Deutschland ist führerlos: Wir werden alle sterben!

Die Polizei schießt auf Plünderer und in der Ferne brennt mal wieder der Reichstag – gähn! Woche eins im Failed State Deutschland.

Ein schwarz gekleideter Christian Lindner geht im Dunkeln an einer Mauer entlang, auf die er einen dunklen Schatten wirft

Auch der Eingang zur CDU-Parteizentrale hat sich verändert Foto: Photocase / jock+scott

Als Erstes sage ich den Arzttermin ab, den brauche ich ja nun nicht mehr. Schließlich gibt es nichts Dämlicheres, als gesund zu sterben – das war auch stets der einzige Grund für mich, nicht in den Krieg zu ziehen, obwohl ich sonst nichts lieber täte. In den Krieg gegen Assad, in den Krieg gegen die Fifa, in den Krieg gegen Christian Lindner.

Denn der drollige Dressman aus Wuppertal hat entschieden: Wir werden alle sterben! Egoistisch hat er den Karren gegen die Wand gefahren. Seine volle Hose, die er hinter angeblicher Prinzipientreue vor uns versteckt wie ein beschämter Inkontinenter vor den Pflegekräften, führt unser Land in ein Chaos, gegen das die Weimarer Republik ein Plenum der Eltern von Bullerbü gewesen sein wird.

Warum hat er nicht einfach etwas gegen seine Angst genommen, so wie wir alle: Heroin, Alkohol, Valium? Immerhin wäre es nicht verboten, unter Drogeneinfluss zu regieren. Nun haben wir den Salat, und der ist angemacht mit einem Armageddon-Apokalypse-Joghurt-Dressing.

Innerhalb weniger Tage, ach was: Stunden, wird in unserem Land die Ordnung gefleddert wie ein toter Büffel, um den sich sukzessive die Löwen, die Geier, die Hyänen, die Schakale, die Marabus und die AfD streiten. Schon am Morgen eines „Tages des tiefen Nachdenkens“ (Angela Merkel) genügt ein Blick aus dem Fenster, um zu sehen, dass es sich beim sogenannten Nachdenken um eine unwiederbringliche Gehirnfunktion von vorgestern handelt. Durch die einspurige und frisch zur Fahrradstraße umgewidmete Neuköllner Weserstraße liefern sich zwei schwarze SUVs ein gnadenloses Rennen. Motoren heulen auf, die Kinder juchzen. Denn es sind keine jugendlichen Heißsporne, sondern Muttis, die ihre Kleinen zur Schule fahren, damit sie noch ganz schnell so viel wie möglich lernen.

Sie sollen es nämlich mal besser haben, und das geht von nun an nur noch, wenn sie das Land verlassen, und zwar egal wohin, nur Hauptsache, bald, ehe sämtliche Nachbarländer den Braten riechen und die Grenzen dicht machen. Da haben wir dann unsere Obergrenzen, da hat es sich dann ausverhandelt. Die einzigen Verhandlungen, die in Kürze noch zählen, sind die, wer der Stärkere ist und wer wen zuerst fressen darf. Wo eben noch der Kapitalismus regierte, hat von nun an der Kannibalismus das Sagen. An der Ecke wird zwar gerade unter den panischen Schreien – „Hilfe!“, „Neuwahlen!“, „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ – der führerlosen Bürger der Bioladen geplündert, doch die Vorräte der Geschäfte werden ja in absehbarer Zeit erschöpft sein.

Das Militär schleppt die Biomöhren fort

Innerhalb weniger Stunden wird unsere Ordnung gefleddert wie ein toter Büffel

Und Nachschub wird es nicht geben. Kein Land wird mit diesem quasi nur noch rudelartigen, komplett unverbindlichen Gebilde ohne jede Regierung Handel treiben, geschweige denn diesem Failed State Kredit gewähren. Die Polizei schießt auf die Plünderer, um ihnen die Waren zu entreißen, und das Militär erschießt wiederum die Polizei und schleppt selbst die Biomöhren fort. Denn sie alle haben Familien zu Hause, jeder ist sich selbst der Nächste, in der Ferne, gähn, brennt mal wieder der Reichstag. Es hat sich also kaum gelohnt, den wiederaufzubauen: In Zukunft sollte man vorher immer Christian Lindner fragen, dann kann man sich die Mühe nämlich sparen.

Doch hie und da nimmt die Endzeitstimmung auch schöne, rührende, geradezu versöhnliche Züge an. In den Parks verteilen die Dealer ihren Stoff umsonst – daneben kopulieren in Sichtweite Füchse mit Kaninchen und Nebelkrähen mit leeren Keksschachteln.

Nach einer Minderheitsregierung sieht das jedenfalls nicht aus. Eher nach Fun, zum Teil aber auch nach tiefer, echter Zärtlichkeit.

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Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.

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