Kuhquäler vor Gericht

Einem Landwirt aus dem Kreis Dithmarschen wird vorgeworfen, er habe seine Milchkühherde verwahrlosen lassen. Auf dem Hof verschwinden immer wieder Tiere mit dem Verweis „nicht nachweisbar“. Tierschützer fordern mehr Transparenz

Nicht immer glücklich: Kuh im Stall Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Von Ruth Schalk

Der Angeklagte sieht ein bisschen aus wie Boris Johnson, der britische Außenminister, nur in Dunkelblond. Leicht zerzaust und unrasiert, in Jeans und kariertem Hemd, so sitzt der Landwirt vor dem Richter. Es ist der 25. September und vor dem Berufungsgericht in Itzehoe geht es um die Kuh mit der Ohrmarkennummer DE0114391470. Das Tier, das durch die Marke eindeutig seinem Bestand zuzuordnen ist, erlitt Qualen. Eines ihrer Hörner wuchs ihr ins Gehirn, weil es nicht rechtzeitig gekürzt wurde.

„Die schwarzbunte Milchkuh hat über Jahre erhebliche Kopfschmerzen erlitten, während sie den fortwährenden, zunehmenden Druck ihres Horns aushalten musste, bis ihr der Schädel platzte,“ sagt Martina Hoedemaker, die Sachverständige der Tierärztlichen Hochschulklinik für Rinder in Hannover, dem Gericht: „Kühe leiden leise, sie ziehen sich zurück und verlieren so ihren Platz in der Rangliste der Herde.“ Weil sie dadurch schlechter an Futter und Wasser herankommen, bringe man solche Tiere normalerweise separat im Stall unter. Doch diese Maßnahme zum Schutz des Tieres sei in diesem Fall unterlassen worden.

Alarmiert durch die auffällig hohe Zahl gestorbener Kälber und verschiedene Hinweise besorgter Nachbarn, kontrollieren die Behörden den Milch- und Mastviehhof in Süderheistedt bereits am 17. September 2013. Was sie finden, ist ein Desaster: Etwa die Hälfte der damals 1.092 Tiere umfassenden Herde ist unterernährt. Kühe lahmen und liegen am Boden, Kälber stehen auf Böden mit großen Spalten in nasser Streu. Kuh Nummer DE0114391470 liegt auf dem Kadaverplatz, neben ihr eine abgemagerte und wundgelegene Kuh und ein paar verendete Kälber.

Amtsveterinärin Christine Bothmann sagt dem Richter, sie habe Löcher in den Augen der Tiere gesehen. Sie vermutet, der Angeklagte habe sie erschossen, er sei ja auch Jäger. Und obwohl das verboten ist, unternimmt die Amtstierärztin nichts. Sie lässt die Tiere lediglich von der Tierkörperbeseitigungsanstalt abholen. Die Ohrmarkennummern werden mit dem Vermerk „VE“, für verendet, aus der Rinder-Datenbank des Landwirtes ausgetragen.

Nach der Kontrolle verhängt die Behörde ein Ordnungsverfahren. Doch auf dem Bauernhof ändert sich wenig. Bei einer erneuten Kontrolle stellen Polizei, Staatsanwaltschaft, Ordnungsamt und Amtsveterinäre Mitte Dezember 2014 fest, dass die Herde um 300 Rinder geschrumpft ist. Viele der rund 700 Tiere sind abgemagert. Fünf Tiere müssen kurz darauf eingeschläfert werden. 47 Tiere werden behandelt, 51 weitere Tiere verschwinden. In der Datenbank des Tierhalters steht nur „VNN“ – Verbleib nicht nachweisbar.

Das komme durchaus vor, sagt Klaus Hartwig vom Veterinäramt Heide. „Im Fall des Angeklagten war die Rate der VNN-Vermerke verhältnismäßig hoch“ sagt er und führt das „auf grundsätzliche Probleme bei der Dokumentation“ zurück. Dass es daran liegt, ist einem Sprecher des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung zufolge allerdings eher unwahrscheinlich. Denn solche Vermerke könne zwar das zuständige Veterinäramt, nicht aber der Landwirt selbst eintragen.

Im Dezember 2014 untersagt das Amt in Eider dem Landwirt, weiter Tiere zu halten. Mit Hilfe der Behörden werden seine Weiden im Sommer 2015 leer geräumt. Es verschwinden erneut über 30 Tiere – mit dem Vermerk „Verbleib nicht nachweisbar“.

Die Geburt eines Rindesund jeder Zu- und Abgangmuss seit September 1999 bundesweit innerhalb von sieben Tagen in die sogenannte HIT-Datenbank eingetragen werden, in das Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere.

Als Reaktion auf BSE („Rinderwahn“) und Maul- und Klauenseuchewurde diese Datenbank eingeführt. Sie soll verunsicherten Konsumenten mittels lückenloser Rückverfolgbarkeit wieder Appetit aufs Rindfleisch machen.

Im Prinzip funktioniert das Systemebenso gut wie die Melde­kette: Die entsprechenden Regeln müssen von verschiedenen Akteuren, wie dem Tierhalter, Viehhändler und dem Schlachthof, befolgt werden, sonst ist der Datensatz fehlerhaft.

Matthias Wolfschmidt von foodwatch wundert das nicht: „Meldeversäumnisse und Meldefehler sind schon deshalb plausibel, weil unterschiedliche Personenkreise meldepflichtig sind.“ Weil das neben dem Tierhalter auch Viehhändler und Schlachthöfe sind, hänge die Richtigkeit der Angaben vom Funktionieren der gesamten Meldekette ab. Es kommt nach Angaben des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung bundesweit vor, dass Tiere als „VNN“ verschwinden. Allerdings sei das Ausmaß sehr gering.

Edmund Haferbeck von der Tierschutzorganisation Peta findet die Kontrollmechanismen in der agrarindustriellen Tierproduktion grundsätzlich fragwürdig: „HIT-Datenbanken, brancheneigene Kontrollen – nichts funktioniert. Tiere verschwinden, Transparenz ist eine Farce“, sagt er.

Auch für Wolfschmidt von Foodwatch ist die Informationslage unbefriedigend: „Da die Ergebnisse der Stichprobenuntersuchungen sowie die ergriffenen Sanktionen nicht veröffentlicht werden, lassen sich weder das Ausmaß der Falschmeldungen abschätzen noch mögliche Ursachen einschließlich betrügerischer Motive ausschließen.“

Der Prozess geht am 3. November weiter.