Familienrecherche: Feminismus, was ist das ?

In ihrer Dokumentation „Liebe auf Sibirisch“ besucht Olga Delane ihre Verwandten, die noch eine ganz andere Vorstellung von den Geschlechter-Rollen haben.

Die jungen Leute suchen sich heute ihre PartnerInnen selbst: Party auf dem Dorf. Foto: Olga Delane

HAMBURG taz |Zuerst bedauern alle Verwandten nur die Frau, die aus dem fernen Berlin in das Dorf gekommen ist: „So wie du rumläufst, hast du ein furchtbares Leben in Berlin. Du bist 37 Jahre alt und hast keine Familie. Das ist nicht gut“, sagt Onkel Oleg. Im Grunde trifft er damit den Nagel auf den Kopf, denn es ist ein vages Unbehagen mit ihrer Art zu leben, das Olga Delane dazu brachte, mit der Kamera die 8.623 Kilometer von Berlin nach Onon-Borzya im südöstlichen Sibirien zu reisen, und dort die vielen Männer und Frauen in ihrer Verwandtschaft zu fragen, wie sie zusammen leben und was Liebe für sie bedeutet.

In fünf Jahren hat sie diese Reise mehrmals gemacht, mal im Sommer, mal im Winter, zuerst alleine mit einer kleinen Kameraausrüstung, später dann mit einem kleinen Team, zu dem auch ein Kameramann gehörte. Sie selber sieht man in ihrer Dokumentation „Liebe auf Sibirisch“ nur in wenigen kurzen Einstellungen. Sie verzichtet auf einen Kommentar und auch ihre Fragen in den Gesprächen hat sie auf ein Minimum reduziert. Und dennoch ist sie immer präsent, denn alle sprechen mit ihr und sie ist dabei fast immer hinter der Kamera.

So sehen wir sehr unmittelbar, wie das alltägliche Leben in einem kleinen Dorf in Sibirien vonstatten geht. Das ist nicht der Blick des Reisenden auf das Exotisch-Fremde und die Protagonisten fremdeln auch nicht vor der Kamera, denn es ist ja eine junge Verwandte, die sie da besucht und komische Fragen stellt – in ihrer Sprache und mit der Vertrautheit, mit der man in der Familie spricht. Deshalb verzichtet Olga Delane auch auf raffinierte Einstellungen und eine komplizierte Montage.

Wenn Onkel Sascha ihr rät, kurze Röcke zu tragen, weil „eine Frau ihre weiblichen Reize zeigen muss“ und dann die Männer wie die Fliegen in einer Falle an ihr kleben bleiben, dann blendet sie kurz eine Einstellung mit einem von der Wand hängenden Klebeband voller toter Insekten ein. Dies ist eine der wenigen Sequenzen, in denen sie durch die Bildwahl ironisch Stellung bezieht.

Im übrigen wertet sie nicht mit ihren Bildern, sondern ist neugierig darauf, wie ihre Verwandten miteinander leben. Da ist das Thema der Frau aus dem modernen Westen im vermeintlich rückständigen Osten schnell durch und wenn auf ihre Frage, was eine von ihren Tanten von Feminismus halte, ein „Was ist das?“ kommt, gibt das noch einen Lacher und nicht viel mehr.

Und ein wenig haben sich die Umstände ja doch geändert: Früher hätten die Männer die Frauen totgeschlagen, und dass eine Urgroßmutter noch lebt, wird damit erklärt, dass sie „so zäh wie eine Katze“ sei. Heute würde sie sich mit einer Bratpfanne wehren, sagt sie. Eine junge Tochter will nicht den heiraten, den ihre Eltern für den perfekten Schwiegersohn halten, und sie setzt sich durch. Onkel Sascha, der Patriarch und Pascha der Familie, lässt zu, dass seine Frau in die Stadtwohnung in Tschita zieht, obwohl er doch davor so chauvinistisch daher geredet hat.

Um die Einrichtung für die neue Wohnung zu kaufen, ist er mit dem Auto extra „nach China“ gefahren. Ein schönes kleines Detail, das deutlich macht, dass dieses sibirische Dorf im hintersten Winkel Russlands liegt.

Eine der Tanten sagt, sie werde nun nicht mehr geschlagen: „Wenn die Männer älter werden, verlieren sie das Interesse an der Gewalt.“

Wie schwer das Leben im Dorf ist, und dass dabei die Frauen die Hauptlast tragen, zeigt Delane sehr eindrücklich. Alle leben mehr schlecht als recht von der Landwirtschaft, und da „hört die Arbeit nie auf!“, wie eine der Frauen einmal sichtlich erschöpft sagt. Aber Delane zeigt auch die wilde Schönheit der Landschaft und selbst bei den vielen Schweinen im Matsch spürt man ihren liebevollen Blick.

Delanes Film ist auch eine Langzeitbeobachtung. Allerdings verändert sich neben dem Wechsel der Jahreszeiten kaum etwas: Eine Großmutter stirbt, die Kinder werden älter und die Tochter, die den für sie ausgesuchten Bräutigam verschmähte, ist auch mit dem Jungen, den sie glaubte zu lieben, nicht glücklich geworden. Eine der Tanten sagt, sie werde nun nicht mehr geschlagen: „Wenn Männer älter werden, verlieren sie das Interesse an der Gewalt.“ Und Saschas Frau hat es nicht lange in der Stadt ausgehalten: Da kam sie sich vor wie ein „hässliches Entlein“.

Olga Delane begann das Projekt als ambitionierte Familien-recherche. In dem Hamburger Frank Müller fand sie nicht nur einen Produzenten, sondern auch einen Co-Autoren. Als dann Arte zusammen mit dem RBB als Co-Produzent einstieg und Nordmedia den Film mitfinanzierte, wurde die Produktion aufwendiger, doch der Kameramann Nikolai von Graevenitz hat sich so dem Stil der früheren Aufnahmen Delanes angepasst, dass kein Bruch entsteht.

Nur bei einer der letzten Filmsequenzen wurde übertrieben und so gibt es als vermeintlichen optischen Glanzpunkt eine mit einer Drohne fotografierte Luftaufnahme von Onon-Borzya, die so wenig mit dem Rest des Films zu tun hat, dass sie wie ein Fremdkörper wirkt. Dieser Stilbruch ist auch deshalb so ärgerlich, weil Olga Delane sonst so stilsicher inszeniert hat.

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