Wie tickt Wolfgang Schäuble?: „Es isch, wie's isch“

Wolfgang Schäuble soll Bundestagspräsident werden. Ist das ein kluger Schachzug? Und wenn ja, für wen und warum?

Wolfgang Schäuble winkt ab und spiegelt sich in einer Glaswand

Schäuble hat genug Chuzpe, auch mal die Kanzlerin auf den Arm zu nehmen Foto: reuters

BERLIN taz | Als der Mann zu reden anfängt, verzieht Wolfgang Schäuble das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Der Mann stutzt, dann redet er weiter zum Publikum. Schäuble fällt ihm ins Wort, macht eine Bemerkung. Der Mann fängt wieder an, er gibt sich wirklich Mühe, aber Schäuble unterbricht, schurigelt, stützt das Kinn auf die rechte Hand. Er dreht den Kopf zum Publikum, lächelt wissend, ironisch, gehässig.

Das war im Jahr 2010, der Mann hieß Michael Offer und war der Pressesprecher des Bundesfinanzministers. Bloß weil er ein paar Unterlagen vergessen hatte, demütigte der Chef den Mitarbeiter vor laufenden Kameras.

Die Szene ist bemerkenswert. Einmal, weil man sich jetzt vorstellt, wie Schäuble die Debatten des Bundestags als dessen Präsident leitet. Und in der Rolle des Michael Offer einen Abgeordneten der AfD – am besten Alexander Gauland, der doch so furchtbar gerne die Konkurrenz jagen möchte.

Anderseits, weil Wolfgang Schäuble damals aus der Rolle fiel, er hat sich nicht beherrscht und nicht die Situation. Das hat Seltenheitswert, denn dieser Politiker diszipliniert sich wie kaum jemand sonst. Nachdem ein psychisch kranker Mann 1990 auf ihn schoss, hat er in der Reha trainiert. Der passionierte Wald- und Skiläufer konnte nicht mehr laufen, aber er konnte seinen Beruf retten, die Adrenalinstöße der Politik, von denen er einmal erzählt hat, und „das Gefühl, gebraucht zu werden.“

Schäuble, der glückliche Sisyphos

Er kämpfte auch, nachdem er in der CDU-Spendenaffäre als Parteichef gehen und danach als Fraktionsvize wieder anfangen musste. Und er hat durchgehalten, als ihn Angela Merkel 2004 bei der Nominierung des Unions-Präsidentschaftskandidaten erst rankommen und dann fallen ließ.

Schäubles Lieblingsbild ist das des Sagenhelden Sisyphos, der verdammt ist, einen Felsbrocken den Berg hochzuwuchten – der aber immer wieder runterrollt. Allerdings bevorzugt Schäuble das Bild des Sisyphos nach Albert Camus: Der beschrieb Sisyphos als einen glücklichen Menschen.

Es war nicht vorbei

Als es 2015 bei Verhandlungen über den Rettungsschirm der Europartner für Griechenland, keine Einigung gab, drohte der Staatsbankrott. „Isch over“, sagte Schäuble in seinem südbadischen Dialekt. Es war natürlich nicht vorbei, vor allem nicht für ihn. Der Mann, der 1972 in den Bundestag gewählt wurde, der vergangene Woche 75 Jahre alt geworden ist, macht immer weiter. Sein verstorbener Bruder Thomas hat in der taz einmal gesagt, der Finanzminister sei politiksüchtig. Darauf angesprochen, bestritt Wolfgang Schäuble die Diagnose nur halbherzig. „Anders als mein Bruder habe ich das Rauchen aufgehört“, sagte er launig.

Nimm dich in Acht, AfD!

Er will gelassen wirken. Diese Haltung ist Schutz. Niemand soll denken, dass ihn etwas treffen kann. Die Gelassenheit des Wolfgang Schäuble steckt in einem anderen Satz, den er gern sagt, weil er signalisiert, dass Schäuble mit allem klarkommt: „Es isch, wie’s isch.“

Für diesen Satz ist er so bekannt, dass es schon mal vorkommt, dass Merkel ihn zitiert. In CDU-Kreisen wird folgende Szene kolportiert: Telefonkonferenz von CDU-Oberen, 2016, Sigmar Gabriel hat Frank-Walter Steinmeier als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten durchgeboxt, Merkel steht ziemlich doof ohne Kandidaten da. Die Kanzlerin weiß nicht, dass Schäuble zugeschaltet ist, und sagt, wenn der Wolfgang Schäuble jetzt hier wäre, würde er sagen: „Es isch, wie’s isch.“ Da knackt es in der Leitung. Schäuble sagt: „Es isch halt e Niederlage.“

Er traut sich sogar mal, Merkel hochzunehmen – wenn er es sich leisten, wenn er die Situation kontrollieren kann. Wer mit so einem als Präsident den Bundestag chaotisieren will, sollte sich in Acht nehmen.

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