Kolumne Psycho: Leere Blicke, leere Zimmer

Psychische Probleme finden im Kopf statt, deshalb ist es schwer, sie angemessen zu bebildern. Aber versuchen könnte man es ja trotzdem.

Ein leerer Raum mit offener Tür und blau-weißen Wänden

Was fehlt? Der psychisch kranke Mensch Foto: photocase/time.

Woran erkennt man jemanden, der depressiv ist? Ganz einfach: an den angezogenen Knien. Schließlich machen Depressive tagein, tagaus nichts anderes, als mit angezogenen Knien in der Ecke eines leeren Raums neben der Steckdose zu sitzen, auf dem Fensterbrett hockend nach draußen auf einen Baum zu schauen oder auf einem Steg kauernd ins Wasser zu starren. Depression hat vielleicht kein Gesicht, aber Knie lügen nicht!

Zumindest, wenn man den Bildern glaubt, die einen Großteil der Artikel zum Thema illustrieren. Jemanden mit Angststörung erkennt man übrigens zuverlässig daran, dass er sich mit weit aufgerissenen Augen die Fäuste vor den Mund presst, jemanden mit Burn-out, weil er angesichts seines Computers mit dem Kopf vornüber auf die Tischplatte geknallt ist. Und jemanden mit bipolarer Störung, weil er sich ein lachendes Emoji vors Gesicht und ein trauriges daneben hält. Was immer geht, bei egal welchem Hau: Menschen, die auf Medikamente starren. Schattenrisse. Tunnel. Aufgespannte Regenschirme. Tränen.

Ist es wirklich so schwer, psychische Probleme angemessen zu bebildern? Ja. Als Onlineredakteurin suche ich selbst oft genug nach Fotos, die einerseits das Thema deutlich machen, andererseits aber nicht total klischeebehaftet sind. Das gelingt selten. Vielleicht liegt es daran, dass immer die gleichen Stock-Fotos ausgespuckt werden, wenn man bestimmte Schlagworte eingibt. Vielleicht ist unsere Vorstellung beim Thema psychische Erkrankungen aber auch einfach immer noch viel zu beschränkt.

Psychokram findet im Kopf statt, und in den kann man nun mal schlecht reingucken – es sei denn, man ist Neurochirurg. Also versuchen wir, all das, was im Inneren eines Menschen vor sich geht, an seiner Mimik abzulesen, an seiner Körperhaltung, an seinen fettigen Haaren. Was viele dabei offenbar vergessen: Gerade Menschen mit psychischen Erkrankungen sind Meister darin, sie zu verstecken. Und nicht jeder, der Depressionen hat oder Panikattacken, heult und schreit die ganze Zeit. Die meisten duschen sogar.

Als ich in der taz zum ersten Mal über meine Angststörung geschrieben habe, fragte mein Redakteur: „Würdest du dich fotografieren lassen? Das wäre toll, weil die meisten Leute bestimmt ein anderes Bild vor Augen haben, wenn sie sich eine Betroffene vorstellen.“ Ich habe eingewilligt. Weil ich an der Konzeption der Bilder beteiligt war. Und weil ich genau das zeigen wollte: Man sieht Menschen in den meisten Fällen nicht an, was sie innerlich umtreibt.

Blonde Locken, Grübchen, Lachen – so eine kann doch gar keine Angststörung haben, oder? Tja, nun. Vielleicht sollten wir langsam mal damit anfangen, die Realität auch abzubilden. Etwa mit Bildern von Menschen, die ihr Knie höchstens beim Joggen anwinkeln. Oder am Schreibtisch sitzen, und zwar aufrecht und mit erhobenem Kopf.

Klar, das wird die LeserInnen erst mal irritieren. Weil sie es nicht gewöhnt sind. Aber es würde endlich mal zeigen, wie Menschen mit psychischen Problemen aussehen: ganz normal.

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Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).

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