinen Bann zieht, selbst wenn er nur das Telefonbuch vorliest.

Die Kanzlerin ist ein Vorbild für junge Frauen. Aber ist sie auch unser Schicksal? Darüber wollen wir mit Diana Kinnert (CDU) und Julia Schramm (Die Linke) diskutieren.

Seien Sie mit dabei: am 20.9. um 19 Uhr im taz-Café, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin.

Eintritt frei

Merkel dagegen ist das genaue Gegenteil. Beim Thema Visionen hält sie es mit Helmut Schmidt, der fand, wer Visionen hat, solle zum Arzt gehen. Sie zieht niemanden in den Bann – gerade das ist das Faszinierende und Rätselhafte an ihr. Gerade neulich erst ist es wieder passiert. Mitten im ZDF-Bürgertalk bin ich sanft eingeschlummert, in der wohligen Gewissheit, dass ich wohl nicht viel verpassen werde. Wie hat Merkel es nur geschafft, vier SPD-Kanzlerkandidaten zur Strecke zu bringen?

Sie ist in vieler Hinsicht durchschnittlich, normal, manchmal sogar umständlich und unbeholfen. Allein schon deshalb strahlt sie die Botschaft aus: Jede könnte mit etwas Fleiß und Ehrgeiz erreichen, was sie erreicht hat. Man braucht nicht mal Stöckelschuhe, einen guten Friseur oder körperliche Perfektion dazu. Allein das ist mehr wert als all die Frauen- und Mädchentage zusammen. Merkel ist deshalb einer der größten feministischen Errungenschaften unserer Zeit. Seit 2005 ist die Macht nicht mehr männlich.

Sie vertritt natürlich nicht die Frauenpolitik des linksliberalen Spektrums. Ich könnte dazu höchstpersönlich ein langes Klagelied anstimmen; allein das Steuerrecht, das kinderlose Ehepaare besser stellt als mich als Alleinerziehende, könnte mich in eine Wutbürgerin verwandeln. Aber andererseits: Was haben denn all die Quoten, Gleichstellungsbeauftragten und feministischen Ansprüche in den Wahlprogrammen der anderen bewirkt? Die SPD hat nicht mal eine Außenministerin zustande gebracht (Merkel hat immerhin das Verteidigungsministerium weiblich besetzt). Wenn es ernst wird, dann wird beispielsweise die SPD-Generalsekretärin schnell ins Familienministerium abgeschoben, das so mancher bedeutende Sozi ja bekanntlich als „Gedöns“ empfindet.

Jede kann erreichen, was sie erreicht hat. Man braucht nicht mal Stöckelschuhe, einen guten Friseur oder körperliche Perfektion dazu.

Und bei den Grünen? Natürlich sind dort viele Frauen in Führungspositionen, muss ja, die Quote halt. Doch es gibt informelle Hierarchien, und die sehen ganz anders aus. Die Stars der Grünen sind fast alle männlich: Kretschmann, Habeck, Özdemir, Trittin und natürlich Fischer, der Erfinder testosterongetränkter Überheblichkeit.

Es gibt dieses eine Foto, das mir im Zusammenhang mit rot-grüner Frauenpolitik oft durch den Kopf geht: Schröder, Fischer und Lafontaine mit Sektglas und in fröhlicher Siegerpose. Oder auch jene, auf denen Schröder mit Putin herumkumpelt. Männerseilschaften in Reinkultur. Dazu fällt einem nicht viel mehr ein als: Rot-Grün hatte frau sich anders vorgestellt.

Merkel produziert andere Bilder. Ich gebe gerne zu, dass es mich ungemein freut und auch ein wenig stolz macht, dass die frauenverachtenden Bullys der internationalen Politik wie Putin, Erdoğan und Trump sich mit einer wie ihr abgeben müssen. Oder dass all diese CDU/CSU-Alphatiere – von Schäuble bis Seehofer – sich Merkel unterordnen müssen. Herrlich im wahrsten Sinne des Wortes.

Auch Männern gefällt, dass Merkel es schon richten wird

Dabei imitiert die Kanzlerin nicht einmal einen maskulinen Führungsstil. Sie hat ihre ganz eigene, sehr unmännliche Art zu führen. Die mag für die Medien oft etwas langweilig und unentschlossen wirken. Als JournalistIn wünscht man sich nun mal mehr Aufregung und Action in der Politik. Aber offenbar ist er wirkungsvoll. Den meisten Deutschen – auch den Männern ­– gefällt es, wenn sie sich beruhigt zurücklehnen können, weil Merkel ihnen vermittelt, dass sie es schon richten wird.

Meine Tochter sieht das genauso. Den Namen des SPD-Kanzlerkandidaten kann oder will sie sich nicht merken. Sie hat mir in ihrem üblichen frühpubertären Befehlston mitgeteilt, dass ich Merkel und die Grünen zu wählen habe. Das umzusetzen, wird eine echte Herausforderung.

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