Nachts im Pflegeheim: Nun doch mehr Fachkräfte

Ab 2019 soll in Bremer Pflegeheimen eine Fachkraftquote von 1:40 im Nachtdienst gelten – dabei hatte das grün geführte Sozialressort die Erhöhung der Quote abgelehnt.

Eine Pflegekraft tritt ans Bett einer Seniorin in einem Pflegeheim.

Ob die Pflegekraft ausgebildet ist oder nicht, bleibt auch in Zukunft Glücksache Foto: dpa

BREMEN taz | Monatelang haben Verbände, Initiativen und die Gewerkschaft ver.di mit Appellen, Debatten und Protestaktionen versucht, gegen die geplante Novellierung des bremischen Wohn- und Betreuungsgesetzes mobil zu machen. Ihre Kritik entzündete sich vor allem an der geplanten Regelung der zum Gesetz gehörigen Personalverordnung: Die nämlich sah für den Nachtdienst eine Fachkraftquote von 1:50 vor. Am gestrigen Donnerstag wurde nun im Landtag das geplante Gesetz in erster Lesung beschlossen – mit einer überraschenden Wendung.

Denn plötzlich, kurz vor Beginn der Bürgerschaftsdebatte, stellte die rot-grüne Koalition einen Änderungsantrag: Die Bürgerschaft möge beschließen, dass ab dem 30. April 2019 ein Betreuungsschlüssel im Nachtdienst von 1:40 vorzuschreiben sei und die Personalverordnung gemeinsam mit dem Wohn- und Betreuungsgesetz auf fünf Jahre zu befristen und zu evaluieren sei. Damit wiederum reagierte die Koalition auf einen Dringlichkeitsantrag der CDU – der inhaltlich nahezu wörtlich das Gleiche forderte.

Ver.di sieht Proteste erfolgreich

„Wir sind froh, dass wir wenigstens ein bisschen was bewirkt haben“, sagt Kerstin Bringmann von Ver.di, die am Dienstag noch vor der Bürgerschaft eine Protest-Aktion gegen die geplante Fachkräftequote veranstaltet hatte. Allerdings gab es im Rahmen der Debatte um die Novellierung des Gesetzes eine Menge solcher Aktionen – und stets wurde der Personalschlüssel vom grünen Sozialressort mit dem Argument verteidigt, es gebe schlichtweg noch zu wenig Fachkräfte, um sie zu erhöhen.

Naheliegender ist, dass die CDU mit ihrem Antrag der SPD in die Hände gespielt hat: Denn deren sozialpolitischer Sprecher Klaus Möhle hatte bereits mehr als einmal gefordert, für 40 BewohnerInnen mindestens eine Nachtwache verpflichtend einzusetzen. Als Kompromiss wurde diese Quote als erklärtes Ziel im Vorwort des Gesetzentwurfs verankert – aber eben nur im Vorwort. CDU und Linksfraktion hatten in der Sozialdeputation deswegen auch gegen den Entwurf gestimmt.

Was auch immer hinter der plötzlichen Wende steckt, für Bringmann ist sie „schon mal besser als nichts – allerdings ist es bedauerlich, dass die Quote erst ab 2019 kommen soll.“ Und leider behalte man die schlechte Tagdienst-Quote bei, die eine Fachkraft mit zwei ungelernten Kräften für 30 HeimbewohnerInnen vorsehe.

Auch die Linksfraktion ist mit der Änderung nicht zufrieden. Er begrüße zwar die geplante Ausweitung der Kontrolle durch die Heimaufsicht auf ambulante Pflegedienste, so deren gesundheitspolitischer Sprecher Peter Erlanson, „aber das bezieht sich leider nur auf ambulante Dienste, die in Einrichtungen arbeiten – nicht auf jene in der häuslichen Pflege.“

Kerstin Bringmann, ver.di

„Wir sind froh, dass wir wenigstens ein bisschen was bewirkt haben“

Um vernünftig kontrollieren zu können, ob Heime und ambulante Dienste vernünftig arbeiteten, bräuchte es eine Personalaufstockung bei der Heimaufsicht um zehn Stellen, so Erlanson. Und die verbesserte Fachkraftquote sei zu schlecht: „Wir fordern eine bedarfsdeckende Personalbesetzung, mindestens aber zwei examinierte Kräfte für 50 BewohnerInnen.“

Sind irgendwo Fachkräfte „übrig“?

Das sieht Reinhard Leopold, Gründer der Selbsthilfe-Initiative „Heim-Mitwirkung“ und Regionalbeauftragter der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen, im Grunde ähnlich, kritisiert aber Erlanson, der von „Personalbemessungsinstrumenten“ sprach, mit denen man ermitteln könne, „in welchen Pflegeeinrichtungen vielleicht mehr und in welchen aber auch vielleicht weniger Fachkräfte nötig sind.“

Denn, so Leopold: „Es gibt keine einzige Pflegeeinrichtung, wo man jetzt und vor allem in Zukunft weniger Fachkräfte benötigt.“ Alte Menschen gingen immer später in Heime, „also erst dann, wenn sie wirklich gebrechlich sind. Zunehmend hat man es deswegen neben körperlichen Beschwerden mit kognitiven Einschränkungen zu tun, die vor allem nachts einen hohen Pflegebedarf bedeuten – es sei denn, man schießt diese Menschen mit Psychopharmaka ab.“ Es gebe ausreichend wissenschaftliche Expertise, aus der diese Entwicklung und der damit verbundene Personalbedarf hervorginge, „aber die Entscheidungsträger in der Politik ignorieren das einfach.“

Anders als Kerstin Bringmann sieht Leopold das geänderte Gesetz nicht als Folge von Protestaktionen, im Gegenteil: „Die Politik hat den Protest von Pflege-Experten und Betroffenen überhaupt nicht beachtet“, sagt er. Forderungen nach Veröffentlichung von Prüfberichten der Heimaufsicht seien ebenso ignoriert worden wie der Hinweis von Berufsverbänden, dass der geltende Personalschlüssel bereits seit Jahren nicht mehr den Bedarf decke: „Seit eineinhalb Jahren ist die pflegerische und medizinische Versorgung in Bremen im Vergleich der Bundesländer am schlechtesten – das wird nun auch in Zukunft so bleiben.“

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