Vom Verkehr als Kunst betrachtet

Stadt Sie komponiert die Bewegungen von Berlin: Natascha Küderlis Film „Berlin – Layers of Movement“

Dass Fortbewegung und Transportmittel im Berliner Stadtbild beliebte Sujets für Filmemacher sind, weiß man spätestens seit Walter Ruttmanns „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ (1927), der bis heute regelmäßig auf den Leinwänden hiesiger Kinos zu sehen ist. Ruttmanns Film ist zum Klassiker avanciert. Was die Münchener Architektin und Künstlerin Natascha Küderli neun Dekaden später gemacht hat, erinnert einen in Teilen daran.

Auch Küderli ist fasziniert von dem Gewirr, das in Berlin in Dauerschleife abläuft. Schon vor zwölf Jahren begann sie, an der Spree zu filmen und zu fotografieren; seither kehrte sie immer wieder zu den Bussen, S- und U-Bahnen, Fahrrädern, Fußgängern, Booten und Flugzeugen zurück, um sich ihnen mit der Kamera an die Fersen zu heften.

„Berlin – Layers of Movement“ heißt der bald auf DVD erscheinende Film, der daraus entstanden ist. Vor der Veröffentlichung im Oktober zeigt die 47-Jährige nun in der Alten Feuerwache Friedrichshain fotografische Arbeiten zum Thema. Im Film Werk ist bereits zu sehen, wie Küderli fotografisch arbeitet: Sie hält Bewegungsabfolgen wie das Einfahren einer Bahn an der Haltestelle in Reihenfotografien fest, schneidet sie einzeln aus und setzt sie über- oder nebeneinander. Der Titel „Layers“ – Schichten – ergibt somit doppelten Sinn, denn auch im Bewegtbild gehen Aufnahmen ineinander über.

Natascha Küderli hat vor allem bekannte Strecken und Orte ausgewählt. So hat sie an vielen Verkehrsknotenpunkten gedreht wie am Flughafen Tegel, am Hauptbahnhof, am U-Bahnhof Eberswalder Straße, am Großen Stern und am Kottbusser Tor. Sie folgt mit der Kamera der U1 entlang der Skalitzer Straße (und fährt parallel zu Füßen der Hochbahntrasse auf der Straße), bewegt sich aufs Gleisdreieck oder den Breitscheidplatz zu und gleitet mit dem Boot Richtung Oberbaumbrücke.

Aber um das Stadtbild geht es der Filmemacherin nicht primär, es geht ihr um die Bewegung in der Stadt und wie man sie experimentell darstellen kann. Dazu arbeitet sie mit unterschiedlichen Techniken, sie wechselt häufig zwischen den Kameraperspektiven – filmt aus dem Führerwaggon der Bahn, aus dem Auto, aus dem Fenster der S-Bahn –, wobei der Gegenstand der gleiche bleibt. Sie zeigt den Alexanderplatz und den Großen Stern von der Siegessäule hinab aus der Vogelperspektive. Man sieht die Bilder in Zeitlupe oder Zeitraffer, man sieht sie verzerrt und verschwommen, mit Langzeitbelichtungen oder im Split Screen. Und das alles, ohne dass einem schwindlig wird.

Spiel mit den ­Geschwindigkeiten

Das liegt auch daran, dass „Berlin – Layers of Movement“ sowohl visuell als auch mit seiner musikalischen Untermalung wohlkomponiert ist. Man kann das etwa in einer Sequenz am Flughafen Tegel sehen, wo man zunächst eine Boeing im Anflug aus sechs verschiedenen Kameraperspektiven sieht, ehe man einigen gelandeten Flugzeugen in langsamerem Tempo auf dem Flugfeld folgt und dann in einer Reihe von Standbildern eine einfahrende Maschine sieht. Die Musik – die im ganzen Film mal jazzig, mal technoid, mal klassisch und mal alles zugleich ist – gleicht sich dem Tempo an. Das Klicken der Kamera bei den Standbildern findet mit dem Beat der Filmmusik in einen Rhythmus.

Warum bloß folgt man dem Geschehen eine Dreiviertelstunde lang sehr gern, wo es doch eigentlich um nichts anderes als sich kreuzende Verkehrsmittel geht? Nun, durch das filmische Raffen und Dehnen und Verzerren und Entzerren gewinnt man auch als Betrachter eine andere Perspektive, einen neuen Blick auf den Traffic der Stadt. Auf das Berlin der verschiedenen Geschwindigkeiten. Auf die Stadt als Maschine und als Netz. Auf das Neben­ein­an­der und Inzwischen und Zugleich der Großstadt. Das fasziniert heute noch genauso wie vor 90 Jahren. Jens Uthoff

Ausstellung von Natascha Küderli: bis 13. Oktober, Alte Feuerwache, Marchlewskistr. 6

„Berlin – Layers of Movement“, 45 Minuten, DVD 9,90 Euro