Die Jugend Kenias vor der Wahl: Strategien und Steine

Ein Besuch bei den jungen Luo in der aufsässigen Oppositionshochburg Kisumu. Dort entscheidet sich in der nächsten Woche Kenias Zukunft.

Drei Menschen heben die Hände wie zur Freude. Es sind nur ihre Umrisse zu sehen

Für Raila Odinga und seinen Vize, gegen die Wahlkommission und die Wahl: Odinga-Unterstützer feiern Foto: ap

KISUMU taz | Welche Wah­len? Am 26. Oktober wird demonstriert, aber nicht gewählt.“ Die barsche Stimme von Martin Oloo lässt keine Diskussion zu. Die anderen jungen Männer in der überdachten Bushaltestelle, die als Clubhaus fungiert, nicken zustimmend.

Dutzende solcher klapprigen Strukturen säumen die staubigen Straßen von Kondele. Drinnen sitzen junge Männer auf wackligen Holzbänken. Meistens haben sie keine Arbeit und nur ein paar Münzen in der Tasche. Sie sind militante Anhänger der Opposition, und sie schwören: Die Neuwahl des Präsidenten am kommenden Donnerstag wird zumindest bei ihnen nicht stattfinden. Denn ihr Held Raila Odinga, Kenias Oppositionsführer, macht nicht mit, der Sieg von Amtsinhaber Uhuru Kenyatta steht praktisch fest. Sofern die Wahl stattfindet.

Im Westen Kenias

Kondele ist das große Armenviertel der Stadt Kisumu am Victoriasee im Westen Kenias, wo Raila Odinga und seine Volksgruppe der Luo zu Hause sind. In Kondele werden Strategien ausgedacht und Steine als Waffen gesammelt.

Die jungen Männer an der Bushaltestelle haben gerade Ruhetag, nachdem sie am Tag zuvor die Polizei provozierten mit: „Gib uns besseres Tränengas, das Zeug aus China ist zu kraftlos.“ Die Polizei reagierte – und schoss scharf. Tote gab es keine, aber das ist nicht immer so.

Die Wut in Kisumu geht viel tiefer als die Frage, wer Präsident ist. „Es geht nicht um eine Wahlniederlage“, erklärt Charles Owuor im Clubhaus. „Unsere Region wird von den verschiedenen Regierungen in Nairobi immer ignoriert. Luo bekommen selten Posten. Wir sind benachteiligt, und deshalb habe ich keine Arbeit und bin arm. Das würde sich ändern mit Odinga als Präsident.“

Charles Owuor ist 26, aber er wohnt noch bei seinen Eltern. Er hat nur ab und zu Arbeit als Moped-Taxifahrer. Seine Freundin und er haben ein Kind, aber sie lebt bei ihrer Schwester, weil sie kein Geld haben für eine eigene winzige Wohnung in Kondele.

Auf Kondeles kaputten Straßen fahren Kleinbusse und billige Mopedtaxis. Wo einmal ein Bürgersteig war, spielen Kinder im Staub. In Gegensatz zu anderen Armenvierteln, wo die Häuschen eng aufeinandergepackt sind, gibt es in Kondele viel Raum. Ein paar Ziegen überqueren die Straße und schnuppern an den Pfannen mit Essen, die die Imbissbesitzerin Rosalyn Odhiambo anbietet.

Die Kleinhändlerin hat Angst. Während der vielen Proteste musste sie ihre kleine Imbissbude schließen. „Sonst klauen die Demonstranten das Essen. Mein Einkommen hat sich in der letzten Zeit halbiert. Das Leben ist sehr schwer geworden.“

Eine Frau schneidet Brot

„Das Leben ist sehr schwer geworden“: Imbissbudenbesitzerin Rosalyn Odhiambo Foto: Ilona Eveleens

Aber sie schüttelt energisch den Kopf auf die Bemerkung, dass Odinga – der zu den Demonstrationen aufgerufen hat – an ihrer Lage schuld ist. „Wir können wenig anderes tun als demonstrieren, um Veränderung zu bewirken“, erklärt sie. „Kenia hat seit der Unabhängigkeit nur Kikuyu- und Kalenjin-Präsidenten gehabt. Aber es gibt noch vierzig andere Bevölkerungsgruppen. Odinga wird allen helfen, nicht nur seinen eigenen Luo.“

Viele Luo verehren Odinga als eine Art Halbgott. Die junge Odhiambo hat keine Ahnung, was die Zukunft bringt. Aber eines steht für sie fest: „Odinga wird uns sagen, was wir tun sollen. Und das wird gemacht. Weil er uns nach Kanaan bringen wird, das gelobte Land.“

Millie Nyong’o, eine junge Politikerin aus Kondele, hat dem Lobgesang zugehört und schüttelt den Kopf. Sie widerspricht: „Wir Luo glauben ganz fest an Bildung. Selbst die Allerärmsten schicken ihre Kinder zur Schule. Also würde ich sagen: Wir Luo sind imstande, selbst zu denken und nicht ohne Weiteres Odinga zu folgen.“

Nyong’o mit ihren kurzen Rastalocken hat studiert, aber sie findet keine Arbeit. In Kenia muss man Kontakte haben, um Arbeit zu bekommen. Menschen in Armenvierteln haben das oft nicht. Nun hat Nyong’o einen Job gefunden, als Agentin für mobilen Zahlungsverkehr. Damit kann sie für sich und ihre kleine Tochter sorgen. In ihrer Freizeit versucht sie, die jungen Männer im „Clubhaus“ zu besänftigen. „Demonstrieren ist okay, aber keine Plünderungen“, erklärt sie.

Sie versteht aber den Frust. „Das Luo-Gebiet ist marginalisiert, wie viele andere Teile von Kenia, weil die Regierungen vor allem für ihre eigenen Regionen sorgten. Die anderen vergaßen sie. Irgendwann kommt der Moment, in dem die anderen es nicht mehr akzeptieren.“

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Kondele liegt strategisch am Stadtrand von Kisumu, entlang der Verbindungsstraße in das 340 Kilometer entfernte Nairobi. Wenn in Kondele demonstriert wird, kann in Kisumu niemand mehr rein oder raus.

Eigentlich ist die Gegend eine Idylle. Kisumu ist ein grünes Städtchen am Victoriasee, abends ist das Grunzen der Nilpferde zu hören. Fischerei war immer eine wichtige Einkommensquelle. Aber genau da zeigt sich die Vernachlässigung der Region: Keine Regierung hat je in die Fischerei investiert, beispielsweise durch den Bau von Kühlanlagen. Jetzt geht es den Fischern besonders schlecht, weil der kenianische Markt überschwemmt ist mit billiger Tiefkühlware aus China. Die Chinesen bauen in Kenia Straßen, Häfen, Bahnstrecken. Im Gegenzug schützt Kenias Regierung die eigene Wirtschaft nicht gegen chinesische Importe.

Am Victoriasee

Die Fischer am Victoriasee sind Luo. Die traditionell regierenden Kikuyu und Kalenjin fischen nicht, sie leben im zentralen Hochland. Sonst wäre das alles anders, meint Caroline Ogot. Sie nennt sich Politikerin, Lehrerin, Geschäftsfrau und Dichterin. Sie sitzt im Garten vom Nyan­za Club am See, wo die Ruhe, wie sie sagt, ihr einen klaren Kopf gibt. „Die Kikuyu-Elite von Kenyatta tut alles, um uns marginalisiert zu halten. Ich habe nichts gegen die Ethnie aber ihre Führer sind schlechte Menschen.“

Kikuyu und Luo mögen einander schon lange nicht. Hintergrund ist ein Zwist zwischen zwei Vorkämpfern für Kenias Unabhängigkeit vor über einem halben Jahrhundert: Jomo Ken­yat­ta, der erste Präsident Kenias und Vater des aktuellen Staatsoberhaupts, und Oginga Odinga, der erste Vizepräsident Kenias und Vater des aktuellen Oppositionsführers.

Es gab auch eine ideologische Komponente. Odinga war So­zia­list, Kenyatta ein Freund des Westens. Odinga verließ die Regierung im Streit. In Kisumu erinnert man sich gut an 1969, als Kenyatta in Kisumu ein Krankenhaus eröffnete, das Odinga mit sowjetischer Hilfe gebaut hatte. Der Präsident wurde ausgebuht, seine Sicherheitsleute mit Steinen beworfen. Die Polizei erschoss elf Menschen.

Bis heute wirkt so etwas nach. Uhuru Kenyatta und Raila Odinga haben wie ihre beiden Väter gegensätzliche Ideen über den Aufbau von Kenia. Ken­yat­ta glaubt an Technologie und Großprojekte. Odinga setzt auf Arbeitsplatzbeschaffung im kleinen Rahmen. Im Parlament vertrat er zwanzig Jahre lang das Armenviertel Kibera, wo auch viele zugezogene Luo leben. Aber die Lage dort hat sich nicht verbessert.

Jetzt macht unter Luo eine neue, radikale Idee die Runde: Abspaltung. Es gibt schon einen Namen: „Volksrepublik Kenia“. Caroline Ogot findet das gut. „Das ist besser, als einander umzubringen“, meint sie. „Es wird nicht leicht sein, aber wir würden es schaffen. Schlechter als jetzt kann es ja nicht werden.“

Dann lehnt sich die Dichterin zurück unter ihrem Sonnenschirm und nimmt einen Schluck aus ihrer Wasserflasche. An der Straße ins Stadtzentrum liegt noch die Asche von verbrannten Autoreifen und die Steine von den Straßenblockaden des Vortags. Sie werden noch gebraucht. Am 26. Oktober.

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