Kommentar Tag der Deutschen Einheit: Ideologie der Spaltung

Warum die Einheit feiern, wenn alle Statistiken der Ungleichheit noch die DDR-Grenze zeigen? Nationalistische Feierei lenkt nur ab.

Eine Deutschlandfahne vor Gewitterwolken

Düstere Aussicht Foto: dpa

Am 3. Oktober gibt es wenig zu feiern.

Es ist Tag der Deutschen Einheit, aber die Einheit gibt es nicht: In fast jeder Statistik der Ungleichheit sind die alten Grenzen der DDR sichtbar. In Ostdeutschland ist die Arbeitslosenquote deutlich höher, der Anteil an Kindern in Hartz-IV-Haushalten ist höher und alten Menschen droht häufiger Armut. Die Haushaltseinkommen sind niedriger, und die Vermögen der Haushalte sind niedriger. Und für die Zukunft sieht es nicht besser aus: Die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss ist im Osten höher.

Statt den Wirtschaftswunder-Kapitalismus des Westens bekam der Osten reinste neoliberale „Schock-Strategie“ zu spüren. Die neuen bundesdeutschen Bürger erhielten ein läppisches Begrüßungsgeld, die Volkseigenen Betriebe wurden aber verscherbelt und ehemalige DDR-Bürger nicht an den Erlösen beteiligt. Billionen wurden in den „Aufbau Ost“ gesteckt, doch das meiste Geld floss an Westfirmen zurück. Während in Ostdeutschland heute die Arbeitslosigkeit weit verbreitet ist, war die ehemalige DDR eine Arbeitsbeschaffungsmaßname für Westler, die es im Westen offenbar nicht geschafft hatten.

Die nationalistische Feierei übertüncht diese Ungleichheit und die Tatsache, dass es in Deutschland in 27 Jahren weder eine ausreichende Umverteilungspolitik noch ausreichende Chancengleichheit gegeben hat, um die Unterschiede zwischen den zwei Landesteilen aufzuheben. Was wird dann gefeiert? Dass Kapitalisten Zugriff auf die Ressourcen des Ostens bekamen? Dass sich für sie ein neuer Markt erschloss? Dass die Ostler weiter in relativer Armut leben dürfen, wenn auch etwas weniger? Dass es jetzt überall Bananen gibt?

Nationalismus trennt nur noch mehr

Nationalismus ist eine Ideologie der oberflächlichen Gleichmacherei, die ein tatsächliches „weiter so“ bedeutet und deshalb eigentlich eine Ideologie der Spaltung ist. Die Ungleichheit braucht den Nationalismus: Für die ökonomische Ausbeutung wird man symbolisch belohnt. Wen kümmert es, das letzte Hemd zu verlieren, wenn man dafür einen Schwarz-Rot-Goldenen Fetzen bekommt?

Offenbar wenige: Denn nun, heißt es, hätten sich viele Ostdeutsche an den ausbeutenden und herablassenden Westeliten gerächt, indem sie die AfD wählten. Wer aber aus Armut die AfD wählte, hat sich ins eigene Knie geschossen, denn der Nationalismus trennt auch, was nicht unterschiedlich ist. Eine Stimme für die AfD ist auch eine Stimme für Gewalt gegen Geflüchtete, Geflüchtete allerdings wären Verbündete im Kampf gegen die Ausbeutung. Die Kriege und Verwahrlosung, vor denen viele fliehen, sind nicht selten ebenfalls Folgen der Ausbeutung und ihre prekäre Lage hierzulande, liefert sie nur noch einmal aus.

Die AfD ist der nationalistische Beschiss in Reinform: Die rechte Partei will privatisieren, was das Zeug hält, und zugleich den Wohlfahrtsstaat abbauen. Wer nicht vermögend geboren wurde, wird auch nicht mehr das Recht auf staatliche Fürsorge haben. Als Entschädigung darf man sich dann über die angeborene Hautfarbe freuen und darauf, dass Goethe vor 200 Jahren hier dichtete. Kein Wunder, dass AfDler gerne noch andere „Leistungen“ herausstellen und Schanden verschweigen wollen.

27 Jahre sind vergangen, und der Wille zum Nationalismus zieht in den Bundestag ein. An diesem 3. Oktober gibt es wenig zu feiern, sondern viel zu tun. Und vor allem: viel nachzuholen.

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Lalon Sander ist Datenjournalist. Sein Schwerpunkt liegt in der Aufbereitung von Datensätzen zum Klimawandel.

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