Türkischer Autor im taz-Café: Von Istanbul nach Berlin

Viele junge Menschen fliehen aus einer immer undemokratischer regierten Türkei – auch nach Berlin. Barbaros Altuǧ hat ihre Geschichte aufgeschrieben.

Unvergessen auch in Berlin: die Gezipark-Proteste in Istanbul 2013. Foto: dpa

taz: Herr Altuğ, Ihr jetzt auf Deutsch erschienener Roman „Es geht uns hier gut“ handelt von drei jungen Menschen, die nach den Gezi-Protesten 2013 beschließen, die Türkei zu verlassen, und nach Berlin ziehen. Gezi war ein Moment der Hoffnung für mehr Demokratie. Wieso handelt Ihre Novelle nicht vom Widerstand, sondern von Migration?

Ich habe bei den Gezi-Protesten fast täglich mitdemonstriert. Gegen Ende habe ich vor allem Erschöpfung beobachtet. Die jungen Leute begannen ihre Hoffnungen zu verlieren, weil sie begriffen, dass die Türkei sich nicht mehr ändern lassen würde – und sie selbst in diesem Land bald nicht mehr willkommen sein würden. Es gab keine politische Bewegung, die ihre Anliegen unterstützte. Wenn es ein Buch über Gezi geben musste, dann eins, das vom Weggang dieser Menschen berichtet.

Barbaros Altuğ, 43, stammt aus Ankara und lebt in Paris. 1999 gründete er die erste türkische Literaturagentur und schrieb als Kritiker für türkische Medien. Er verbrachte einige Zeit in Berlin, bevor er 2016 endgültig die Türkei verließ. 2014 erschien seine Novelle „Es geht uns gut“ in der Türkei, 2017 auf Deutsch im Orlanda-Verlag. Vom Exil handelt auch sein jüngstes Werk „Türkce Alfabe“ über den Genozid an der armenischen Bevölkerung.

Lesung im taz Café: Am Dienstag, 28. November um 19 Uhr spricht Barbaros Altuğ mit taz.gazete-Redakteurin Ebru Taşdemir über seinen Roman, Gezi und die Türkei. (cin)

Tatsächlich verlassen derzeit viele Menschen die Türkei. Seit den Protesten gegen die Rodung des Geziparks im Istanbuler Stadtzentrum ist die politische Situation immer schwieriger geworden. Warum ist gerade Berlin so attraktiv für junge TürkInnen?

Diese Stadt ist offen für junge, gebildete und kreative Menschen. Wenn Sie eine erfolgreiche Vergangenheit haben oder eine aussichtsreiche Zukunft, gibt Ihnen Berlin zumindest eine Chance. Zudem existiert eine große türkeistämmige Community und Sie können hier mit Türkisch oder Englisch auskommen. Außerdem werden in Berlin türkeistämmige Menschen noch am wenigsten diskriminiert. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Sind Sie auch Neu-Berliner?

Ich habe eine Zeit lang in Berlin gelebt, um an dem Buch zu arbeiten. Ich hatte eine Wohnung in der Torstraße.

… und haben dort Yasemin, Ali und Eren aus Ihrer Geschichte getroffen?

Es gab dort ein kleines Restaurant, in dem ich wenige Tage nach meiner Ankunft zu Mittag aß, als drei junge Leute hereinkamen, zwei Männer und eine Frau. Sie hatten noch ihre Koffer dabei und unterhielten sich auf Türkisch darüber, ob sie es schaffen würden, in Berlin einen Job zu bekommen und ob ihr Geld reichen werde. Meine Geschichte ist inspiriert von dieser Begegnung, vor allem Yasemins Figur.

Schon früher haben Menschen die Türkei verlassen, etwa nach dem Militärputsch 1980. Was ist heute anders?

Die Menschen, die gerade die Türkei verlassen, könnten das Land in eine bessere Zukunft führen. Aber sie wollen nicht zurück. Ihre Freunde sitzen im Knast oder wurden ermordet, ihre Familien sind zerrüttet. Obwohl diese jungen Leute qualifiziert sind und ein finanziell abgesichertes Leben in der Türkei haben könnten, ziehen sie es vor, zu fünft in einem 40-Quadratmeter-Zimmer im Exil zu wohnen, weil sie nicht in einem System leben wollen, das keinerlei Kritik duldet. Geld ist nicht alles. Sie wollen Freiheit. Und es gibt keine Hoffnung mehr auf Freiheit in der Türkei.

Dennoch gibt es demokratische Bewegungen in der Türkei. Wie kann man diese von außen unterstützen?

Die Türkei kann sich nur durch die Menschen verändern, die geblieben sind. Die Exilanten können aber durch kreatives Schaffen ihren Beitrag leisten: Bücher schreiben, Musik oder Filme produzieren und auf diese Weise Hoffnung geben. Die Türkei ist kein reiches Land und hat keine eigenen Ressourcen. Die EU ist ihr wichtigster Handelspartner. Würden die Wirtschaftsbeziehungen abgebrochen, müsste die Türkei ihre Politik ändern. Hätte die EU die Türkei nach Gezi sanktioniert, wäre sie heute vielleicht ein anderes Land. Und viele Menschen wären vielleicht dort geblieben.

Seit mehr als 50 Jahren bereits migrieren Menschen aus der Türkei nach Deutschland. Wie ist das Verhältnis zwischen alteingesessenen Deutschtürken und den jetzigen Newcomern?

Vor 55 Jahren sind die Türken aus finanziellen Gründen ausgewandert. Heute lebt bereits die dritte und vierte Generation Türkeistämmiger in Berlin. Sie sind inzwischen Deutsche, und das ist gut. Allerdings gibt es Parallelen zwischen den jüngeren türkeistämmigen Deutschen und den gleichaltrigen Newcomern. Sie teilen Herkunft und Kultur. Sie haben dieselben Bücher gelesen oder Filme gesehen. Wenn sie dasselbe Lied hören, dann haben sie vielleicht dasselbe Feeling. Zweifelsohne wissen sie alle, wer die Sängerin Ajda Pekkan ist. Es gibt also gemeinsame Nenner. Daher ist eine Annäherung dieser Gruppen eher möglich als eine der älteren Generationen. Mögen sie zusammen glücklich werden!

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