Bestseller-Adaption „Schloss aus Glas“: Tagelang Margarine mit Zucker essen

Inszenierte Hippie-Familiengeschichte: Der Film „Schloss aus Glas“ basiert auf dem autobiografischen Bestseller von Jeannette Walls.

Familie in karger Landschaft neben altem Kombi

Die Eltern (Naomie Watts, Woody Harrelson) von Jeannette Walls vagabundierten lange durch die USA Foto: Studiocanal

Um ihr das Schwimmen beizubringen, warf er sie ins Wasser. Als sie hilflos strampelnd nach unten sank, holte er sie wieder hoch – und warf sie noch einmal hinein. Und noch ein Mal – bis sie sich allein über Wasser halten konnte. Dass sie danach stinksauer auf ihn war, sich verängstigt, gekränkt, im Stich gelassen fühlte, konnte er nicht verstehen. Im Gegenteil: Er war stolz auf sie! Sie habe schwimmen gelernt!

Jeannette Walls’ Memoiren über ihre Kindheit, „Schloss aus Glas“, sind voller solcher Geschichten, die das zwiespältige Verhältnis zu ihrem Vater Rex spiegeln. Seine Erziehungsmethoden waren, milde formuliert, eigenwillig; er benahm sich oft rücksichtslos gegenüber seinen Kindern, aber seine Liebe zu ihnen stand nie in Zweifel.

Ähnliches gilt für Jeannettes Mutter, die in Kauf nahm, dass ihre Kinder hungerten, während sie sich als Künstlerin verwirklichen wollte. In klassischem Tochterreflex schildert Jeannette im Buch das Verhalten der Mutter als egoistisch und weltfremd, während sie für den Vater sehr viel mehr Bereitschaft aufbringt, mögliche Ursachen für sein erratisches Verhalten und seinen schweren Alkoholismus anzuführen.

Die Verfilmung war nur eine Frage der Zeit: Als „knallharte Überlebensgeschichte“ machte „Schloss aus Glas“ bei seinem Erscheinen 2005 Schlagzeilen; die Erinnerungen einer Tochter aus einem nie aufgeräumten Haus, deren Eltern durch die USA vagabundierten, einer Art hippiesken Freiheit frönten und ihre vier Kinder in liebevoller Verwahrlosung aufwachsen ließen, wurden zum Bestseller.

„Schloss aus Glas“: Regie: Destin Daniel Cretton. Mit Brie Larson, Woody Harrelson u. a. USA 2016, 128 Min.

Zuerst sollte Jennifer Lawrence die Ich-Autorin spielen, als sie absagte, wurde Brie Larson engagiert. Auch für die übrigen Familienmitglieder fand sich eine Besetzung, die dem Etikett „261 Wochen auf der Bestseller-Liste der New York Times“ entspricht: Naomie Watts spielt die Mutter, Woody Harrelson den Vater. Als Regisseur verpflichtete man Newcomer Destin Daniel Cretton, der mit seinem Sozialarbeiterdrama „Short Term 12“ 2013 einen mit Festivalpreisen überschütteten Indie-Hit landete und dabei Brie Larson zu ihrer ersten vielbeachteten Rolle verhalf.

Bestens geschnürtes Paket

Packender Stoff, namhafte Besetzung, aufstrebendes Talent im Regiestuhl – auf dem Papier klingt das nach einem bestens geschnürten Paket, losgeschickt zum sicheren Kinoerfolg. Dem Film merkt man diesen Paketgedanken leider in jeder Szene an.

Zunächst ist das gar nicht störend: „Schloss aus Glas“ setzt mit derselben schockierenden Geschichte ein, mit der auch Walls’ Buch beginnt. Die sechsjährige Jeannette setzt sich beim Würstchenkochen in Brand und landet mit schweren Verbrennungen im Krankenhaus. Dort erkundigen sich besorgte Schwestern und Ärzte nach ihren häuslichen Umständen, während ihre wilde Familie lautstarke Besuche abstattet.

Eines Tages veranstaltet ihr kleiner Bruder Brian Radau auf den Krankenhausfluren, damit Vater Rex sie unbemerkt hinaustragen kann, wo mit laufendem Motor das Familienauto wartet. Ob ihr Vater die Krankenhausrechnung prellen wollte, ob er sich paranoid verfolgt fühlte oder ob das Ganze nur eine Spaßinszenierung war, bleibt im Buch wie im Film völlig offen. Die sechsjährige Jeannette konnte es nicht durchblicken, die 45-jährige Memoiren-Schreiberin enthielt sich der Spekulation, und der Film genügt sich in der mitreißend-rebellischen Energie, die solche Szenen an sich haben.

Schräger Charme

Damit ist die verpasste Chance dieser Verfilmung auf den Punkt gebracht. Wie um den schrägen Charme des thematisch ähnlichen, aber auf fiktivem Stoff beruhenden „Captain Fantastic“ nachzuahmen, reiht „Schloss aus Glas“ die einzelnen Anekdoten über tagelanges Margarine-mit-Zucker-Essen aus Walls’ Buch illustrierend aneinander.

In abgedroschener Weise springt er zwischen einem „Jetzt“, in dem Larson mit tieftraurigen Augen agiert und über ihr Verhältnis zu Herkunft und Eltern nachdenkt, und einem chronologischen „Damals“ hin und her. Der Film wiederholt nicht nur Jeannettes ungleiche Behandlung der Eltern, ihren kaltkritischen Blick auf ihre Mutter und den verständnisvollen auf den Vater, er bestärkt ihn noch, indem er Harrelson viel Raum zum ansprechend-erratischen Schauspielern einräumt, während Watts kaum Szenen mit Handlung bekommt.

Das Buch verdankt seinen Erfolg der implizit aufgeworfenen Frage nach den Werten einer „richtigen“ Erziehung; der Film traut sich keinen Schritt weiter als das schlussendliche „Unser Vater war sehr originell“.

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