Pro und Contra Kunstaktion in Bornhagen: Ein Mahnmal neben Höckes Haus

Das Zentrum für Politische Schönheit observiert seit Monaten das Haus des AfD-Politikers. Die Aktion sorgt für geteilte Meinungen.

Betonstelen im Vordergrund, dahinter ein rustikales Holzhaus

Mahnmal in Bornhagen, Thüringen Foto: Patryk Witt / Zentrum für Politische Schönheit

24 Stelen ragen im thüringischen Bornhagen auf – auf einer Wiese, Zaun an Zaun mit dem Grundstück des AfD-Politikers Björn Höcke. Es handle sich um eine „Außenstelle“ des Denkmals für die ermordeten Juden Europas, erklärt das Künstlerkollektiv Zentrum für Politische Schönheit (ZPS).

Seit etwa zehn Monaten habe man das Grundstück angemietet, als Reaktion auf Höckes deutschlandweit bekannt gewordene Rede in Dresden. Darin hatte er das Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert. Zudem habe man den „Zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz Thüringen“ gegründet, um Höcke im Auge zu behalten, erklärte das ZPS. Das Ziel? „Seit 6 Uhr heute früh wird zurückgedacht“.

JA

Es sei die falsche Zeit für eine solche Aktion, sagen manche. Jetzt, wo endlich mal nicht alle nur über die AfD reden. Die Partei und die Person Höcke würden dadurch nur aufgewertet. Es sei unangebracht, das Gedenken an die von den Nazis ermordeten Jüdinnen und Juden für politische Zwecke zu instrumentalisieren, sagen andere.

„Ein Mahnmal sollte ein Ort der Würde für die Opfer sein, nicht für politischen Klamauk“, twittert etwa der Journalist Philip Meinhold. Ein durchaus wichtiger Satz – doch die Aktion des Zentrums für Politische Schönheit ist mehr als nur Klamauk. Und sie adressiert mehr Menschen als nur den AfDler Björn Höcke.

Es geht um eine grundlegende Frage: Was ist uns unser Gedenken wert? Was sind wir bereit, zu tun, um Geschichtsrevisionisten die Stirn zu bieten? Anfang diesen Jahres hatte Höcke das Denkmal in Berlin zu einem „Mahnmal der Schande“ erklärt und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert – unter dem tosenden Applaus des Publikums. Heute scheint der Fall ausdiskutiert und Höcke ist immer noch in der AfD, die inzwischen im Bundestag sitzt. Und zwar dank der Stimmen von 13 Prozent der Wählenden in Deutschland.

Eins scheint also leider sicher: Das Thema Erinnerungspolitik wird uns mindestens in der nächsten Legislaturperiode intensiv begleiten. Und das liegt nicht an Einzelnen wie Höcke, sondern an der viel zu großen wabernden Masse in Deutschland, die jetzt endlich mal einen „Schlussstrich“ ziehen möchte.

Sich an die Vergangenheit zu erinnern ist die Grundlage dafür, für die Zukunft Verantwortung zu übernehmen. Diese Verantwortung geht uns alle an – und nicht nur diejenigen, die ohnehin nicht das Problem sind. „Die Erinnerung muss gerade in den braunen Ecken des Landes in Beton gegossen werden“, erklärt Philipp Ruch, künstlerischer Leiter des ZPS.

Dann ist da noch das Argument, selbst ein Höcke habe das Recht auf Privatsphäre. Höckes genauer Wohnort ist der Öffentlichkeit allerdings spätestens seit 2015 bekannt – und zwar auch durch Interviews, in denen er das Haus in Einzelheiten selbst ausführlich beschreibt.

Am Ende geht es um die Frage, ob wir als Gesellschaft die unsägliche Diskussion, wie Höcke und Konsorten sie führen wollen, aussitzen und somit zulassen – oder ob wir ihr etwas entgegensetzen. Wir sollten uns für Letzteres entscheiden. Dafür mag es unterschiedliche Formen geben, nicht alle werden allen gefallen. Aber das trifft auch für Projekte wie die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig zu. Die Frage lautet, um noch einmal Phi­lipp Ruch zu zitieren: „Sind wir eine wehrhafte oder eine wehrlose Demokratie?“

Dinah Riese

NEIN

Die Mahnmal-Aktion ist, kurz gesagt, genial. In Sachen Timing ist sie leider trotzdem komplett missglückt.

Vielleicht erinnern Sie sich, vor anderthalb Jahren sagte der damalige AfD-Vize Alexander Gauland in einem FAZ-Interview irgendetwas Plattes über Fußballprofi Jérôme Boateng und Nachbarn. Vielleicht erinnern Sie sich auch nicht – um so besser. Damals verschaffte sich die Springer-Boulevardzeitung B.Z. jede Menge Sympathien mit einer Titelseite voller Klingelschilder. Namen von Promis, die erklärten: Ich hätte Boateng supergerne als Nachbarn.

Das waren Zeiten, da waren derlei Provokationen neu und verunsichernd. Man freute sich über bildgewaltige Aktionen, die sagten: „Die Mehrheit ist dagegen – und obendrein noch kreativer als ihr.“ Die AfD derweil freute sich. Jede noch so erwartbare Botschaft bekam tagelang Presse. Das daraus folgende Dilemma (Ignorieren vs. Adressieren) beschäftigte uns noch bis zur Bundestagswahl.

Seither aber hat sich die öffentliche Diskussion gedreht. Seit Beginn der Jamaika-Sondierungen ist die AfD kaum Thema gewesen. Plötzlich geht es vorwiegend um politische Inhalte, um die Unvereinbarkeit von Grundsätzen bei den verschiedenen Parteien. Es geht um Einwanderung, um Steuer- und Rentenpolitik. Und seit Sonntagabend geht es zudem um fundamentale Fragen, die die repräsentative Demokratie betreffen. Kurz: Es gibt plötzlich den politischen Streit, dessen Fehlen im Wahlkampf und davor so häufig beklagt worden ist. Und die AfD? Die geht unter.

In diese Situation nun platzt das Zentrum für politische Schönheit mit einer Aktion, deren Anlass seit fast einem Jahr verstrichen ist. Die in ihrer Art und Weise so was von 2016 ist: Eine aufwendig organisierte Überreaktion auf die kalkulierte Grenzüberschreitung eines Popstars für Neonazis.

Höcke soll sich durch einen Kniefall vor dem Mahnmal „läutern“? Die AktivistInnen drohen mit der Preisgabe „pikanter Details“, an die sie durch Überwachung gekommen sein wollen. Kann man den Mann noch wichtiger nehmen? Kann man ihm eine bessere Opfervorlage geben?

Sollte es nach dem Scheitern von Jamaika Neuwahlen geben, dann kommt es in den nächsten Wochen vor allem darauf an, welche Parteien die Ausnahmesituation für sich kommunikativ klug nutzen. Wer auf jeden Fall versuchen wird, sich mit jedem nur denkbaren Mittel vor die Kameras und Mikrofone zu werfen, ist die AfD. Dabei muss man ihr nicht noch helfen. Gut, all das konnten die InitiatorInnen nicht ahnen, als sie vor zehn Monaten mit dem Projekt begannen. Aber für missglückte politische Kommunikation gibt es eben keine Aus­reden.

Peter Weissenburger

Anm. der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die Stelen seien aus Pappmaché. Dies beruhte auf einer dpa-Meldung. Die zuständige Polizeidirektion konnte am Donnerstagmorgen auf taz-Anfrage noch nicht angeben, ob es sich um Beton, Pappmaché oder ein anderes Material handelt.

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