Eine Stadt gegen den rechten Rest

Eine weiße Villa, in der Flüchtlinge nichts zu suchen haben, brüllende Wutbürger, ein Bürgermeister, der seine Stadt leuchten lassen will. Dresden in der Woche des dritten Jahrestags der Pegida-Demonstrationen

Immer noch da: Die Islamfeinde von Pegida bei der Kundgebung am 16. Oktober auf dem Dresdner Altmarkt Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Von David Gutensohn

Unweit des Dresdner Zoos steht eine weiße Villa. Außer, dass jetzt viele über den Rücktritt von CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich reden, ist sie in der sächsischen Hauptstadt das Gesprächsthema schlechthin. Zwischen Bäumen ragt das Haus mit dem opulenten Balkon, der durch vier Säulen mit dem Dach verbunden ist, aus der Siedlung hervor. Auf dem Briefkasten rechts neben dem Eingangstor ist „D. B. h. O. u. B. e.V.“ zu lesen. Am 10. Oktober ist hier eine Anlaufstelle für Arme entstanden – die umstrittenste Neueröffnung der Region. Schnell hat der Verein „Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen“ klargestellt: Hilfe gibt es für alle. Außer für Flüchtlinge.

Die Villa ist ein Projekt von Ingolf Knajder, der Bekanntheit erlangte, als er dem Vorsitzenden der Dresdner Tafel „den baldigen Tod und nichts Anderes“ wünschte. In sozia­len Medien greift er Politiker an, klagt über „Scheinasylanten“ und findet, dass der Islam „nicht zu Europa“ gehört. Jetzt ist er Chef der national-sozialen Villa und sieht nichts Verwerfliches darin, Flüchtlinge auszuschließen. „Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt auch die Musik“, antwortet er in einer Stellungnahme.

Montagabend, wenige Kilometer von der Villa entfernt, demonstriert Pegida, zum 128. Mal. Einst war Knajder Teilnehmer, Ordner und Bühnengast der Pegidisten. Aus den Lautsprechern eines Bauwagens schallt Volksmusik, in Deutschlandfahnen gewickelte Rentner verteilen Blätter und fordern zum Singen auf. Auch die Identitäre Bewegung ist mit einer Gruppe angereist, um gegen „Lügenpresse“, „Systemparteien“ und Muslime zu protestieren.

Murat Yilmaz ist einer der Menschen, die dem Feindbild von Pegida entsprechen. Wenige Bahnstationen entfernt bewacht er jeden Tag die Fatih-Moschee. Er ist 75 Jahre alt, kam 1964 aus Istanbul nach Deutschland, war Inhaber eines Möbelladens. Heute lebt er auf dem Gelände der Moschee, die mit ihrer lindgrünen Hausfassade aussieht wie das Vereinsheim eines Fußballklubs. Ein am Gebäude befestigtes Wellblech trägt den einzigen Hinweis darauf, dass es sich um eine Islamgemeinde handelt.

Freitags kommen hier 200 Menschen zum Gebet zusammen. Im vergangenen Jahr hatten Unbekannte einen Anschlag auf die Moschee verübt. Murat Yilmaz war derjenige, der Feuerwehr und Polizei alarmierte. Trotz des Angriffs fühlt er sich nicht bedroht. „Dresden ist sicher. So Gott will, wird uns nichts passieren. Die Leute am Altmarkt sind doch nur ein Haufen Arbeitsloser“, sagt er. Außerdem steht das Gebäude unter Polizeischutz und wird videoüberwacht. Seinen echten Namen möchte er, wie alle Menschen dieser Reportage, trotzdem nicht in der Zeitung lesen.

Sura und Imaz Mansour würden ihm widersprechen. Das junge Paar sitzt an der Wasserinstallation am Schauspielhaus. Vor einem Jahr und sechs Monaten sind die beiden von Damaskus bis Dresden geflohen. Jeden Montag müssen sie von ihrer Wohnung aus beobachten, wie sich die Wutbürger versammeln. Immer wieder versuchen sie, die Demonstration mit etwas Leichtigkeit in ihren Alltag zu integrieren. Letztens standen sie vor der Menschenmenge und schossen ein Selfie mit ihrem Smartphone.

Doch das lenkt nur einen Moment lang davon ab, dass die Menschen hinter ihnen hasserfüllt sind. Sie sind es, die ihnen das Leben in Dresden unerträglich machen. Die 26-jährige Sura Mansour, Mutter von zwei Kindern, ist regelmäßig Anfeindungen ausgesetzt. Menschen, die in der Bahn vor ihr ausspucken oder ihr den Hitlergruß zeigen – kennt sie alles. „Wenn ich alleine bin, tue ich so, als würde ich es nicht sehen, doch natürlich macht es mich traurig. Wenn meine Kinder dabei sind, ist es am schlimmsten.“ Zwei Tage zuvor wurde in Dresden ein junger Mann aus Benin von sieben Hooligans rassistisch beleidigt und verprügelt.

Es sind Geschehnisse wie diese, die ihr Angst bereiten. Auch wenn sie hier viele Freunde hat, will sie nur eines: „So schnell wie möglich weg von hier.“ In Dresden gelten Sura und Imaz Mansour für viele als Bedrohung – in einer Stadt, in der weniger als ein Prozent der Menschen Muslime sind. In einem Bundesland, in dem gerade mal 25.000 Flüchtlinge leben.

Trotzdem klagen auch an diesem Montagabend, wenige Tage vor dem dritten Jahrestag der ersten Pegida-Zusammenkunft, immer noch mehr als eintausend Demonstranten über die „Islamisierung“ ihrer Heimat. Ausgestattet mit Reichkriegsbannern, AfD-Fahnen und Merkel-muss-weg-Plakaten spazieren sie durch die Innenstadt. Rechts und links neben der Bühne sind 20 Polizeiwagen vor Ort, etwa 300 Gegendemonstranten haben sich eingefunden. Auf den Tischen der Pegidisten liegen „Asylfakten“ und AfD-Flyer.

Ein wütender Rentner klagt in fränkischem Dialekt lautstark über „Sozialleistungen für Invasoren“, das Publikum reagiert mit „Macht sie weg!“. Am Rand brüllt jemand Verschwörungstheorien in ein ZDF-Mikrofon. Es ist das übliche Bild in geschrumpfter Version. Längst sind die Zeiten, in denen Pegida, wie kurz nach dem Silvesterabend von Köln, 25.000 Menschen vereinte, vorbei. Bundesweit ist Pegida ausgestorben, selbst in Leipzig spielt ihr Ableger keine Rolle mehr. Obwohl die Republik nach rechts gerückt ist, mobilisiert Dresden gegen den Trend.

Oder ist es gerade dieser Zeitgeist, der den rechten Rest jeden Montag erneut bestärkt? Hört man Lutz Bachmann, dem vorbestraften Pegida-Häuptling, zu, scheint die Bewegung wie beseelt vom vermeintlichen Erfolg zu sein. „Wir sind die Hauptstadt des Widerstands. Wir kommen. Wir bleiben. Wir siegen“, brüllt Bachmann unter tosendem Applaus. Seine Botschaft ist klar. Pegida ist noch nicht am Ende.

Der kommende Samstag soll das beweisen. Spitzenpolitiker von FPÖ und der ungarischen Fidesz-Partei sind genauso wie der neurechte Verleger Götz Kubitschek eingeladen. Auch die AfD will Bachmann von der Teilnahme überzeugen. Pegida will groß auffahren am 28. Oktober, es soll der Auftakt einer Protestwelle bis zur Landtagswahl 2019 sein. Das Ziel: Auf Tillich, so sagte es Bachmann noch am Montag, solle der „erste patriotische Ministerpräsident“ folgen. Dass es nach seinem Rücktritt der bisherige CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer wird, der umgehend eine Stärkung „deutscher Werte“ forderte, dürfte den Pegidisten gefallen.

Thomas Schneider wird sich den Protesten entgegenstellen. Der 25-Jährige finanziert sich sein Studium als Stadtführer. Seit knapp drei Jahren steht er auf der Gegenseite, heute mit einem schwarzen Plakat mit der weißen Aufschrift „Pegida – die Schande im Herzen Dresdens“. Als Stadtführer zeigt er Touristen die schönen Seiten Dresdens. Dass die Stadt nun in Verruf gerät, stört ihn nicht. Im Gegenteil. „Es ist wichtig zu zeigen, wie ein Teil Dresdens denkt. 22,5 Prozent haben AfD gewählt. Wir haben ein Problem. Pegida macht es sichtbar.“

Wer sich mehr an Bildern wie diesen stört, ist Oberbürgermeister Dirk Hilbert. 2025 will er Dresden zur Kulturhauptstadt Europas machen. Dieser Tage posiert er in aufwendigen Werbespots. Klavier- und Gitarrenmusik, spielende Flüchtlingskinder, ein Mann mit Kippa diskutiert, Frauen mit Kopftuch laufen lachend durch das Bild. „Die Stärke unserer Städte ist die Diversität der Menschen“, heißt es im Hintergrund. Größer könnte der Kontrast zu Pegida nicht sein. In einem offenen Brief fordert Hilbert eine „eine neue Dresdner Stadtidentität“. Drei Jahre nach den ersten Demonstrationen ringt die Zivilgesellschaft noch um Lösungen. Sie wird langen Atem brauchen.