Der Hausbesuch: Lidschatten für die Kanzlerin

Reem Jarhum ging im Jemen auf die Straße, dann floh sie nach Deutschland. Hier träumt sie davon, als Make-up-Künstlerin zu arbeiten.

Reem Jarhum lehnt an dem Tisch in ihrem Zimmer im Wohnheim

Reem Jarhum lebt allein in ihrem Zimmer im Wohnheim. Sie würde gerne raus aus Heide Foto: Miguel Ferraz

Was macht man als Kreative an einem Ort, an dem es für Künstlerinnen nicht viel gibt? Reem Jarhum malt Bilder und verschönert ihr Zimmer im Flüchtlingswohnheim.

Draußen: Weitläufiges Grün, darin ein paar braune Einsprengsel. Eine Kuhherde döst in der Mittagssonne. Hier in Heide verzieren gepflegte Vorgärten rote Backsteinhäuser, tragen Straßen Namen wie Vogelweide und Moorkamp. „Es kommt ein Wind aus Norden / Er weht durch Zaun und Dorn / Er eggt das Land“ – und bricht sich an der eisernen Figur Klaus Groths, einer Statue des Vaters der plattdeutschen Dichtung. Aus einem betonierten Platz ragt klobig das alte Wohnheim der Hochschule empor. Hier wohnen nun Geflüchtete.

Drinnen: Am Ende der Treppe hängt eine Pinnwand, eine Erinnerung an die dreimonatige Kündigungsfrist in vier Sprachen. Daneben auf Arabisch bunt bebildert: „Wie trenne ich den Müll in Dithmarschen?“ Alles hat seine Ordnung. Reem Jarhum lebt seit einem halben Jahr hier. Zunächst kam sie in einer nahen Erstaufnahme unter. Dort begann sie mit dem Malen auf Leinwänden. Sie stapeln sich in ihrem Zimmer: „Ich benutze zuerst immer den Pinsel, dann aber doch die Finger“, sagt die junge Frau und lacht. Die weiten Flächen sind ihr Ersatz für das Bemalen von Gesichtern und Körpern. Jarhum ist eigentlich Make-up- und Bodypainting-Künstlerin. Nun lernt sie dreimal die Woche Deutsch.

Das erste Projekt: „Wenn der Mond aufgeht, scheint er dann nur für einige oder für uns alle?“ Mit diesen Worten beginnt das Lied. Es wurde 2013 für die Auftaktveranstaltung des Nationalen Dialogs in Sanaa im Jemen geschrieben. Für den Tag der Herzen. Junge jemenitische Sänger*innen fordern in dem Lied eine Zukunft ohne Krieg. Es war Jarhums erstes Make-up-Projekt: „Die Dialoggespräche waren unsere einzige Hoffnung.“ Sie habe gewusst, dass ein Misserfolg Bürgerkrieg bedeuten würde. „Und jetzt“, sie hält inne, „ist der Krieg international.“ Saudi-Arabien führt seit 2015 eine Militärkoalition gegen die Huthi-Rebellen an.

Die Eltern: Jarhums Mutter, Houda Ali Abdullatif Al-Baan, machte kürzlich ein Foto im Berliner Madame Tussauds. Ein Schnappschuss mit der Wachsfigur Erich Honeckers. Für die Tochter ist der Mann mit der Nickelbrille ein Unbekannter. Dabei ist das, was er repräsentiert, der Grund dafür, dass ihre Geschichte in Deutschland bereits vor ihrer Geburt beginnt. An der Leipziger Universität: Zahlreiche Studierende der Demokratischen Volksrepublik Jemen lernen in den Hörsälen der DDR. Darunter ein Journalismusstudent und eine Ökonomiestudentin. Die beiden heiraten und kehren nach dem Studium in den sozialistischen Südjemen zurück.

1989: Jarhum wird in Zeiten des Umbruchs geboren. Das rote Kartenhaus fällt da nicht nur in Ostdeutschland zusammen, sondern auch im Süden der Arabischen Halbinsel. Jarhum wächst mit ihren beiden Schwestern in der Hauptstadt des nun vereinten jemenitischen Staats auf: Sanaa, umgeben von Bergen, weiß verzierte Lehmbauten in der Altstadt, Unesco-Weltkulturerbe: „Mit jedem Schritt atmet man Geschichte ein“, sagt sie. Doch auch Aden, ihre Geburtstadt, hat in ihrer Erinnerung einen festen Platz – der Hafen, das Meer. „Ich kann mich nicht für eine der beiden Städte entscheiden.“

Das Wohnheim von außen ist grau und trist

Das Wohnheim ist heruntergekommen. Dort wohnen nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Studenten Foto: Miguel Ferraz

Ahmed: Sanaa ist aber nicht nur uralt, sondern auch konservativ. Ihre Eltern schneiden ihr die Haare kurz und stecken sie in Jungenkleider. Nur so kann sie weiterhin auf den Straßen spielen. Sie sei ein Tomboy gewesen, also ein Mädchen, das gern genauso frei und wild aufwachsen wollte wie Jungs. Aus Jarhum wird Ahmed: „Den Namen habe ich mir ausgesucht. Ich wusste aber immer, dass ich ein Mädchen war.“ Mit 13 war damit Schluss. Erst musste sie Abaya tragen, später Hijab. „Nicht wegen den Eltern, sondern wegen den Lehrern“, betont sie. Nur das Autofahren wollte der Vater nicht erlauben: „Erst wenn dir ein Schnurrbart wächst“, habe er gesagt. Sie lernte es dennoch. Heimlich.

Make-up: Auf der Kommode findet sich Lidschatten in allen Farben. Sie konnte nicht alles mitnehmen. „Als ich versuchte, in der Welt der Mädchen zurecht zu kommen, half mir Make-up dabei“, erzählt Jarhum. Sie brach das Studium in Malaysia ab, wollte Make-up-Künstlerin werden. Der Vater war gerade gestorben. Den Wunsch der Tochter verstand Mutter Houda lange nicht. Seit 2008 war sie Ministerin für Menschenrechte. Die beiden anderen Töchter waren ihr in die Politik und Entwicklungszusammenarbeit gefolgt. Reem Jarhum ist eine von den vielen Menschen auf den Straßen, als der Arabische Frühling Sanaa 2011 erreicht. Als die Polizei die Demonstrierenden attackiert, legt Mutter Houda ihr Amt nieder. Gemeinsam mit ihrer Tochter fordert sie das Ende der korrupten Politik des Präsidenten Ali Abdulla Saleh.

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Reise ohne Rückkehr: Im von Schönheitswahn geplagten Beirut belegt Jarhum einen Make-up-Kurs. Wo, wenn nicht hier? Es sollte nur eine kurze Reise sein. Ein Besuch der Schwester. „Ich komme nie wieder zurück“, war sie sich dann aber sicher: „Meine besten Jahre habe ich damit verbracht, mein Land zu retten, doch die sozialen Zwänge waren zu viel.“ Es verschlägt sie nach Jordanien. Dort schminkt sie Models für das erste LGBTQ-Magazin des Landes. In Istanbul trifft sie andere jemenitische Künster*innen. Mittlerweile leben alle im Exil: „Wir Frauen und Jugendlichen wollten die Revolution, aber die Männer haben es verdorben.“

Deutscher Humor: Ihre vorerst letzte große Reise führt über Italien nach Heide. Hier beantragt sie Asyl. Ihre Mutter ist bereits da, sie floh zwei Jahre zuvor. In der Türkei war es für Jarhum zu unbeständig geworden. Auch Jordanien ändert wegen des Kriegs im Jemen die Visabedingungen. In Deutschland muss sie bei null anfangen: „Künstlerin in Heide zu sein ist so, wie Künstlerin im Jemen zu sein. Es gibt nichts.“ Gern möchte sie wieder mit Make-up-Künstlern an Filmsets arbeiten, ein Praktikum machen. Dazu müsste sie weg aus Heide. Um die Sprache zu lernen, sei der Ort aber ideal. Die Deutschen hätten Humor, sagt sie. Auf dem Schreibtisch liegt das Buch „Alone in Berlin“.

Der Schminktisch von Reem Jarhum mit vielen Pinseln und Schminke

Die Schminkutensilien, die Reem Jarhum für das Make-up benutzt Foto: Miguel Ferraz

Wie findet sie Merkel? Sie liebt den Gesichtsausdruck der Bundeskanzlerin, wenn diese auf ­Donald Trump trifft: „Der ist Gold wert“, sagt sie und lacht. Sie würde Angela Merkel gern einmal schminken. Dabei würde sie auf einen natürlichen Look setzen, bloß keinen „verrückten Lippenstift“. Nur die Haare, die müssten anders frisiert werden. Da ist sich Reem Jarhum sicher.

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