Afro-amerikanische Kunst in London: Als die Mauern Seele hatten

In der Tate Modern und im Barbican Arts Centre richten zwei Ausstellungen den Blick auf afro-amerikanische Kunst und ihre Inspiration durch Jazz.

Ausschnitt aus einem Kunstwerk: Buchstaben und Farben

Ausschnitt aus „Revolutionary“ von Wadsworth Jarell. (Courtesy Lusenhop Fine Art) Foto: Wadsworth Jarrell

Worte zu Sonnenstrahlen. Der Künstler Wadsworth Jarrell fasst einzelne Sätze aus Reden der kalifornischen Black-Power-Aktivistin und Philosophin Angela Davis in ein Sonnengeflecht-Gemälde, das Flammen sprüht. „Revolutionary“ heißt es und ist Teil der großen Schau „Soul of a Nation. Art in the Age of Black Power“ an der Londoner Tate Modern.

Als Jarrell das Bild 1971 malte, saß Davis wegen ihrer Unterstützung der Black Panthers im Gefängnis. Grundlage für das Bild war ein damals sehr verbreitetes Kampagnenfoto, das für Davis’ Freilassung warb. Orange- und Rottöne dominieren Jarrells Bild, die spiralförmige Anordnung der Schrift nimmt das Auge eines wirbelnden Orkans an, aus der Entfernung wirkt die Schrift wie eine Mischung aus den Mosaiken von Gustav Klimt und der Formensprache des Afro­futurismus.

Jarrell gehörte zur Künstlergruppe AfriCOBRA, die an der Schwelle der sechziger/siebziger Jahre in Chicago aktiv war. In einem Manifest postulierten sie expressive „awesomeness“. Bilderwelten sollten leuchten und Rhythmus haben. „Revolutionary“ steht exemplarisch für die Fluchtlinien wenige Jahre nach dem offiziellen Ende der Segregation in den USA.

I have a Dream

„Soul of a Nation“ zeigt eine Fülle von Gemälden, Zeitungsillustrationen, Collagen, Fotos und Skulpturen. In zwölf großzügigen Ausstellungsräumen wird jeweils ein Thema der diversen afroamerikanischen Kunstströmungen behandelt. 1963 markiert den Anfang der Ausstellung aus gutem Grund: In jenem Jahr fand der „March on Washington“ der Bürgerrechtsbewegung statt, der in Martin Luther Kings emphatischer „I have a Dream“-Rede gipfelte.

1963 nimmt auch die aus 15, zumeist männlichen Mitgliedern bestehende New Yorker Künstlergruppe „Spiral“ ihre Arbeit auf. Eine ihrer markantesten Figuren, Romare Bearden, macht in seinen Wimmelbild-Collagen, wie etwa „The Dove“ (1964), die Aufbruchstimmung jener Zeit begreifbar.

In den Arbeiten von Spiral geht es um den Platz der Künstler in der US-Gesellschaft und darum, was es heißt, in unruhigen Zeiten einer künstlerischen Tätigkeit nachzugehen. Es geht um schwarzes Selbstbewusstsein – das auch durch das Ende der Kolonialherrschaft in Afrika angetriggert wurde –, aber auch um Kollektivität in den US-Metropolen. Das Selbstverständnis der Spiral-Group war wegweisend für viele nachfolgende Künstler und Initiativen.

Ausschnitt aus Romare Beardens „Pittsburgh Memory“ (1964) Foto: Romare Bearden Foundation/DACS

Die Frage nach Kunst und politischem Aktivismus ist zentral in der Ausstellung: Wo fängt der Kampf gegen Rassismus und Ausgrenzung an, wo hört dessen Darstellung in der bildenden Kunst auf. Die Zugänge sind, das zeigt „Soul of a Nation“, heterogen. Einige Künstler lehnten es ab, abstrakte Formen zu verwenden, weil diese nicht der afroamerikanischen Lebensrealität entsprächen.

Für andere spiegelten gerade experimentelle Formen und Improvisation den Kampf der Afroamerikaner um politische Selbstbestimmung, Künstler bezogen sich auf die Geschichte von Unterdrückung und wertschätzen gleichzeitig den Alltag in der Community, immer mit dem zuversichtlichen Blick in eine besserer Zukunft. Der Maler William T. Williams, Jahrgang 1942, verglich abstrakte Darstellungen mit der Improvisation im Jazz. Sein Gemälde „Trane“ von 1969 beschwört die Klangkaskaden von John Coltranes Spiel auf dem Saxofon herauf.

Showroom Straße

Afroamerikanische KünstlerInnen waren Mitte der sechziger Jahre ebenso Graswurzel-mäßig organisiert wie AkteurInnen der Bürgerrechtsbewegung und der beginnenden Black-Power-Bewegung. Bildende Künstler waren aus den von Weißen dominierten Institutionen nahezu ausgeschlossen. Als das Metropolitan Museum in New York 1969 mit „Harlem On My Mind“ eine Ausstellung machte, die die KünstlerInnen aus der Nachbarschaft zeigte, wurden keine afroamerikanischen KünstlerInnen dazu eingeladen, was zu erbitterten Protesten führte.

"Soul of a Nation. Art in the Age of Black Power": Tate Modern London, bis 22. Oktober, Katalog 29,99 Pfund

"Boom for Real - Basquiat": Barbican Arts Centre London, bis 28. Januar 2018, Katalog, 39,99 Pfund

Da afroamerikanische KünstlerInnen noch in den Sechzigern der Zugang zu institutionellen Plattformen verwehrt blieb, wichen sie auch auf die Straße aus. Häuserwände und Mauern wurden zu Leinwänden. Riesige Walls „of Truth“, „of Respect“ oder „Self-Awareness“, die auf einem großformatigen Fotostream zu sehen sind, bezeugen das. Diese „Murals“ verströmen dennoch optimistische Energie, rücken ins Blickfeld von Passanten.

Der Grafiker und „Kulturminister“ der Black Panther Party, Emory Douglas, titelte in der Parteizeitung The Black Panther über einem Linolschnitt, der eine Frau mit Gewehr und Dynamit in den Händen zeigt: „We always keep close watch on the fascist’s movements so they will have a miserable ending“. Die informative und detaillierte Ausstellung kommt leider nicht nach Deutschland, wird dafür als nächstes in Bentonville, Arkansas, und danach im Brooklyn Museum in New York zu sehen sein.

Experimentieren mit dem Fotokopierer

Der karibisch-amerikanische Künstler Jean-Michel Basquiat, dessen Werk mit der großen Einzelausstellung „Boom for Real“ im Londoner Barbican Art Center gewürdigt wird, konnte Anfang der achtziger Jahre von den Existenzkämpfen, die die KünstlerInnen in der Zeit der Black-Power-Bewegung ausgefochten hatten, profitieren. Trotz widrigster Umstände, die mit dem Zustand seiner Heimatstadt New York zu tun haben: Als Basquiat 1978 im Alter von 17 Jahren die Schule verließ, war New York bankrott, Straßenzüge lagen in Trümmern. Basquiat kam schon als Teenager mit der Kunst- und Musikszene in Berührung. Im Spannungsfeld von Postpunk, Multimedia und HipHop experimentierte er mit neuen Formen, arbeitete etwa mit Fotokopierern.

Angefangen hat er als Straßenkünstler, sprühte und tagte Graffiti, die er zusammen mit seinem Schulfreund Al Diaz unter dem Tag-Namen Samo@, einem Wortspiel für „Same old shit“, in allen Größen in charakteristischen Großbuchstaben machte. Sie befassten sich mit rassistischer Gewalt, waren gleichzeitig auch höchst poetisch und erweiterten die Themenpalette um beißend-kritische Einwürfe „Samo@ It’s a gonzo’s world, ain’t it sad?“

Jean-Michel Basquiat „Dos Cabezas“ (1982) Courtesy the Estate of JM Basquiat Foto: Tristan Fewings/Getty Images

1981 wurde Basquiat vom Besitzer des New Yorker Mudd-Clubs, Diego Cortez, eingeladen, seine Bilder in der Ausstellung „New York New Wave“ zu zeigen. Die Schau stellte die Verbindung der New/No-Wave-Szene mit der bildenden Kunst heraus. Für Basquiat war es selbstverständlich, die ihn umgebenden Musik, Kunst, Literatur und Alltagskultur rasant und geistreich und mit anarchischem Witz zu verbinden.

Von Miles Davis zu Tizian und zurück

Seine Jazz-Kenntnisse kommen in vielen seiner anspielungsreichen Bilder zum Ausdruck: Das Gemälde „Untitled (Estrella)“ von 1985 erinnert an den Bauplan eines Studiomischpults, den er mit Hinweisen auf die Karriere des Jazzsaxofonisten Charlie Parker, Songtiteln und Symbolen wie Kronen, Planeten, Feuer und Totenkopf zu einem Organigramm zusammenfügt. Anderswo bringt er den Renaissance-Maler Tizian mit Miles Davis comicartig zusammen.

Durch seine Arbeit mit Graffiti kam Basquiat auch mit den Pionieren der HipHop-Kultur in Berührung, er produzierte auf seinem eigenen Label die Single „Beat Bop“ der beiden Rapper Rammellzee und K-Rob. Das von ihm selbst gestaltete Cover hat seine charakteristische Handschrift aus hieroglyphenartigen Symbolen, Ziffern und Graffiti-Tags.

Basquiats Freundschaft mit Andy Warhol nahm mit dem Gemälde „Dos Cabezas“ seinen Anfang, die zeitgenössische Kritik stempelte ihn als dessen Günstling ab. Mit dieser Sichtweise räumt „Boom for Real“ gründlich auf. Im Gegenteil, Basquiat nahm nicht unerheblichen Einfluss auf Warhol und brachte ihn wieder zum Malen.

„Boom for Real“, der Ausstellungstitel, stammt aus dem faszinierenden Spielfilm „Downtown 81“, der in voller Länge zu sehen ist. Basquiat spielt darin die Hauptrolle, einen mittellosen Künstler, der durch die Musik- und Kunstszene der Lower Eastside driftet. Ähnlichkeiten zu seiner realen Person nicht ausgeschlossen. „Downtown 81“ wurde erst postum fertiggestellt. Er befreit Basquiat von der Vereinnahmung des Kitsch-Mainstreams, wie er auch in Deutschland seine Wahrnehmung als Neo-Art-brut-Künstler bestimmt.

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