Debatte über Justiz & Politik in Brasilien: Alte Männer mit Dreck am Stecken

War Dilma Rousseffs Amtsenthebung ein Putsch? Am Dienstag sprach Brasiliens frühere Präsidentin darüber in der Freien Universität Berlin.

Eine Frau spricht

Hat in Berlin viele Fans: Dilma Rousseff Foto: dpa

Als Dilma Rousseff den Saal betritt, brandet Beifall auf. Mit erhobener Faust wird eine Parole angestimmt: „Dilma, guerreira da pátria brasileira“ – Dilma, die Kämpferin für ihre Heimat Brasilien. Das überrascht insofern, als die großen Medien Brasiliens sie als die Präsidentin gezeichnet haben, die das Land in den Abgrund geführt habe.

In der Freien Universität Berlin aber hat Dilma Rousseff ein Heimspiel. Die meisten der etwa 400 Anwesenden sehen sie als Opfer eines parlamentarischen Staatsstreichs, mit dem die Politikerin der Arbeiterpartei PT 2016 unter fadenscheiniger Begründung des Präsidentenamtes enthoben wurde.

Diese Einschätzung wird von der veranstaltenden Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) geteilt: „Letztendlich war es ein politischer Putsch“, sagt Michael Sommer, der stellvertretende FES-Vorsitzende. Dann nimmt auch Herta Däubler-Gmelin das P-Wort in den Mund. Die ehemalige SPD-Justizministerin war geladen, um mit Rousseff die Frage „Von der Verrechtlichung der Politik zur Politisierung der Justiz?“ zu debattieren.

Fragwürdige Methoden

Der im Titel anklingende Vorwurf einer politisch beeinflussten Justiz zielt auf den Bundesrichter Sérgio Moro, der die Ermittlungen zum milliardenschweren Korruptionsskandal „Lava Jato“ leitet und sich zum Ziel gesetzt hat, auch Rousseffs Vorgänger Lula zu Fall zu bringen – der einstige Gewerkschaftsfunktionär ist bis heute der populärste Politiker Brasiliens.

Moro schreckt dabei nicht vor fragwürdigen Methoden zurück: Er spielte der Presse abgehörte Telefonate zu und inszenierte auch Lulas Vorladung zum Verhör als Medienspektakel. Im Juli wurde Lula von Moro zu einer mehrjährigen Strafe verurteilt – bei einer äußerst dürftigen Beweislage.

Der Vorwurf, Moro agiere einseitig, ist kaum von der Hand zu weisen, während die Regierung unter Präsident Michel Temer sich weiter an der Macht halten kann – trotz zahlreicher Korruptionsvorwürfe gegen Minister und Parteikollegen. Rousseff hingegen wurde nicht etwa persönliche Bereicherung zur Last gelegt – vorgeworfen werden ihr nur Bilanztricks bei der Haushaltsführung, wie sie bei Vorgängerregierungen gang und gäbe waren.

Im medial vermittelten Bild Rous­seffs als gefühllose Technokratin schwingen immer auch Ressentiments gegen Frauen mit. „Sie werfen mir vor, ich sei zu hart und arbeitssüchtig“, sagt Rousseff in Berlin, Eigenschaften, die bei Männern positiv bewertet würden. Wenn man sich die Mitglieder der Regierung Temer vor Augen führt – fast ausschließlich alte, weiße Männer, die Dreck am Stecken haben –, kann man den gesellschaftlichen Rollback ermessen, der in Brasilien gerade stattfindet.

Historische Ungerechtigkeit

Welche Ungerechtigkeit Rousseff dabei persönlich widerfahren ist, lässt sich erahnen, wenn man sich Aufnahmen der Amtsenthebung anschaut: Stundenlang antwortet sie den dümmsten Fragen. Schrecklicher Höhepunkt ist, als der rechte Abgeordnete Jair Bolsonaro eines der übelsten Folterknechte der Militärdiktatur, Coronel Ustra, gedenkt, in deren Kerker die junge Rousseff als Guerillera einst selbst gelandet war.

Bittere Ironie der Geschichte: Es war die PT, die ein Vorgehen der Justiz gegen Korruption erst ermöglicht hat – zum Beispiel mit der Einführung der Kronzeugenregelung von 2013.

Allerdings ist die auch die PT in die Korruption verstrickt, anders hätte sie nicht mitregieren können. Wer nun von Rousseff Auskunft darüber erhofft hatte, wie eine Unabhängigkeit von Justiz und Politik sichergestellt werden könne, wurde am Dienstag in der FU enttäuscht. Sie sagte nur: „Eine Reform des politischen Systems in Brasilien wird nicht von den Parlamentariern ausgehen.“ Dazu bedürfe es eines Aufbegehrens der Zivilgesellschaft.

In Berlin gibt sich Rousseff hoffnungsvoll – und setzt darauf, dass das Urteil gegen Lula in zweiter Instanz aufgehoben wird. Dann stehe einer erneuten Kandidatur Lulas bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr nichts mehr im Wege. „Dafür werden wir bis zur letzten Minute kämpfen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.