Auf gute Nachbarschaft unter Tage

Tier Mit ihm ist kein Staat zu machen: Am HAU erkundet das Festival „Der Maulwurf macht weiter“die Rolle des Säugers in der menschlichen Vorstellungswelt mit Vorträgen, Performances und Theater

Maulwürfe – den meisten Menschen dürften die pelzigen, blinden Tiere mit ihren gedrungenen Körpern und den überdimensional großen Schaufelhänden wohl mehr durch ihre markanten Hügel und ihr Höhlendasein bekannt sein denn durch persönliche Begegnung.

Diese gleichzeitige Präsenz und Nicht-Präsenz dieser possierlichen Tiere dürfte ein Grund dafür sein, dass Maulwürfe schon für zahlreiche politische, theoretische und literarische Metaphern Pate standen. Welche Bedeutung hat die Maulwurf-Figur in der menschlichen Vorstellungswelt? Und gibt es vielleicht sogar Gemeinsamkeiten zwischen Maulwürfen und Menschen?

Das Festival „Der Maulwurf macht weiter“, das gerade am HAU läuft, setzt sich mit diesen Fragen auseinander. In unterschiedlichen Interventionen von KünstlerInnen und TheoretikerInnen wird über Tanz, Theater, Musik, Diskurs und Film versucht, einen Blickwechsel vorzunehmen und – der Praxis des Maulwurfs entsprechend – von unten statt von oben über die Welt nachzudenken, eine Schwelle zu überschreiten, um Differenzen von Wirklichkeiten aufzudecken und um auch alternative Formen von Gemeinschaft aufzuzeigen.

So wird es etwa in Vorträgen um den Maulwurf als Doppelagent und Whistleblower gehen. Während sich zu verschiedenen Zeiten Maulwürfe vom HAU aus auf den Weg quer durch Berlin machen, wird es im HAU selbst Live-Performances geben: Im Rahmen der Diskursreihe „Das Tier sind wir“ wird unter Anderem Bruno Latour gemeinsam mit der Regisseurin Frédérique Ait-Touati ausgehend von Platons Höhlengleichnis in einer Lecture-Performance das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt thematisieren.

Zudem wird die Philosophin Oxana Timofeeva Hegels Eule der Minerva, Benjamins Engel der Geschichte und Marx’ alten Maulwurf vergleichen, und der Animal-Studies-Aktivist Fahim Amir wird sich mit den „fliegenden Maulwürfen“, den Stadttauben, und der Koproduktion realer Utopien beschäftigen.

Cord Riechelmann, Zoologe, Philosoph und Journalist, begann seinen Eröffnungsvortrag am Dienstagabend mit einer Anmerkung über die gestiegene Relevanz des Maulwurfs nach den Wahlen: „Maulwürfe interessieren sich für Machtkonstellationen und nehmen sie subversiv auseinander“, so Riechelmann, „von Hierarchie ist dann nichts mehr übrig.“

Unterirdische Wühlarbeit

In der Tat – Maulwurfshügel sind der größte Schreck eines jeden makellos gepflegten Rasens – sei es auf dem bürgerlichen Privatgrundstück oder auf dem Golfplatz. Vielerorts führen Menschen erbitterte Kämpfe gegen die unterirdische Wühlarbeit des Tieres.

Im weiteren Verlauf kam Riechelmann auf Formen des Zusammenlebens von Maulwürfen zu sprechen: „Maulwürfe sind Individualisten, sie wühlen am liebsten allein. Allerdings hat das Alleinsein von Maulwürfen nichts mit der Einsamkeit des Selten-Seins von Menschen zu tun, die sich damit ihren aristokratischen Gefühlsstand sichern wollen – ganz im Gegenteil: Maulwürfe meiden die Einsamkeit und setzen auf gute Nachbarschaft.“

Unter Rückbezug auf Platons Höhlengleichnis merkte Riechelmann an, der Maulwurf überschreite die Schwelle zwischen Höhle und Außenwelt und decke somit Untergründiges auf: „Genau hier liegt auch der reale Bezug zu uns Menschen: Es gibt in unserem Leben Differenzen zwischen Wirklichkeiten, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.“

Aufgrund seines individualistischen Daseins sei der Maulwurf nicht für das Zusammenleben in staatlichen Konstellationen zu gebrauchen und daher meist auf anarchistischen Flugblättern zu finden, jedoch: „Das Interessante ist ja, dass er genau in dem Grenzbereich zwischen diesen Wirklichkeiten unterwegs ist.“

Der Maulwurf also als Inspiration für Lösungsmöglichkeiten aktueller politischer Problemlagen? Mit Sicherheit. Aber dennoch: „Autonomes Wühlen bleibt die Domäne der Maulwürfe“, stellte Riechelmann am Ende seines Vortrags fest.

Annika Glunz

„Der Maulwurf macht weiter“, noch bis 8. Oktober, HAU 1–3