Raue, harte und zarte Geräusche

„Parallax“: Das Deutsche Sinfonie Orchester spielt im Kraftwerk Werke von Bach bis zum Technopionier Moritz von Oswald

Hier mal als Schatten im großen Lichtkegel: DSO-Chefdirigent Robin Ticciati im Kraftwerk Köpeniker Straße am Freitag Foto: Peter Adamik

Von Robert Mießner

Es begann mit einer Harfe, wie eingelassen stand sie fast unbemerkt im Zwischengeschoss einer großen, in Stahl und Beton gefügten Halle, doch wurde sie aus der Dunkelheit des Raumes durch einen Scheinwerfer geholt. Es endete mit drei schwarzgewandeten Musikern, wie auf einem Metalkonzert ließen sie ihre Köpfe vor einem Säulengang hin und her schwingen, doch handelte es sich bei den Headbangern um die Kontrabassisten des Deutschen Symphonieorchesters Berlin (DSO).

Das hatte gemeinsam mit dem 2013 wiederbelebten Festival Berlin-Atonal in das Gebäude des ehemaligen Heizkraftwerks der Hauptstadt der DDR an der Köpenicker Straße eingeladen, zu einem Abend, der klassische, größtenteils symphonische Musik mit moderner, mehrheitlich elektronischer Experimentalmusik zusammenbringen sollte.

Den Anfang der fast zweistündigen Darbietung machte Elsie Beedlem, seit 2006 Solo-Harfenistin des DSO. Auf dem über den Köpfen der Zuschauer platzierten Instrument, – plötzlich gingen alle Augen und Ohren nach oben rechts, neugierig, was da jetzt nicht frontal von der Bühne kommen würde, – spielte Beedlem eine zehnminütige Komposition des Italieners Luciano Berio: „Sequenza II“ aus dem insgesamt 14-teiligen „Sequenze“-Zyklus, den Berio, einer der Pioniere der elektronischen Musik, über mehrere Jahrzehnte für verschiedene Soloinstrumente geschrieben hatte. Jeder einzelnen Sequenz sind Verse des Dichters Edoardo Sanguineti vorangestellt, der Harfe haben er und Berio diese zugedacht: „Ich habe Ketten von Farben gehört, muskulös und aggressiv:/ Ich habe deine rauen, harten Geräusche berührt.“

Gelesen wurden sie am Freitagabend nicht, dafür aber umgesetzt. Die Harfe wird oft für ein Instrument der Idylle gehalten, bei Berio und Beedlem darf sie das schon sein, im Handumdrehen aber auch nach einem präparierten Klavier klingen. Im Heizkraftwerk vermischte sich ihr fragiler, dabei perkussiver Sound mit dem Klackern der bald am Boden liegenden Bier- und Limonadenflaschen. Ein Wermutstropfen, der stetig werden sollte und deshalb erwähnt werden muss.

Sechsminütige Miniatur

Debussys „La mer“ wurde vom DSO als Ode an Entgrenzung dargeboten

Ein anderer folgte auf der großen Bühne, nachdem von einer der zahlreichen im Raum aufgebauten kleineren Charles Ives’ sechsminütige Miniatur „The Unanswered Question“ verklungen war. Sozusagen als deren Umkehrung folgte in der ersten Uraufführung des Abends „The Answer Unquestioned“ mit dem sizilianischen Komponisten Valerio Tricoli und der Künstlerin Sophie Schnell alias PYUR. Ihr repetitives, dräuend-elektronisches Stück hatte etwas; der an Flakscheinwerfer erinnernden Beleuchtung bedurfte es nicht. Keine Frage, die Assoziation liegt im Auge des Betrachters, doch drängte sie sich in dem Industrialambiente förmlich auf. In seiner Rezension des diesjährigen Atonal-Festivals am selben Ort schrieb Steffen Greiner in der taz von einem „Zuviel an Überwältigungsästhetik“, welche in ihrer Wirkung eben gerade unüberwältigend gewesen sei. Da lag an diesem Freitagabend für 20 Minuten das Problem. Wenn danach Bachs „Violinkonzert E-Dur“ im sparsamen Dämmerlicht eher zu überzeugen wusste, ist das nicht aus bildungsbürgerlichem Gestus heraus gesagt.

Fünf Minuten Pause, und der Abend gehörte dem kompletten Orchester, geleitet von Robin Ticciati, seit gerade einmal drei Tagen Chefdirigent des Ensembles, das nun sein ganz großes Besteck zum Einsatz bringen sollte. Vom hinteren Bühnenrand schaute, halb bedrohlich, halb verheißungsvoll, ein gigantischer Gong ins Publikum. Noch wartete er. Die Interpretation von György Ligetis 1961 entstandenen „Atmosphères“ geriet einnehmend zerklüftet; die zweite Uraufführung, „Cycλomorphia“ für Elektronik und sechs Solostreicher von dem aus Sri Lanka stammenden Komponisten Paul Jebansam, zu einem minimalistischen Ruhepol.

Gut gesetzt, denn dann wurde Claude Debussys „La mer“ vom DSO als Ode an die Entgrenzung dargeboten. Eine, die sich noch steigern ließ: Den Abend beschloss die dritte Uraufführung, Moritz von Oswalds Arbeit „La Reminiscenza“. Von Oswald, Technopionier und Schlagzeuger, etwa bei der Band Palais Schaumburg, eröffnete mit einem zunehmend nervösen, elektronischen ersten Teil, der alsdann vom Orchester aufgegriffen wurde und im ausgedehnten zweiten Satz tatsächlich zu überwältigen wusste: Donnergrollen, blecherne Einwürfe, Schlagwerkeinsatz, der Gong inbegriffen. Das war, als die Bassisten mit dem Headbangen begannen. Die Veröffentlichung von Oswalds Komposition sollte diesen Warnhinweis tragen: „Für progressive Romantiker“.