Mit durchdringendem Blick

Es war nicht immer einfach, aber immer ein großes Vergnügen, seine Texte mit ihm zu besprechen

VON HEINRICH SENFFT

Da ist einer der letzten Aufsässigen gestorben, einer, der fast immer an die Grenze des Sagbaren ging, einer, der gewusst hat, dass man mehr Kraft hat, wenn man immer gegen den Strom schwimmt. Sage keiner, Erich Kuby sei eben ein Kind seiner Zeit gewesen, die ihn zum Widerspenstigen gemacht habe, denn seine Zeit waren die letzten Jahre der Weimarer Republik, die zwölf Nazi- und Kriegsjahre, in denen die meisten mitmachten, bestenfalls wegsahen, in denen keine Aufmüpfigen gesucht oder auch nur geduldet wurden.

Kubys Zeit waren vor allem die Jahre nach 1945, in denen kaum einer mit den Nazis etwas zu tun gehabt haben wollte, in denen verdrängt und, nach einer Schrecksekunde, fast alle Täter wieder in ihre alten Stellungen zurückgebracht wurden, weil man doch „Fachleute“ brauchte. Erich Kuby hat nie weg-, sondern immer hingesehen und seine Befunde niedergeschrieben – und er fand fast immer jemanden, der sie druckte, und verließ manche, von denen er nicht mehr gedruckt werden wollte.

Kuby kam aus einer sehr bürgerlichen Familie, die zu Geld gekommen war. Sein Vater hatte sich 1901 in Westpreußen ein Gut gekauft, nach einem Jahr aber schon alles verwirtschaftet. Da zog er nach München und traf dort Dora Süßkind – 1910 kam Sohn Erich zur Welt.

Ab 1913 lebte die Familie im bayerischen Voralpenland, wo der Vater, ein nationaler Mann, ein Gut übernahm und ein Jahr später in den Krieg zog. Bei einem jüdischen Lehrer bekam der in der 7. Gymnasialklasse durchgefallene Erich auch anderen als nur schulischen Nachhilfeunterricht: „Sie machen Hitler zu groß, sagte Lamm. Solche Hitlers haben auch andere Völker, aber sie bleiben Randfiguren. Hier nicht. Er erzieht nicht das Volk, das Volk hat ihn erfunden. Haben Sie mir nicht gesagt, Ihr Vater habe noch im Sommer 1918 den Krieg nicht für verloren gehalten? Verrückt? Keine Spur, ein ganz normaler Deutscher.“

Diese Lektion hat Erich Kuby nicht vergessen. Er studierte Volkswirtschaft, wurde Werfthilfsarbeiter bei Blohm & Voss in Hamburg und schrieb seine ersten Texte über die Arbeitswelt.

1933 forderte ihn seine jüdische Freundin nach Hitlers Regierungsübernahme auf, mit ihr das Land zu verlassen. Aber: „Ich wollte nicht nur aus der Ferne an der Entwicklung teilnehmen, ich wollte dem Selbstfindungsprozess meines Volkes, der ein Fäulnisprozess gewesen ist, nahe sein, ihn riechen und schmecken.“

Kuby blieb und heiratete 1938 die Tochter des Berliner Nationalökonomen Hermann Schumacher, Gegenspieler Werner Sombarts, nachdem er 1936 in Berlin begonnen hatte, für den Scherl-Verlag zu arbeiten. Die Schwester seiner Frau war mit dem Physiker Werner Heisenberg verheiratet – auch er ein Patriot. Kuby war sicher, die Einberufung zum Heer sei für ihn gerade zur rechten Zeit gekommen. In seinem Buch „Mein Krieg“ schildert er, wie er den Krieg hauptsächlich in Frankreich und Russland erlebte, als ewiger Gefreiter, ab September 1944 als Kriegsgefangener, immer begleitet von seiner Schreibmaschine, auf der er jeden Tag und in jeder Situation schrieb.

Nach der Entlassung aus amerikanischer Gefangenschaft arbeitete Kuby als Berater der „Information Control Division“ in München. 1947 wurde er Chefredakteur der legendären Zeitschrift Ruf, nachdem die US-Militärregierung die ersten Herausgeber Alfred Andersch und Hans Werner Richter abgesetzt hatte. Schon im Oktober 1946 hatte er dort geschrieben, das Blatt müsse erst noch beweisen, „ob es in einem Inzuchtprozess ein Regimentsblatt ehemaliger amerikanischer Kriegsgefangener sein will oder ob es das große Wochenblatt der jungen Generation wird“.

Kuby teilte bald das Schicksal seiner Vorgänger: Er wurde dort nur ein Jahr geduldet. So kam er zur Süddeutschen Zeitung, wo er erbittert gegen die Wiederbewaffnung und die Ausstattung der Bundeswehr mit Atomwaffen wetterte.

Nachgerade berühmt wurde er 1958 durch Buch und Film „Rosemarie, des deutschen Wunders liebstes Kind“, von Nadja Tiller gespielt. Das Buch wurde in siebzehn Sprachen übersetzt – man darf Kuby getrost den Émile Zola der deutschen Wirtschaftswunderjahre nennen.

In jenem Jahr 1958 landete er für eine Weile bei der Zeitung Welt, verließ das Blatt aber bald wieder, nachdem sich das Blatt, ja der ganze Verlag nach Axel Springers und Hans Zehrers Moskau-Besuch in eine Kampftruppe des Kalten Krieges verwandelt hatte.

1962 kam er zum Stern, dessen Rechtsberater ich damals war und ihn alsbald kennen lernte, ihn, einen „Herren“, wie es heute kaum noch welche gibt. Es war nicht immer einfach, aber immer ein großes Vergnügen, seine Texte mit ihm zu besprechen, die mir ab und an juristisch ein wenig problematisch zu sein schienen – aber wir haben uns immer geeinigt und sind gut damit gefahren, so gut, dass unsere Verbindung nie mehr ganz abriss. Natürlich hatte ein Mann wie Kuby auch mit dem Stern Probleme, dem er Ende 1964 seinen Vertrag – aber nur für eine Weile – vor die Füße schmiss, als es Chefredakteur Henri Nannen eingefallen war, Franz Josef Strauß eine vierzehntägige Kolumne anzubieten.

So kam Kuby damals zum Spiegel. Und er schrieb ein Buch nach dem anderen: Zum Beispiel über Strauß’ Skandale das Buch „Im Fibag-Wahn oder Sein Freund, der Herr Minister“ (1962), „Die Russen in Berlin“ (1965), vor allem aber „Verrat auf deutsch. Wie das Dritte Reich Italien ruinierte“ – das war ein Text, den er zusammen mit Susanna Böhme, einer jungen Italien-Spezialistin, für den Stern recherchierte.

Erich Kuby hat nie weg-, sondern immer hingesehen und seine Befunde niedergeschrieben

Aber der Stern druckte den Bericht nicht – Kuby freilich blieb das Buch und Susanna Böhme als zweite Frau, mit der er alsbald einen Sohn Daniel hatte, der sich jetzt wenigstens freuen kann, noch so lange einen solchen Vater gehabt zu haben. 1983 schrieb Kuby über den Stern und die gefälschten Hitler-Tagebücher: „Der Fall Stern und die Folgen“; 1986 „Als Polen deutsch war 1939–1945“, und dann 1988 „Deutsche Schattenspiele“ und im Jahr darauf „Mein ärgerliches Vaterland“.

Kuby wusste bald gar nicht mehr, wie viele Bücher er geschrieben hatte und sagte, von einigen habe er nicht einmal mehr ein Belegexemplar. Ein ganz wichtiges Buch schrieb er 1996 über seine Familie: „Lauter Patrioten“. Unzählig sind auch die Hörspiele.

Als Erich Kuby 1957 das Buch „Das ist des Deutschen Vaterland“ geschrieben hatte, besprach es Friedrich Sieburg mit hoher Achtung und Lob in der FAZ unter dem Titel: „Der Donnerkeil des Plauderers“. Den Donnerkeil hat Kuby nie aus der Hand gelegt: er hat aber auch nur selten geplaudert

Manche, die nicht wissen, wovon sie reden, behaupten, Kuby sei ein Linker gewesen, gar ein Kommunistenfreund. Er war keines von beiden, sondern ein freier Mensch, der nicht weggeschaut hat und sich immer das Recht nahm, seine Meinung zu sagen. Da er seine Unabhängigkeit dokumentierte, die fast wie Arroganz anmutete, haben ihn viele angefeindet, fast gehasst und doch respektiert, denn er war nie bereit, sich auf faule Kompromisse einzulassen. Diese Stärke wuchs ihm nicht nur durch seine Intelligenz, seinen Eigensinn und seine Wut zu, sondern auch durch seine Privilegien, die seine frühen Wege begleitet und viele Steine beiseite geräumt hatten. Das schafft Sicherheit, die sich die meisten anderen auch nicht erschwitzen konnten.

Zuletzt schrieb Kuby jahrelang seine Kolumne „ Der Zeitungsleser“ in der vorzüglichen Berliner Wochenzeitung Freitag, wo sie indes nicht die Beachtung fand, die ihr gebührt hätte. In der letzten Zeit war Kuby, schon in den Neunzigern, müde geworden. Jetzt ist er bei Frau und Sohn in Venedig still eingeschlafen – ein großes Journalistenleben ist zu Ende.

Wir dürfen ihn nicht vergessen.