Gespräch mit Slime-Gitarrist Mevs: „Das hat einen Knopf gedrückt“

Slime-Gitarrist Christian Mevs über das neue Album „Hier und Jetzt“, Nächte auf der Polizeiwache als Punk und die Zeit, als Altnazis noch in Führungspositionen waren.

Ein Mann mit Gitarre, Christian Mevs

Christian Mevs in seinem Studio in Berlin-Lichtenberg Foto: David Oliveira

taz.am wochenende: Fast die Hälfte der 16 Stücke auf dem neuen Album sind Antifa-Songs: „Sie wollen wieder schießen dürfen“, „Patrioten“, „Die Stummen“, „Brandstifter“, „Banalität des Bösen“, „Die Geschichte des Andi T“. Es geht gegen Dunkeldeutschland und seine Mitläufer.

Christian Mevs: Viele Songs sind eindeutig antifaschistisch. Was momentan passiert, betrifft weniger die Politik, es geht um ein Lebensgefühl hierzulande und anderswo. Es gibt keine Sicherheit! Da zitieren wir Tobias Gruben, einen leider verstorbener Hamburger Künstler von der Band Die Erde. Im Zusammenhang mit der Globalisierung wird das Bedürfnis nach Sicherheit immer lauter. Man kann sich das zunutze machen und einfache Antworten geben, wie die AfD das versucht, um damit Macht zu gewinnen, aber nicht, um was gegen Missstände zu unternehmen. Es stößt eine allgemeine Entwicklung an.

So geballt antifaschistisch klang Slime noch nie.

Es gibt Songtexte, die deutlich antifaschistisch sind. Auch wenn die Welt nicht mehr so schwarz-weiß ist, beziehen wir in alter Slime-Manier trotzdem klar Stellung. Der Song „Patrioten“ hat eine ironische Note, das konnten wir früher nicht.

„Ihr seid gar nix, außer deutsch“, heißt es in dem Song „Patrioten“. Was sind Slime jenseits der Staatsangehörigkeit?

Wir sind Menschen. Ich persönlich hatte mit Begriffen wie Heimat und Zuhause immer größte Schwierigkeiten. Das hat mit meinen Eltern zu tun. Mit 20 sind viele meiner Bekannten weggegangen, später aber zurückgekehrt. Diesen Bezug hatte ich nie, ich fühle mich überall wohl.

Christian Mevs: Geboren 1962, spielt seit 1980 Gitarre bei Slime. Seither auch diverse andere Projekte wie George&Martha, Angeschissen und Ostinato. Führt ein Studio in Berlin-Lichtenberg.

Slime: Am Freitag erscheint das neue Album „Hier und Jetzt“ (People like you/Sony) mit den ersten neuen Songs seit 1994. Ab 29. 9. auf Tour: www.slime.de

Slime kommen aus dem Norden von Hamburg.

Bis auf mich. Ich komme aus dem Hamburger Osten.

Wie war das Ende der 70er, als Sie das Ramones-Debütalbum mitbekommen haben?

Bei mir war es „Raw Power“ von Iggy& the Stooges, damit bin ich aus dem Elternhaus ausgebrochen. Die Politisierung kam später. Es regte sich Widerstand, gegen das, was in Westdeutschland passierte. Im Kalten Krieg lebten die Menschen unter ständiger Angst, zwischen der Sowjetunion und den USA zerrieben zu werden. Atomkraft gab einem das Gefühl, dass man auf einem Pulverfass sitzt, das jederzeit in die Luft fliegt. Dann gab es Nachwirkungen des Wirtschaftswunders: Was die Gesellschaft unternahm, um die fehlende Aufarbeitung des Faschismus im Zaum zu halten, wurden immer größer.

Und die Stooges?

„Raw Power“ von den Stooges lief auf einer Schulparty. Die Musik hat einen Knopf gedrückt. Damit haben ich gemerkt, obwohl ich nur einen Millimeter von der Spur abgewichen bin, kriege ich große Schwierigkeiten. Das war irgendwie auch super.

Die Punkszene Hamburg war die am offensten linksradikal agierende Punkszene in Westdeutschland.

Ob die erste Generation mit Bands wie Big Balls and the Great White Idiot politisch war, weiß ich gar nicht mehr. Die Balls waren meine Vorbilder. Sie hatten in den Siebzigern in Poppenbüttel ein großes Haus mit Garten, wo sie ihren Kram gemacht haben. Die sind nicht wieder zurück zu Mutti, wie die proletarischen Jugendlichen aus den Vororten, zu denen ich auch gehörte, die haben letztendlich Brücken hinter sich abgebrochen, das hat mich beeindruckt.

Und das Politische?

Das Politische gab es vorher schon bei den Scherben. Das war nicht direkt Punkrock, aber klar linksextrem.

Agitprop.

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Genau! Da ging es um Hausbesetzungen. In Berlin wurde etwas Wirklichkeit von den Vi­sio­nen, und die Scherben waren dabei. Das hallte zu uns. Bei diesem Ausbrechen aus der bundesdeutschen Gesellschaft waren wir in Hamburg mit die ersten Punks. Songs wie „Bullenschweine“ und „Polizei, SA, SS“ waren eine Reaktion auf das, was man erlebt hat.

Nennen Sie bitte ein Beispiel.

Die Hamburger Punkszene traf sich im Karoviertel, da gab es einen Abend, da wollten wir zu einem Konzert der britischen Band The Members, und die Polizei hat uns vorher einkassiert. Ich wurde die Nacht über im Präsidium festgehalten und dann nach Bergedorf gebracht und morgens um 4 rausgelassen. Das war bestens dazu angetan, eine Antihaltung aufzubauen.

Was war befreiend an Punk?

Die Freiheit lag klar in der Musik. Es gab Bands, denen man angehört hat, dass sie mit drei Akkorden alles machen. Bald kamen mir die Regeln der Punkszene so vor wie die Ordnung, vor der ich geflohen war. Wie Dirk von Lowtzow es mal ausgedrückt hat, hatte jede Handbewegung einen Sinn. Mir wurde das bald zu spießig. Deswegen habe ich mir 1980 wieder die Haare wachsen lassen.

Als es mit Slime losging, lief der Bundestagswahlkampf von Schmidt gegen Strauß.

Das war Treibstoff, auch Altnazis saßen noch in Führungspositionen, man musste nicht weit bohren. Außerdem das Vasallentum mit den USA, als Handlanger der Aufrüstung. …

Antiamerikanismus ist das, was ich am wenigsten bei Slime nachvollziehen kann. Die USA sind ein widersprüchliches Land, auch kulturell gesehen, siehe The Stooges. Auf dem neuen Album ist es der Song „Ernie&Bert in Guantánamo“, da kommt Obama vor und Trump. Müsste man nicht unterscheiden zwischen den beiden?

Sicher muss man unterscheiden, aber das hat nichts mit den USA zu tun. Das ist lange Zeit eine starke Wirtschaftsmacht gewesen, an der kommt man nicht vorbei. Das hat mit Antiamerikanismus nichts zu tun.

Yankees raus“ hieß Ihr zweites Album.

Richtig, aber das bezieht sich einfach auf die Situation damals.

Müsste man nicht heute eine andere Position haben, wenn Rechtsradikale mit antiamerikanischen Verschwörungstheorien spazieren gehen?

Probleme benennen und Finger in die Wunde legen, ist das eine, wenn andere sich das gleiche Thema ausgesucht haben, kann man letztendlich nichts machen. Man muss das Ganze sehen, von wo aus wird gefragt und wer fragt. Ich lass mir doch meine Position nicht wegnehmen.

Manche Ihrer neuen Songs klingen wie Frei.Wild. Auch wenn das Rebellische bei denen verdruckster rüberkommt. Müsste sich Slime nicht klarer von Frei.Wild absetzen?

Das ist mir scheißegal. Ich lass mir von niemand die Riffs wegnehmen. Wir waren kürzlich in Jamel, ein Ort, wo sich sogenannte völkische Siedlungen konstituieren. Die betreiben auch ökologische Landwirtschaft. Soll ich deswegen sagen, ich esse keinen Bioapfel mehr? Die Rechten machen sich seit Jahren Dinge der linken Szene zunutze, ein Problem, worauf man viel genauer schauen muss.

Die Gefahr von rechts ist heute anders als 1980. Müsste Slime nicht Frieden schließen mit staatlichen Institutionen, die die Demokratie stärken?

Nö, für mich wäre ein sinnvoller Staat derjenige, der Rechtsradikalismus gar nicht erst zulässt. Eine Bildungsoffensive gegen rechts könnte ein Staat stemmen, aber er setzt nur Placebo-Pillen dagegen ein.

Linkssein heißt ja, unversöhnt sein mit herrschenden Zuständen. Wäre es das Ende von Slime, wenn die Band einverstanden wäre?

Die Situation gab’s bisher nicht. Der Song „Unsere Lieder“ thematisiert das. Tatsache war, dass wir 2010 auf Tour gegangen sind und das jüngere Pu­bli­kum uns und unsere alten Inhalte schätzt. Das berührt auch das, worüber wir vorhin gesprochen haben. Der Staat hat sich eher zum Schlechteren entwickelt, mir kommt es so vor, als geht es zurück in den Sumpf.

Die AfD hat vergeblich versucht, den Slime-Auftritt beim Hamburger Hafengeburtstag im Mai zu verhindern.

War ’ne lustige Geschichte, weil die CDU für uns stimmen musste.

Dann hat sich ja doch was geändert!

Ja, natürlich. Totaler Blödsinn.

Solange die FDP nicht für Slime stimmt …

Letztendlich sind das eher Bagatellen, genauso wie die Weigerung der Bundesbahn, Werbung für das neue Album zu plakatieren. Das ist nicht mal ein Politikum, das ist nur ein Witz! Eigentlich finde ich das Verkehrsmittel Bahn toll, es verbessert doch die CO2-Bilanz.

Vielleicht gibt es irgendwann mal eine Slime-Titelstory in der Mobil?

Aber ist das dann noch Punk?

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