Teure Haftpflicht für Hebammen: Berufsstand in Not

Ab Juli sollen freiberufliche Hebammen viel mehr Geld für ihre Berufshaftpflicht zahlen. Viele können sich das gar nicht leisten. Ein Berufsstand im Rückzug.

Immer mehr Hebammen holen nicht mehr Babys auf die Welt, sondern verdienen ihr Geld vor allem mit der Vor- und Nachbereitung von Geburten. Bild: dpa

In ungefähr fünf Wochen ist es so weit. Dann wird Anna Steiners* erstes Kind geboren. Anna Steiner ist 31, Ethnologin und voller Vertrauen. Vor einigen Monaten hat sie ihr Schicksal in die Hände von Mandy Pleikies gelegt.

Mandy Pleikies ist freiberufliche Hebamme. Sie arbeitet nicht in einem Krankenhaus, sondern ist selbstständig. Ihr gehört - zusammen mit einer Kollegin - das Geburtshaus am Treptower Park in Berlin. Auf dem Balkon im Hochparterre eines Gründerzeithauses steht ein großer Storch aus Pappe.

Anna Steiner liegt auf einem Sofa, das Licht im Raum ist gedämpft. Schon wenige Wochen, nachdem sie schwanger geworden war, hat sie sich hier gemeldet. Mandy Pleikies tastet den Bauch der Schwangeren ab. Sie sagt: "Alles in Ordnung. Das Kind hat lange Beine und gut gegessen." Dann reden die Schwangere und "ihre" Hebamme über die Herztöne des Kindes und wie es sein wird in ein paar Wochen, "wenn der Termin dran ist". Sie trinken Tee. Draußen vor dem Fenster des 240 Quadratmeter großen Geburtshauses rauscht der Verkehr vorbei.

Hebammen: In Deutschland gibt es 15.706 freiberufliche Hebammen. Nur etwa ein Viertel von ihnen leistet direkt Geburtshilfe. Freiberufliche Hebammen stellen rund 150.000 Beleggeburten (in Kliniken) und rund 10.000 Geburten in Geburtshäusern und zu Hause sicher.

Geburten: 2008 kamen in Deutschland 682.514 Kinder zur Welt. Ein Viertel dieser Geburten wurde von freiberuflichen Hebammen bewältigt. Rund 30 Prozent der Geburten allgemein geschehen heute per Kaiserschnitt.

Versicherung: Ab 1. Juli steigt die Berufshaftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen, die Geburtshilfe leisten, von 2.370 Euro auf 3.689 Euro. Die Berufshaftpflicht für freiberufliche Hebammen, die keine Geburtshilfe leisten, liegt bei unter 1.000 Euro.

Petition: In seiner Petition, die rund 186.000 Menschen unterschrieben haben, fordert der Hebammenverband von der Politik, die hohen Haftpflichtprämien auszugleichen. Gesundheitsminister Rösler hat seine Vermittlung und Unterstützung zugesagt. (sis)

"Mandy hat Zeit", sagt Anna Steiner über ihre Hebamme: "Eine ganze Stunde nimmt sie sich. Ein Arzt ist immer schon nach zehn Minuten durch." Das könnte sich ändern. Ab 1. Juli muss Mandy Pleikies wie 15.700 andere freiberufliche Hebammen in der Bundesrepublik für ihre Berufshaftpflichtversicherung, die die Geburtshilfe einschließt, 3.689 Euro im Jahr bezahlen. Jetzt sind es 2.370 Euro. "Das kann sich kaum mehr eine Hebamme leisten", sagt Mandy Pleikies.

2007 kostete die Versicherung 1.218 Euro, 1992 waren es 179 Euro. Im Laufe der Jahre hat sich die Summe mehr als verzehnfacht. Die Folge: Immer mehr Hebammen tun nicht mehr das, wofür es Hebammen gibt: Babys auf die Welt holen. Sie verdienen ihr Geld vor allem mit der Vor- und Nachbereitung von Geburten. Manche Hebammen arbeiten als Teilzeitkräfte in Kliniken.

Nach Angaben des Deutschen Hebammenverbands (DHV) leistet nur noch ein Viertel der Hebammen tatsächlich Geburtshilfe. Es ist absehbar, fürchtet der DHV, dass sich auch "die verbleibenden Hebammen aus dem Kernbereich ihres Berufs zurückziehen". Ein Berufsstand gerät in Gefahr.

Das ist ein Fall für Philipp Rösler. Aber der Bundesgesundheitsminister hat bis vor kurzem von den Problemen der Hebammen gar nichts gewusst. Erst als der Hebammenverband im Mai eine Online-Petition startete, um zu retten, was noch zu retten ist, und die Linksfraktion im Bundestag eine parlamentarische Anfrage zur Situation der Hebammen stellte, wurde die Politik auf das Thema aufmerksam. Jetzt verhandelt der FDP-Minister mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen.

Warum steigt die Versicherung? Eine Studie des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft hat im Frühjahr herausgefunden, dass "Personenschäden im Heilwesen" immer teurer werden. "Vor allem bei Geburten, weil in einem Schadensfall dann ja ein ganzes Leben lang gezahlt werden muss", sagt DHV-Präsidentin Martina Klenk. Da geht es schon mal um Summen von 2 Millionen Euro und um Schmerzensgelder von bis zu 500.000 Euro. Dabei haben sich ausschließlich die Schadenssummen erhöht, die Zahl der Schäden nicht.

Den Sozialversicherungen, die diese Kosten tragen, ist das zu teuer. Sie holen sich diese Ausgaben zurück, von Krankenkassen und Versicherungen. Regressabteilungen der Krankenkassen sind seit einigen Jahren viel damit beschäftigt, bei teuren Behandlungsfällen "Schuldige" zu suchen und die hohen Kosten auf sie abzuwälzen. Versicherungen geben die Kosten weiter, indem sie die Prämiensätze erhöhen.

"Die jetzigen 3.698 Euro sind das absolute Minimum", sagt Bernd Hendges, Geschäftsführer des Versicherungsmaklers Securon in München. Securon hat für die Hebammen die Haftpflichtversicherung ausgehandelt. Von über 100 Versicherungen in Deutschland, sagt Bernd Hendges, bieten nur vier den Hebammen eine Versicherung an. Bei allen anderen Versicherungen haben die Hebammen keine Chance: ein zu hohes Finanzrisiko.

An einer Wand in der Küche des Geburtshauses am Treptower Park hängt eine Tafel mit Fotos von Kindern, denen Mandy Pleikies und ihre Kolleginnen auf die Welt geholfen haben. Ihre Eltern haben sich bewusst für die Rundumbetreuung im Geburtshaus entschieden. Vor allem Mütter und Väter sind es auch, die innerhalb weniger Wochen die 186.356 Unterschriften für die Online-Petition geleistet haben. Das sind so viele, dass der Petitionsausschuss des Bundestags am Montag die Petition "Sofortmaßnahmen zur wohnortnahen Versorgung mit Hebammenhilfe" behandeln muss.

7,50 Euro Netto beträgt der Stundenlohn einer Hebamme, das zu versteuernde Jahresdurschnittseinkommen liegt laut DHV bei 14.150 Euro. "Das ist zu wenig für die Verantwortung, die wir haben", sagt Mandy Pleikies. "Und auch zu wenig für das, was wir leisten." Mandy Pleikies ist 31 Jahre alt, sie hat einen zweijährigen Sohn und nie Feierabend. Zurzeit betreut sie 31 Frauen. Wochenbett, Stillberatung, Schwangerschaften, Geburten, die jeden Moment losgehen können. Heute hat sie fünf Termine.

Vier Schwangere kommen zu ihr ins Geburtshaus, eine Frau besucht sie zu Hause. Morgen stehen acht Frauen auf ihrem Plan, nur zwei von ihnen kommen nach Treptow. Die anderen wohnen weit weg, in Lichtenberg, Köpenick und Schmöckwitz. Und wenn nachts um drei, am Wochenende oder am Nachmittag, wenn sie gerade ihren Sohn aus der Kita abholt, eine Frau mit Wehen anruft, muss Mandy Pleikies sofort los. "Die höhere Versicherungsprämie zwingt mich, noch mehr Frauen zu betreuen", sagt sie.

Mandy Pleikies und ihre Kollegin zahlen für die Miete im Geburtshaus, die technischen Geräte, für Strom, Wasser, Pflegematerialien und Öle jeden Monat rund 3.000 Euro. Die Haftpflichtversicherung und die eigene Sozialversicherung kommen noch oben drauf. "Ich habe monatlich über 1.500 Euro Festkosten", sagt Mandy Pleikies: "Dann habe ich noch keine Steuern gezahlt, nichts für die Rente zurückgelegt und noch keine Miete für meine Privatwohnung bezahlt."

Die Hebammengebührenverordnung legt fest, wie Mandy Pleikies ihre Leistungen abrechnen darf. Für eine Geburt im Geburtshaus zahlen die Krankenkassen 367 Euro, für eine Hausgeburt 449 Euro. Im Geburtshaus am Treptower Park kommen jedes Jahr 50 Babys zur Welt.

Als sogenannte Beleghebamme, als "mitgebrachte" Hebamme im Krankenhaus, bekommt eine Geburtshelferin 224 Euro, für eine achtwöchige Wochenbettbetreuung 400 Euro. Und wenn Mandy Pleikies Frauen wie Anna Steiner während der gesamten Schwangerschaft betreut, schreibt sie nach einem Jahr eine Rechnung: 1.000 Euro.

Wenn sich freiberufliche Hebammen keine Berufshaftpflicht mehr leisten können und aus der Geburtshilfe aussteigen, sind Frauen gezwungen, ins Krankenhaus zu gehen, warnt der DHV. "Dadurch wird die Wahlfreiheit der Frauen eingeschränkt", sagt Ulrike Geppert-Orthofer, DHV-Vorsitzende in Baden-Württemberg. Das ist auch fatal für die Kliniken. Schon jetzt klagen Hebammen in Krankenhäusern über eine zu dünne Personaldecke.

Anna Steiner setzt die Teetasse ab. Sie sagt: "Ich würde gern etwas über Wassergeburt wissen." Mandy Pleikies reicht ihr ein Faltblatt. Und schaut auf die Uhr.

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