Aktivist über Staatsgründung in Kamerun: „Wir wollen Dialog, keine Gewalt“

Worum geht es der Unabhängigkeitsbewegung, die im anglophonen Teil Kameruns den unabhängigen Staat „Ambazonien“ ausgerufen hat? Ein Aktivist erklärt.

Ein Polizist schlägt einen Mann an einem Auto in Kamerun

Ein Bild aus einem Video in Buea, Kamerun, am 1. Oktober Foto: reuters

taz: Vor einem Jahr begannen im anglophonen Westen Kameruns die Streikaktionen, die sich zu Protesten ausweiteten und jetzt am 1. Oktober zur Ausrufung der unabhängigen „Republik Ambazonien“. Wieso wollen Sie die Unabhängigkeit?

Als wir Anwälte unseren Streik 2016 begannen, hatten wir konkrete Forderungen an Kameruns Regierung: Die gleichwertige Anerkennung des englischen Common Law mit dem französischsprachigen Civil Law. Außerdem forderten wir die Versetzung von Civil-Law-Richtern. Diese Richter wenden das englische System nicht richtig an und benutzen in unseren Gerichten die französische Sprache.

Wir setzten uns zudem dafür ein, dass Gesetze vom Französischen ins Englische übersetzt werden. Denn alle diese Dinge führen dazu, dass die Bevölkerung keinen gesicherten Zugang zu ihren Rechten hat und es zu vielen falschen Rechtsprechungen kommt. Als die Lehrer sich uns anschlossen, hatte das ähnliche Gründe: Es sind in den letzten Jahren immer mehr französischsprachige Lehrer in unsere Schulen geströmt, die überhaupt kein Englisch sprechen. Kinder verstanden die Lehrer nicht mehr. Unsere Hoffnung war, dass wir diese Probleme in einem föderalen System lösen könnten …

Was hat sich an dieser Sichtweise jetzt verändert?

Der entscheidende Impuls für die Forderung eines souveränen Staates Ambazonien war, dass sich die normale Bevölkerung unseren Streiks anschloss. Die Menschen haben gemeinsam ihre Stimmen erhoben und einen souveränen Staat eingefordert. Die Zentralregierung investiert hier überhaupt nichts, und auf dem Arbeitsmarkt werden wir wegen der Sprache ausgegrenzt. Alle wichtigen Ministerposten sind mit französischsprachigen Ministern besetzt.

Die Menschen wollen ihren Stolz zurück. Sie wissen: Jetzt oder nie. So viele Jahre Diskriminierung, Ausgrenzung und Repression! Ich glaube, dass mit der starken Politisierung der Bevölkerung der Moment für uns gekommen ist, unabhängig zu werden. In einem föderalen Kamerun würde die Diskriminierung nicht aufhören.

In den sozialen Medien sieht man bereits eine Flagge von Ambazonien, es gibt einen Musterausweis und einen Präsidenten. Wie ist Ihre Bewegung organisiert?

Wir haben verschiedene Gruppen. Der Präsident wurde durch diese Gruppen ernannt. Wir sind ja noch kein souveräner Staat, wir werden gerade eine Nation. Flagge und Pass sind symbolisch, aber zeigen, dass wir es ernst meinen.

Er bleibt auf seinen Wunsch zum eigenen Schutz anonym.

Seit Anfang an sind die Proteste durch viel Gewalt gekennzeichnet …

Die Regierung bezeichnet uns als Terroristen, dabei geht die Gewalt von ihr aus – Militär und Polizei schießen ohne Grund auf harmlose Bürger. Wenn wir demonstrieren, dann marschieren wir mit Friedenspflanzen, wir singen und rufen: „Wir sind für Frieden.“ Wir wollen Dialog, keine Gewalt. Die Zivilbevölkerung hat keinerlei Waffen. Die Menschen bauen Barrikaden, um sich vor der Gewalt der Polizei zu schützen, das ist alles.

Wie reagiert die Regierung?

Die Haltung ist, dass mit den Protestierenden nicht geredet wird und dass es kein Problem in den englischsprachigen Regionen gibt. Aber am 1. Oktober 2017 ist die Polizei in viele Häuser eingedrungen und hat sehr viele Menschen festgenommen. Sie haben 50 Motorräder auf einen Haufen geschmissen und diese angezündet. Sie wollen einschüchtern.

Unabhängigkeitserklärung

Am 1. Oktober riefen Aktivisten in den beiden anglophonen Provinzen Kameruns das unabhängige „Ambazonien“ aus. Der betroffene Landesteil ist das ehemalige britische „Southern Cameroons“, das 1961 mit dem ehemals französischen Kamerun vereinigt wurde.

Seit einem Jahr Proteste

Die Unabhängigkeitserklärung war der vorläufige Höhepunkt eines Aufstandes, der im Oktober 2016 begann. Am 1. Oktober 2017 wurden beim Niederschlagen verbotener Demonstrationen mindestens 17 Menschen getötet. Oppositionelle sprechen von viel mehr.

Eskalation

Die lokale katholische Kirche hat für Samstag zu einem „nationalen Trauertag“ aufgerufen. Die Regierung schickte am Donnerstag den Verteidigungsminister in die Region, um über „terroristische Bedrohungen“ zu beraten.

Gab es denn Dialog, seit die Proteste begonnen haben?

Am Anfang, während des Anwalt- und Lehrerstreiks, gab es noch Dialog zwischen Regierungsvertretern und Streikenden. Aber von Regierungsseite kam überhaupt kein Wille, auf unsere Forderungen einzu­gehen. Seit dann die Gewalt ausartete und sie das Internet abschalteten, wollen wir Dialog nur noch im Beisein einer dritten Partei führen: der AU oder der UNO.

Wie ist die Situation gerade?

Extrem angespannt. Überall in Bamenda ist Militär und Polizei. Die Menschen reden nicht auf der Straße. Es gibt eine nächtliche Ausgangssperre. Nachts bricht die Polizei in die Häuser ein und bringt die Menschen nach Yaoundé ins Gefängnis.

Auch Sie sind bereits festgenommen worden …

Ich war 54 Tage im Gefängnis. Ich hatte sehr großes Glück, das war noch zu Anfang der Streiks. Ich war in einer sehr kleinen Zelle mit 50 Leuten.

Wie geht es jetzt weiter?

Wir warten, dass sich die Regierung zu einem wirklichen Dialog bereit erklärt. Sonst werden wir weitermachen. Ich suche derzeit eine Möglichkeit, das Land zu verlassen, weil meine Sicherheit nicht mehr gegeben ist. Alle, die in irgendeiner Weise als Drahtzieher der Bewegung angesehen werden, werden eingesperrt. Ich könnte jeden Moment festgenommen werden und wieder ins Gefängnis gebracht werden. Viele verstecken sich, wie ich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.