Roadtrip durch Eritrea: Die Angst kommt in Latschen

Wer durch Eritrea reist, trinkt Gin im Bordell, tanzt zu „Cocoo Jambo“ und trifft überall freundliche Menschen, die sich vor ihrem Präsidenten fürchten.

Zwei Autos stehen auf einem Platz. Und drei Männer. Einer trägt ein Gewehr über der Schulter

Ein Propagandagemälde preist die Demokratie – die Realität sieht anders aus Foto: François Klein

Die Hölle ist frühmorgens noch angenehm kühl. Kinder verkaufen Kaktusfeigen am Straßenrand, ein Alter sitzt auf seinen Hacken und schnitzt Zahnputzhölzchen. Wir schlendern entlang des Palmenboulevards durch Eritreas verschlafene Hauptstadt Asmara, Menschen winken uns zu: „Welcome to our peacy peacy country!“, rufen sie.

Asmara sei die sicherste Stadt Afrikas, versichert man uns. Kein Diebstahl, keine Probleme. Auf 2.400 Metern ist das Klima herrlich, die Menschen sind höflich, und aus den Straßencafés dudelt fröhliche Musik. Den Süden der Stadt ziert das berühmte Fiat-Tagliero-Gebäude, Unesco-Weltkulturerbe.

Dahinter, liest man, liegen Folterkammern.

Kollegen, Freunde, sogar mein Arzt haben uns für wahnsinnig erklärt. „Was zum Teufel wollt ihr in Eritrea?“ Die Diktatur am Roten Meer ist als Folterstaat bekannt. Die vereinten Nationen sprechen von bis zu 5.000 Menschen monatlich, die vor Armut, dem Militärdienst und der Überwachung fliehen. Eritreer, heißt es, kennen nur Angst. Nicht einmal im Exil wagen sie Kritik an Diktator Isayas Afewerki. Doch wer das Land besucht, trinkt Cappuccino in Altstadtcafés und kann zwischen Korallen im Roten Meer tauchen.

„Afewerki hat uns die Freiheit gebracht“, sagen die Eri­treer, wenn wir sie auf offener Straße ansprechen. Im nächsten Moment raunen sie hinter vorgehaltener Hand, dass ihre Brüder in den Folterkellern des Diktators verschwunden sind und bitten, niemals ihre Namen zu nennen. Unsere Reise durch Eritrea wird zum Roadtrip durch ein Land, in dem Schönheit und Schrecken oft nah beieinander liegen.

Tag 2: Keren

Mit dem Sonnenaufgang kurvt der Bus an Affenbrotbäumen und Papayaplantagen vorbei ins Tal. Wir wollen nach Keren, ein Städtchen drei Busstunden nordwestlich von Asmara. Ein paar Jungen spielen Messerwerfen am Straßenrand, die Hügelterrassen, erzählt unser Sitznachbar, waren früher äthiopische Armeestützpunkte.

Angekommen in Keren nehmen wir uns das erstbeste Hotel. Das heruntergekommene Gebäude hat eine Bar, also trinken wir Dosenbier zum Frühstück und drücken unsere Zigaretten in alten Thunfischdosen aus. An der Wand ein Britney-Spears-Poster, im Holzregal hinter der Theke mehrere Vorratspackungen Kondome à 145 Stück. „Warum?“, frage ich eine Frau mit Goldzahn. – „Na, weil das hier ein Puff ist!“

150 Nakfa bekommen die Frauen pro Stunde, erklärt uns die Wirtin. 10 Euro. Das ist sehr viel mehr, als die meisten Eri­treer verdienen. Die Zimmer sind einfach, die Betten schmal. In den Bettdecken Brandlöcher, eine junge Sudanesin wäscht jeden Morgen das Sperma aus den Laken.

Tagsüber schlendern wir durch ausgetrocknete Flussbetten und über triste Märkte. In den Cafés entlang der Straße sitzen alte Männer mit Hüten und trinken einen Tee nach dem anderen. Sie lesen die Haddas, die einzige Zeitung. Manche benutzen sie als Sitzunterlage. Zu etwas anderem, sagt einer, sei sie nicht zu gebrauchen.

Später am Tag findet auf den leeren Straßen von Keren ein Radrennen statt. Radsportler werden in Eritrea gefeiert wie Helden. Mein Fotograf will die Siegerehrung aufnehmen, doch einem der anwesenden Männer gefällt das nicht. „Bilder zeigen“, sagt er. „Alle“. Erst kürzlich hätten sie hier einen Italiener kontrolliert, erzählt später ein Zuschauer. Er musste die Bilder löschen und ging für einen Tag ins Gefängnis.

Abends im Bordell

Die Neonlichter flirren; wir tanzen bis spät in die Nacht, bei Asmara-Gin und äthiopischen Evergreens. Äthiopien, war das nicht der Feind? Das Land, durch dessen Bedrohung der Präsident den ewigen Militärdienst bis heute rechtfertigt? „Ach was!“, sagt die mit dem Goldzahn. „Wir lieben die Äthiopier.“

Es gibt ein afrikanisches Sprichwort: „Wenn zwei Elefanten streiten, leidet das Gras.“ Kriege, sagt sie, führten doch immer nur die Machthaber. Nicht das Volk.

In der Frühe weckt uns eri­trei­scher Pop. Goldzahn kehrt bereits die Kippen von den Fliesen und streut Popcorn über den Boden, das bringt Glück. Ein Spatz fällt tot vom Dach, und Goldzahn wirft ihn auf den Müll. „Männer“, sagt sie, „sind nutzlos und sowieso alle weg.“ Es bleibt keiner hier zum Heiraten. Viele fliehen bereits als Jugendliche vor dem drohenden Militärdienst. „Aber wenigstens die HIV-Raten sind zurückgegangen“, sagt Goldzahn.

Tag 5: Die Hauptstadt

Asmara hat einen verwitterten Charme. An der Turmuhr der orthodoxen Kirche fehlen die Zeiger, und im Cinema Impero läuft ein amerikanischer Tanzfilm aus dem Jahre 1999. Das Botschaftsviertel der Stadt schmücken italienische Kolo­nial­bauten. Sprechen die Asmarinos von Bella Italia, klingt das wie der Name einer Jugendliebe, schon lange fort, doch immer noch Anlass wohliger Schauer. „Ist sie nicht schön, unsere Stadt?“, fragt uns ein Bewohner. „Sind wir nicht frei?“

„Die Illusion, die uns verherrlicht, ist uns lieber als zehntausend Wahrheiten“, schrieb der russische Schriftsteller Alexander Puschkin – dessen Urgroßvater aus Eritrea stammte. Aber auch über Romantiker bricht irgendwann die Wirklichkeit herein. CNN und al-Dschasira bringen den Aufschwung der anderen in die Wohnzimmer, Bars und Cafés, und abends löst das süffige Asmara-Bier die Zungen der angeblich so schweigsamen Eritreer. „Jeder hat Verwandte im Ausland, jedes Dorf einen Fernseher“, erzählt ein Student im Schutz lauter Musik. „Die Leute sagen: Besser ein Hund in Europa als hier ein Mensch.“

Drei Männer sitzen im Dunkeln und erzählen. Eine Person raucht

Kritik an dem Diktator Isayas Afewerki findet im Verborgenen statt Foto: François Klein

Tag 6: Unterwegs

Die Tourismusbehörde, bei der wir jede Reise außerhalb der Hauptstadt genehmigen lassen müssen, hat uns verboten mit Bussen zu fahren. Also mieten wir einen alten Toyota. Der Mechaniker, der noch ein paar Schrauben festzieht, erwähnt beiläufig, dass er sich seit Jahren vor dem Militärdienst versteckt hält. Würde er eingezogen, müsste er seine Familie verlassen. Das Geld, das er monatlich verdienen würde – es würde kaum für einen Sack Linsen reichen. Es ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Da er sich nicht registriert, sagt er, existiere auch seine Familie offiziell nicht. Seine Kinder werden niemals in die Schule gehen.

Es sind 155 Kilometer und drei Klimazonen bis ans Rote Meer. An den Militärcheckpoints hinter Asmara werden wir nicht kontrolliert. Platzregen setzt ein. Der Fotograf fährt, und da sein Scheibenwischer keine Scheiben wischt, schaue ich aus dem Fenster und rufe ihm die Hindernisse zu: Esel! Hund! Kind! Und die Kinder rufen zurück: China! Chinesen gab es hier früher viele, dank guter Handelsbeziehungen – es sind die einzigen Ausländer, die sie kennen.

In dichtem Nebel fahren wir auf verschlungenen Straßen vorbei an kleinen Wasserfällen und endlosem Grün. Wir jagen Affen und Zebus von der Fahrbahn und trinken süßen Tee mit jungen Soldaten. Der Laubwald weicht bald einer Ebene mit biblischen Dornbüschen. Im Autoradio spielt nur einen Sender, Koransuren auf FM 97,2. Der Singsang ist der perfekte Soundtrack zu dieser kargen Kulisse.

Als wir spätabends ein kleines Dorf erreichen, scheppert Tigrinya-Pop aus einem alten Kassettenrekorder. Der Araki fließt, und die Frauen tanzen mit lauten „Lulululu“-Rufen um einen Balken inmitten einer Basthütte. Im Nu sind wir eingeladen – heute Abend gibt es Grund zum Feiern: Die Schüler der elften Klasse reisen morgen früh nach Sawa, ins Militärcamp.

Amnesty International dokumentiert Fälle von sexuellen Übergriffen in diesen Camps, der UN-Bericht beschreibt Gewalt an Männern und Frauen durch Ausbilder. Geflohene erzählen von Foltermethoden, bei denen Gefangene an Armen an einem Baum aufgehängt werden, bis die Blutzufuhr endet – und jetzt feiern sie hier eine Party? Wir freunden uns mit ein paar Jungs in Camouflage-Hosen an.

„Gibt es dort Vergewaltigungen?“, frage ich.

„Ja.“

„Gibt es dort Folter?“

„Ja.“

„Und Gefängnisse?“

„Ja.“

In Sawa, erklären sie, wird man drei Monate lang gedrillt, es wird geschossen, aber auch studiert.

Weit nach Mitternacht liegen wir auf geflochtenen Matten unter freiem Himmel. Der Kassettenrekorder dröhnt noch immer. Um vier Uhr früh kommen die Busse. Abschiedsszenen vor geöffneten Fahrzeugfenstern, kleine Geschenke werden ins Innere gereicht – Kämme, Kaugummis – Hände abgeklatscht, gehupt, gejubelt, als gelte es, die Nationalmannschaft zu verabschieden. Der Konvoi fährt ab, und die Musik verstummt.

Die jüngeren Schüler schauen ihnen noch lange nach. „Hast du die Angst in ihren Augen gesehen?“, fragt mich der Fotograf. Viele scheinen zu ahnen, was sie erwartet.

Tag 7: Der Morgen danach

Morgens um sechs, als es zum Schlafen zu heiß wird, wandern wir vorbei an Wassermelonen und Ziegenbeinen zum Schuppen, in dem wir gestern Abend tanzten. Eine Frau reicht uns Kaffee mit gemahlenem Ingwer.

Das Land: Eritrea liegt in Ostafrika, es grenzt an den Sudan, Äthiopien, Dschibuti und ans Rote Meer. Die meisten Bewohner leben im Hochland, mehr als 1.600 Meter über dem Meeresspiegel. Nach dreißig Jahren endete 1991 der Befreiungskampf gegen Äthiopien.

Die Diktatur: Der Staat hat heute formal eine republikanische Verfassung. Seit 1993 herrscht jedoch das brutale autoritäre Regime von Isayas Afewerki. Menschenrechtsorganisationen beklagen immer wieder die fehlende Rechtstaatlichkeit und Demokratie.

Der Militärdienst: Eine Grund, weshalb jeden Monat etwas 5.000 Menschen aus dem Land fliehen, ist neben der Armut der Militärdienst. Zu diesem werden große Teile der Bevölkerung auf unbestimmte Zeit verpflichtet. De facto leisten sie Zwangsarbeit für die Regierung.

„Nicht alles hier ist schlecht“, erklärt uns ein junger Englischlehrer.

Die meisten Männer, mit denen wir sprechen, haben studiert, aber kaum einer arbeitet in seinem Beruf. Stattdessen werden sie Lehrer und Soldaten. Bildung und ein starkes Militär, das ist Afewerkis Formel für ein unabhängiges Eritrea. „Wir wollen Veränderung“, sagt der Lehrer, „aber wir rühren keinen Finger. Wir haben gesehen, wohin dieser Kampf führt.“

25 Jahre „Unabhängigkeit“ – es ist das kollektive Gedächtnis einer resignierten Generation. Sie kennen die Geschichten der Alten, die bereit waren, ihr Leben für ihr Land zu geben und am Ende nichts davon hatten. Sie kämpften für ihre Freiheit, doch der, der sie ihnen bringen sollte, wurde zum Diktator. Und nun wartet ein ganzes Land in Teehäusern, und keiner weiß worauf.

Hilfe, sagen sie, kann nur von außen kommen. Gewiss, man bräuchte eine Revolution, aber die Diaspora ist gespalten, in Mittellose und Fantasten und sowieso: Erst mal einen Kaffee. Gott und viel Zucker werden es schon richten.

Gurgusum

Am meisten lieben diejenigen ihr Land, die nicht in ihm leben; Menschen, die wir am Sandstrand von Gurgusum treffen, dem Paradies der Exileritreer am Roten Meer, die schon vor 30 Jahren während des Unabhängigkeitskriegs flohen und heute hier Urlaub machen.

Elegante Frauen posen vor Palmen, Teenager reiten auf Kamelen, gepiercte Mädchen dümpeln auf pinken Luftmatratzen im Meer. „Ist es nicht schön, unser Land?“, fragen sie uns. Männer, Frauen und Kinder, die erschüttert über die schlechte Presse ihrer Heimat sind. „Armut, Folter, Vergewaltigung – wer denkt sich denn so was aus?“

Auch Touristen kommen, aus Deutschland, Schweden und Italien. Ihre Sommerferien verbringen sie in Bungalows mit Meerblick und prosten auf die Unabhängigkeit. Kein Einheimischer könnte sich diesen Luxus leisten. Für 100 Nakfa, den Preis von drei Mahlzeiten, mietet die Diaspora eine Liege unter Dattelpalmen. Sie trinken Bier, essen Burger und beschweren sich über den schlechten Service.

Massawa

Am Abend brechen wir nach Massawa auf, eine alte Hafenstadt. Massawa galt einst als Perle des Roten Meers. Myrrhe, Giraffen und Sklaven wurden hier verschifft. Die Stadt florierte unter Türken, Arabern und Portugiesen und wurde Landeshauptstadt unter der italienischen Kolonialherrschaft. Später, während des Unabhängigkeitskriegs von Äthiopien trafen Luftangriffe das Wirtschaftszentrum mitten ins Herz. In den Ruinen der großen Handelshäuser stecken noch heute Splitter.

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Nur ein paar einsame Hafenhuren harren in den engen Gassen der Altstadt aus, dazu verschlagene Gestalten, wie Zeki. Zähne wie ein Haifisch, Englisch wie ein Seeräuber, aber er erzählt gern und viel – und so sitzen wir zusammen, Zigarette um Zigarette, und Zeki spuckt nach jedem Satz in den Staub. Früher legten hier Schiffe an, sagt er. Türken und Filipinos, die ihn ihre Sprachen lehrten, und Jemeniten, bei denen zu Hause die Bordelle rar und die Frauen verschleiert sind. Aber die Zeiten der großen Geschäfte sind passé.

Am meisten merken das die Prostituierten, sagt Zeki. Die Schönsten von ihnen hätten schon lange mit Seemännern das Land verlassen. Frauen, die bleiben, verdienen in einer guten Nacht 100 Dollar, die sie nicht eintauschen können. Sie würden sich verdächtig machen: Mehr als umgerechnet 200 Euro darf niemand in Eritrea in der Tasche haben.

Es ist Nacht geworden, und die Stadt erwacht zu Jennifer Lopez und amharischem Disco-Funk. Die Generatoren halten der Hitze nicht stand, aber jetzt ist das alte Fernsehgerät in der Lobby wieder angesprungen. Es berichtet von Instagram-Aktien in dem Land ohne Internet, und Frauen tanzen zu „Cocoo Jambo“.

Tag 8: Armut

Wir sind zur Kaffeezeremonie eingeladen. Die Kinder sind verrotzt, auf ihren Wangen sitzen Fliegen, eine Mutter trägt wulstige Narben an Brust und Schulter. „Boyfriend“, sagt sie. Zwei Filipinos haben sich beim Landgang verirrt. Die Frauen versuchen, sie mit Bier und halb­ent­blößten Brüsten zum Bleiben zu überreden, aber die Männer haben anderes im Sinn. Sie wollen nicht bleiben.

Die Frauen kaufen eine einzelne Zigarette, die wir abwechselnd rauchen, und die Wulstnarbige, die ihren Namen mit geschmolzenem Plastik auf den Arm tätowiert hat, besitzt eine Münzsammlung in ihrem Bretterverschlag. Klimpernde Schätze aus einer Welt, die sie nicht kennt, getauscht gegen Blowjobs.

Zurück auf der Straße

Wir verlassen diesen Hitzekessel und fahren zurück in die Hauptstadt. Die Themen entlang der Straße: Sex, Alkohol und Europapolitik. Die Männer lieben Angela Merkel, aber kritisieren die lange Dauer der Asylverfahren. Irgendwann dann die obligatorische Frage: „Wie gefällt dir dieses Land?“

Meine Antwort: „Toll hier! Die Menschen sind fantastisch.“

Einer dieser Fantastischen starrt mich an und legt mir dir Hand aufs Knie. „Zeig mir mal deine Tasche. Hast du ein Aufnahmegerät dabei? Das sollte jetzt lieber niemand hören.“

Dann ist er wieder da, dieser Konflikt, der uns seit Tagen umtreibt: Rein objektiv ist Eri­trea ein schönes Land. Ich fühle mich sicher, die Menschen sind freundlich, wir werden überall mit offenen Armen empfangen. Aber auf zu Hause liegen Zeitungsartikel und UN-Berichte, ein Stapel, fünf Zentimeter dick, der von Folter und Zwangsarbeit berichtet. Da sind Momente, in denen genieße ich diese Reise – und doch weiß ich, dass es viele Dinge gibt, die ich niemals sehen werde.

„Wie kannst du dieses Land nur als schön bezeichnen! Wir haben hier rein gar nichts! Weder Frieden noch Freiheit. Wir sind barya – wie sagt man?“ – „Sklaven“, hilft ein Freund. „Dieser Mann“, er zeigt auf einen Lehrer, „verdient keine 30 Dollar im Monat. Wie soll er damit überleben? Seine Kinder ernähren? Ja, vielleicht ist es hübsch an der Oberfläche, warum glaubst du, darfst du nirgends hinreisen? Ihr dürft ein paar ausgewählte schöne Orte sehen, damit ihr zurückgeht und verkündet, wie toll dieses Land ist.“

Die Stimme des Mannes wird ruhiger. „Es stimmt, die Menschen hier in Eritrea sind gute Menschen“, sagt er. „Offen, tolerant, höflich – besonders zu Gästen. Früher hättet ihr hier keine Wertsachen wegsperren müssen, keine Hoteltür verriegeln. Aber die Zeiten ändern sich. Wenn es nichts mehr zu essen gibt, wird Menschlichkeit zum Privileg. Also schließt euer Auto ab.“

Tag 12: Angst

Männer in Zivil wollen jetzt mehrmals am Tag unsere Pässe sehen. Menschen flüstern uns Dinge zu und werden sogleich weggezogen, wie die Frau, die Geld für ihren Sohn im Gefängnis sammelt. Wir werden zu Spaziergängen eingeladen, weit weg von den Ohren der Dörfer. Politik, die Regierung, Probleme – über so etwas sprechen sie untereinander schon lange nicht mehr. „Jeder“, sagen sie, „könnte ein Spitzel sein. Deine Nachbarin, dein Freund, dein Bruder …“

In der Nacht gibt es Ärger an der Hotelbar. Ein Trinker am Krückstock ist nicht begeistert über unsere Anwesenheit. Er schreit uns an. Jeder wolle diesem Land nur Böses – und überhaupt: „Wer seid ihr? Was wollt ihr hier?“ Er rufe die Polizei. Wir brauchen zwei Stunden und viele Flaschen Bier, bis wir mit ihm auf Bruderschaft trinken. Im Hotelzimmer beginnen wir zu flüstern.

Bei der Kaffeezeremonie am nächsten Morgen sitzen plötzlich drei Polizisten mit am Tisch. Die Beamten nehmen Daten und Abflugzeiten auf und sagen dann: „Dies ist ein freies Land. Trinkt euren Kaffee und dann geht.“

Auf Asmaras Straßen erscheint die Angst in Gummilatschen, vier Nummern zu groß. Ein Mann mit blau lackierten Fingernägeln beschwört unsichtbare Mächte, ein anderer spricht mit sich selbst und fällt mich mitten auf der Straße an. Er umklammert meine Handgelenke und fleht „Please! Take me to America!“ Denn der Feind lauere überall und wolle ihn noch heute Nacht holen. Sie sabbern von Krieg und Gefängnis, ihre Augen sind leer.

Psychische Erkrankungen, steht im UN-Bericht über Eritrea, seien oft eine direkte Folge von Folter und unmenschlichen Haftbedingungen. In Asmara begegnet man vielen Verwirrten.

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