Trüffel und Büchsenfraß

„Systemstörung“, eine Labelgeschichte des Westberliner A&R-Managers und Hausbesetzers Karl-Ulrich Walterbach und seiner Plattenfirmen

Auf den Hund gekommen: Karl-Ulrich Walterbach und sein Autor David E. Gehlke Foto: Martin Becker

Von Frank Schäfer

So um 1985 schickte ich dem Westberliner Label Noise das Demotape meiner Band Adrenalin. Wir hatten zuvor in wahnhafter Hybris ein Studio angemietet, vier Songs eingetrümmert und fühlten uns qualifiziert für höhere Aufgaben. So wunderte ich mich überhaupt nicht, dass der Westberliner A&R-Manager Karl-Ulrich Walterbach mich um Rückruf bat. Ich ließ ihn ein paar Tage zappeln, beim Telefonat schiss er mich dann nach allen Regeln der Managerkunst zusammen.

Seit der Lektüre von David E. Gehlkes „Systemstörung. Die Geschichte von Noise Records“ muss ich dem Himmel danken, dass er uns einst wie eine Fliege vom Tellerrand verscheuchte. Walterbach zog sie alle über den Tisch: Celtic Frost, Kreator, und Helloween, große Namen des Metal. Immer dasselbe Muster: Eine naive Band liest den Vertrag nicht, weil sie davon träumt, ein Album zu veröffentlichen, findet sich nach zermürbenden Touren und Studiodates auf dem Cover eines Musikmagazins wieder und wundert sich, warum sie trotzdem von Büchsenfraß leben muss, während der Chef seine Kunstsammlung erweitert.

Wie mies so ein Plattenvertrag bei Walterbachs Label Noise aussah, darüber hätte man von Gehlke gern mehr erfahren, offensichtlich haben alle Interviewten seiner Oral History Stillschweigen vereinbart – oder dem Autor fehlte der Mut für investigative Recherchen. Einzig Martin Walkyier, Sänger der Pagan-Thrasher Sabbat, bezeichnet den Deal, den ihnen Walterbach unterjubelte, als „Kindesmissbrauch“. Der Sänger Mille von Kreator exkulpiert dagegen alle Demütigungen nachträglich. Walterbach hat ihm ein Schicksal als Malocher erspart, einem Altenessener Plebejer genügt das für lebenslange Dankbarkeit.

Selbst gebaute Bombe

Aber Gehlke will die Noise-Label-Geschichte natürlich nicht nur als Business-Schmierenstück in diversen Akten erzählen, er ist viel zu sehr Fan, um nicht immer wieder niederzuknien vor Walterbachs Verdiensten für das Genre. Es beginnt mit Punk. Der Hausbesetzer, der 18 Monate abgesessen hat, weil er am Tag nach Ulrike Meinhofs Tod im Gefängnis, 1976, mit einer selbst gebauten Bombe erwischt wird, lässt sich Walterbach früh von den Briten the Damned, aber auch von der US-Hardcorepunkband Black Flag affizieren. Er organisiert Punkkonzerte und gründet bald darauf das Label Aggressive Rockproduktionen, das mit den beiden Samplern „Soundtrack zum Untergang“ zunächst ein Augenmerk auf die westdeutsche Punkszene lenkt – Slime, Daily Terror und Hass feiern hier ihre Debüts. Später kommen Lizenzierungen von den US-Bands Hüsker Dü, Black Flag und den Angry Samoans dazu. Heavy Metal scheint Walterbach aber bald profitabler, das Genre paart die nihilistische Zerstörungswut von Punk mit dem Theaterdonner und der Verspieltheit von Siebziger-Rock und fordert die Musikkritik einmal mehr heraus. „Punk wurde allerorts gehasst“, diktiert der heute 64-jährige Walterbach dem Autor. „Als ich mit Metal anfing, wiederholte sich das Ganze, bloß in einem viel größeren Rahmen. … Was sollte das überhaupt sein? Schrott. Der Lärm der Arbeiterklasse.“

„Metal ist Schrott. Der Lärm der Arbeiterklasse“

Karl-Ulrich Walterbach

In England und wenig später in den USA konsolidiert sich die räudige Nietenszene sehr schnell – Deutschland hinkte wieder mal hinterher. Das zeigen Walterbachs erste Eigenproduktio­nen „Rock Blooded“ von Rated X und die „Rock from Hell“-Kompilation. Beide stecken mit einem Ohr noch im Hardrock. Aber seine dritte Veröffentlichung „Death Metal“, ein weiterer Sampler, ist dann tatsächlich so was wie der Weckruf und enthält mit Hellhammer, Helloween und Running Wild drei Bands, die (nicht nur) Teutonen-Metal prägen sollten.

Am Beispiel der Band Hellhammer zeigt sich paradigmatisch Walterbachs Ingenium. Während noch Häme über die Schweizer ausgekübelt wird, hat er da bereits gehört, das sich die Nachfolgeband Celtic Frost zur vollen Blüte entwickelt, und weiß die nächste Metal-Generation zu schätzen, nämlich mit den entsprechenden Präfixen Black und Death. Man kann weitere Beispiele nennen: Kreator, Voivod und nicht zuletzt Helloween. Dass im mutwilligen Thrashgeballer ihrer frühen Jahre ein kreatives wie kommerzielles Potential schlummert, aus dem schließlich ein eigenes Subgenre – Power Metal – erwacht, hat Walterbach nicht gerade vorausgesehen, aber wohl doch irgendwie im Urin gehabt. Seine Trüffelschweinqualitäten in Verbindung mit seiner Halsabschneider-Chuzpe, die im kuriosen Widerspruch steht zur eigenen linken Vergangenheit, machen ihn zu einem dieser halbseidenen Impresarios, von denen die Rockgeschichte bereits einige kennt. David E. Gehlkes informierte, instruktive, allerdings syntaktisch und stilistisch bisweilen grotesk aus dem Ruder laufende Würdigung hat sich der Mann redlich verdient.

David E. Gehlke: „Systemstörung. Die Geschichte von Noise Records“. I.P. Verlag, Berlin 2017. 503 Seiten, 23,90 Euro