Flüchtlingspolitik der Union: Gestrandet im Transitzentrum

Bayern steckt Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive alle zusammen in Unterkünfte. Kritiker bezeichnen diese als Abschiebelager.

Ein kleines Mädchen fährt mit einem Fahrrad zwischen Containern einen Weg entlang

Containerunterkunft für Flüchtlinge in Ingolstadt, die zur Aufnahmeeinrichtung Manching gehören Foto: Bayerischer Flüchtlingsrat/dpa

INGOLSTADT taz | Die Stimmung in dem umzäunten Containerdorf in der Neuburger Straße in Ingolstadt ist gut – gemessen daran, dass hier Flüchtlinge nur zu einem Zweck untergebracht sind: Sie sollen Deutschland so schnell wie möglich wieder verlassen. Die Wachfrau am Eingang nimmt dem Besucher den Führerschein ab, ansonsten keine Kontrolle, und wünscht „Alles Gute“.

In der Unterkunft am Audi-Kreisel und nahe einer Shopping-Mall grüßen die Menschen, die Kinder sagen „hello“, alle sind aus der Ukraine. Oleg Skorba wird umringt und angesprochen, gleich beginnt er mit seiner Arbeit. Für ein Minigehalt von 80 Cent pro Stunde dolmetscht er für die Asylsozialberaterinnen der Caritas vom Ukrainischen und Russischen ins Englische.

„Ich mache das gern“, sagt Skorba, „es ist besser als Nichtstun.“ Er dreht mit dem Zeigefinger Kreise an seiner Schläfe: „Und es hält den Kopf fit.“ Doch weiß der 41-Jährige sehr sicher, dass Deutschland ihn nicht haben will. Dass er mit seiner Frau und den drei kleinen Kindern gehen müssen wird, ohne Anrecht auf Asyl oder einen anderen Aufenthaltsstatus. Über die Monate hat er gesehen, dass alle anderen Ukrainer aus der Unterkunft zurückkehren mussten. „Selbst meine Kinder wissen“, sagt Oleg Skorba und benutzt einen drastischen Ausdruck, „dass wir zurückdeportiert werden.“

Bayern geht mit Manching und seinen Dependancen im benachbarten Ingolstadt sowie mit drei weiteren Flüchtlingszentren einen eigenen Weg bei der Behandlung von Flüchtlingen. Die CSU ist mächtig stolz darauf. Die anderen Zentren sind in Bamberg, Deggendorf und Regensburg. Von Ende 2015 an wurden sie eines nach dem anderen eröffnet, ursprünglich für Balkanflüchtlinge, die kaum Chancen auf ein Bleiberecht haben.

Mittlerweile sind sie vor allem mit Asylbewerbern aus anderen Ländern belegt, die gleichfalls kaum einen Aufenthalt erlangen: Nigerianer, Äthiopier oder eben Ukrainer. Sie sollen dort schnelle Verfahren erhalten, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat Außenstellen errichtet.

Integration wird verhindert

Laut Beschluss des bayerischen Kabinetts vom März 2017 sollen die Zentren „verhindern, dass sich der Aufenthalt verfestigt“. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, es ergebe keinen Sinn, Flüchtlinge über Deutschland zu verteilen – „und dann muss man sie sozusagen einsammeln, um sie in ihre Heimat zurückzubringen“. Mit den Zentren habe der Freistaat „positive Erfahrungen gemacht“.

Im Unions-Flüchtlingsbeschluss für Koalitionsverhandlungen hat die CSU diese Form der Asylabwicklung für den Umgang mit allen Flüchtlingen durchgesetzt. In Bayern werden die Einrichtungen offiziell „Transitzentren“ genannt. Das klingt viel schöner als „Abschiebelager“, wie der Bayerische Flüchtlingsrat und die Grünen sagen.

Laut Beschluss des bayerischen Kabinetts sollen die Zentren „verhindern, dass sich der Aufenthalt verfestigt“

Maximal drei Monate lang sollen die Menschen bleiben, so der Plan der Staatsregierung. Doch die Realität am Audi-Kreisel sieht häufig anders an. Familie Skorba ist schon seit 17 Monaten da. Vater Oleg klagt gegen die Ablehnung seines Asylantrags. Er will wenigstens subsidiären Schutz erhalten – dieser ist für Menschen gedacht, die nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen, denen aber dennoch bei Rückkehr in die Heimat ernsthafter Schaden droht.

Skorba musste in der Ukraine in den Krieg, 14 Monate lang, alle 20- bis 60-jährigen Männer können eingezogen werden. Er ist Englisch-Lehrer, arbeitete als Verkaufsmanager, die Familie lebte in Kiew. „Ich weigerte mich aber zu kämpfen“, erzählt er, „denn ich bin Christ.“ Der Krieg griff seine Seele an, er erlitt posttraumatische Belastungsstörungen. Auch der älteste Sohn, so meint er, habe den Kriegsdienst des Vaters psychisch nicht verkraftet. Als die zweite Einberufung kam, floh die Familie nach Deutschland. Bei einer Rückkehr fürchtet der Mann die Verfolgung als Deserteur.

„Sie lernen, dass man betrügen muss“

Für die Integration ist das „Transitzentrum“ Manching mit seinen drei Außenstellen ein denkbar schlechter Ort. Gegessen werden muss zu bestimmten Zeiten in der Kantine, auf die Zimmer darf keine Nahrung mitgenommen werden. Es gibt hauptsächlich Sachleistungen und zusätzlich ein „Sozialgeld“ von 120 Euro für Erwachsene und 67 für Kinder im Monat. Deutschkurse werden nicht genehmigt, Oleg Skorba hat sich vielfach darum bemüht. Immerhin gehen die Kinder seit einiger Zeit auf eine deutsche Schule.

Flucht & Asyl

Am Donnerstag verhandeln CDU, CSU, Grüne und FDP ab 10 Uhr über die schwierigen Komplexe „Flucht, Asyl, Migration, Integration“, „Klima, Energie, Umwelt“ und „Bildung, Forschung, Innovation, Digitales, Medien“.

Obergrenzen & Vorgaben

Unmittelbar vor der nächsten Verhandlungsrunde für eine Jamaika-Koalition hat die CSU die strikte Begrenzung der Zuwanderung erneut zur unverhandelbaren Bedingung gemacht.

Die Grünen sehen große inhaltliche Differenzen zu den anderen Parteien bei der Frage der Asyl- und Migrationspolitik und der Klima­politik.

Kochgelegenheiten gibt es auf den Zimmern nicht. Messer, Gabeln, Gläser und Porzellantassen sind verboten, denn sie könnten als Waffen benutzt werden. Für die Kinder schmuggeln die Eltern Nahrung aus der Kantine. „Sie lernen, dass man betrügen muss“, klagt Skorba. Der Flüchtlingsrat sieht die „Lager“ als Orte, an denen Integration „möglichst umfassend unterbunden werden“ soll, und spricht von „widerwärtigen Lebensbedingungen“. Immerhin fühlt sich Familie Skorba gut integriert in der Freien Christengemeinde in Ingolstadt, einer freikirchlichen Pfingstgruppierung.

Im Juni dieses Jahres sprach Oleg Skorba den Innenminister Herrmann auf einer Veranstaltung an. Der sagte, so hat es der Flüchtling notiert: „Die Ukraine ist ein großes Land. Gehen Sie zurück und finden Sie dort einen sicheren Ort zum Leben.“

Und hier gibt es einen Einblick in die Flüchtlingseinrichtung in Heidelberg, die von der Union als Vorbild genannt wird – zu Unrecht.

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