Streit über Schädlichkeit von Glyphosat: Wieviel Krebs darf's denn sein?

Die EU will am Donnerstag entscheiden, ob das meistverkaufte Pestizid weiter gespritzt werden darf. Es gibt Hinweise, dass das Mittel krebserregend ist.

4 Laborratten im durchsichtigen Behälter

Müssen für alles herhalten: Versuchsratten Foto: dpa

BERLIN taz | Das wichtigste Argument der Glyphosat-Gegner ist, dass die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (IARC) das Pestizid als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat. Dabei hat sich die Agentur insbesondere auf jeweils zwei Versuche mit Mäusen und Ratten berufen, die Tumore entwickelten, nachdem sie Glyphosat gefressen hatten.

Dass in manchen Experimenten mit dem Wirkstoff gefütterte Tiere statistisch bedeutend mehr Krebs als normal bekamen, ist unumstritten. Doch die EU-Chemikalienbehörde Echa beispielsweise hält diese Ergebnisse für nicht aussagekräftig genug, um auf eine Gefahr für Menschen zu schließen und deshalb Glyphosat zu verbieten.

Einwände gegen die Mäusestudie

Denn in zwei der Experimente hätten die Mäuse „exzessiv“ viel Glyphosat bekommen, so die Behörde. Demnach nahmen die Tiere teils über 15 Prozent weniger zu als die nicht behandelten. Dabei solle laut Richtlinien der Industrieländerorganisation OECD nur bis zu der Dosis getestet werden, bei der die Tiere etwa 10 Prozent weniger zunehmen.

Außerdem hätten die Tiere allgemein nicht mehr Tumore bekommen als bei diesem Mäusestamm normal. Es gebe auch keine Erklärung dafür, warum nur bei den männlichen Nagern die Tumorrate stieg.

In zwei Versuchen hätten männliche Ratten bei geringer Glyphosat-Aufnahme zwar signfikant mehr Tumore als normal entwickelt. Aber die Echa kann dort nicht erkennen, dass die Krebsrate entsprechend zu- oder abnimmt, wenn die Gift-Menge steigt oder sinkt. Zudem seien die weiblichen Tiere nicht betroffen und auch nicht die Ratten in fünf anderen Studien.

All das spricht aus Sicht der Behörde dafür, diese positiven Ergebnisse geringer zu gewichten als negative.

Einwände gegen die Einwände

Umweltschützer und einige Wissenschaftler halten die Einwände gegen die Studien aber für falsch. Die Tumorfunde bei Mäusen mit sehr viel Glyphosat-Mengen Futter seien sehr wohl relevant, schreibt etwa der Toxikologe Peter Clausing in einem Bericht für die österreichische Umweltorganisation Global 2000. Demnach nahmen die Tiere zwar tatsächlich weniger zu als normalerweise. Aber das habe offenbar einfach daran gelegen, dass sie in ähnlichem Ausmaß weniger gefressen hätten. Nicht weil das Futter giftiger war, sondern wohl weil es anders schmeckte. „Die Lebensdauer der Tiere war nicht beeinflusst und außer den Tumoren selbst gab es keine pathologischen Befunde in den von Tumoren betroffenen Organen“, so Global 2000. Laut EU-Recht spielt es übrigens keine Rolle, ob Krebs nur bei sehr hohen oder auch niedrigeren Dosen auftritt – in beiden Fällen dürfen die Pestizide nicht genutzt werden.

Die Umweltschützer widersprechen auch der These, dass die mit Glyphosat gefütterten Mäuse nur so oft Krebs entwickelt hätten, wie es bei ihrem Stamm auch ohne das Pestizid im Futter vorkommt. Die Behörden hätten die Krebszahlen mit „historischen Kontrolldaten“, also Tumorraten unbehandelter Tiere aus ähnlichen Versuchen, verglichen. Tatsächlich seien diese Daten aber nicht vergleichbar gewesen. Sie hätten sich noch nicht einmal auf den gleichen Mäusestamm bezogen, sagt Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker bei Global 2000. „Der schlimmste Fehler aber war, dass sie die Tumorraten mit dem höchsten und nicht dem durchschnittlichen Wert der historischen Kontrollen verglichen. Das sind Regelbrüche, die notwendig waren, um die ganze Beweislast unter den Tisch zu kehren.“

Zu diesen wissenschaftlich begründeten Argumenten kommen Zweifel an der Unabhängigkeit des Zulassungsbehörden, allen voran des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Es hat die wichtigste Vorarbeit für die Gutachten der EU-Behörden geleistet. Vor kurzem stellte sich heraus, dass das BfR seinen Bericht über das Mittel seitenweise von Herstellern wie Monsanto abgeschrieben hat. Dabei handelt es sich nicht nur um Zusammenfassungen von Studien. Auch Bewertungen, dass kritische Untersuchungen „nicht zuverlässig“ seien, wurden einfach übernommen – ebenso wie die Einschätzung, dass nur „wenige haltbare Verbindungen zu einem spezifischen Krebsergebnis ziehen“. Mit keinem Wort erwähnt das BfR, dass es sich hier in Wirklichkeit um ein Zitat der Hersteller handelt.

Das sei allgemeine Praxis bei Zulassungverfahren, antwortete die Behörde darauf. Das BfR habe sehr wohl alle Einschätzungen selbst geprüft. Da es aber mehr als 100 Seiten nahezu wortwörtlich kopiert hat, bezweifeln Umweltschützer das.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Monsanto und seine Unterstützer haben versucht, die Glaubwürdigkeit ihrer Gegner zu zerstören. Sie kreiden zum Beispiel dem Statistiker Christopher Portier an, dass er mindestens 160.000 US-Dollar von US-Anwaltskanzleien kassiert hat, die Monsanto wegen mutmaßlicher Gesundheitsschäden durch Glyphosat verklagen. Portier war ein externer Berater der IARC-Forscher, die Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ bezeichnet haben.

Es war allerdings schon immer klar, dass Umweltschutzorganisationen von der Kampagne gegen Glyphosat profitieren. Dennoch können sie gute fachliche Argumente gegen das Pestizid haben. Das gilt natürlich ebenso für Wissenschaftler, die von der Industrie bezahlt werden. Die Frage „Wer bezahlt wen?“ hat also nicht sehr weit geführt.

Die EU-Behörden verweisen zudem immer wieder darauf, dass auch die zuständigen Ämter in den USA, in Kanada, Australien, Japan und Neuseeeland Glyphosat nicht für krebserregend hielten. Allerdings haben all diese Behörden gemein, dass sie in hohem Maße abhängig sind von den Studien, die die Industrie selbst in Auftrag gegeben hat.

Umweltschützer fordern deshalb, das Zulassungssystem zu reformieren. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland etwa verlangt, künftig solle der Staat die Experimente in Auftrag geben. Zwar würden die Hersteller sie dann weiter finanzieren. Aber die Firmen könnten nicht mehr ihnen genehme Wissenschaftler aussuchen.

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