Neue Biografie über Ingeborg Bachmann: Als Dichterinnen wichtig waren

Ina Hartwig unternimmt essayistische Ausflüge in die Tiefendimensionen eines turbulenten Lebens und bedeutsamen Werks.

Porträt Bachmann

Ingeborg Bachmann auf einer undatierten Aufnahme Foto: dpa

Dieses Buch ist keine Biografie Ingeborg Bachmanns in dem Sinn, dass es Schritt vor Schritt und Kapitel für Kapitel rekonstruiert, wie das Leben der Dichterin vermutlich verlaufen ist. Für ein solches Unternehmen besteht gerade vier Jahre nach dem Erscheinen der wohl für einige Zeit maßgeblichen Biografie von Andrea Stoll eigentlich auch kein Bedarf.

Ina Hartwigs Zugriff in dieser Sammlung biografischer Essays und Interviews von Zeitzeugen ist persönlicher – und entschlossen fragmentarisch. Sie legt von Punkten aus, die sie besonders interessieren, Sichtachsen in das vorhandene biografische Material, das sie durch eigene Befragungen und Begehungen angereichert hat und das sie einfalls- und einfühlungsreich interpretiert (besonders einleuchtend sind ihre feinmalerisch genauen ikonografischen Ausdeutungen von Fotografien der Dichterin).

Der erste Eindruck, den man bei der Lektüre dieses kaleidoskopischen Porträts gewinnen kann, ist ein kulturgeschichtlicher Kontrastschock. Hartwigs Buch führt einem, vielleicht ungewollt, den dramatischen gesellschaftlichen Bedeutungsverlust vor Augen, den die Literatur seit den frühen sechziger Jahren erlitten hat. Die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann gab sich damals nicht nur als internationale Diva, sie war auch wirklich eine. Die öffentliche Beachtung ihrer Kunst, ihre Einnahmen, die Tatsache, dass sie von einflussreichen Re-Education-Stiftungen und prominenten Politikern umworben wurde, ihre spektakuläre Wohnung in Rom, ihre öffentlichen Auftritte, ihre Partys, Freundeskreise, Ehen und Liebschaften, ihre Reisen, ihr Leben im Ausland, ihre Drogen- und Alkoholabhängigkeit – all das sind wir heute nicht aus der Berichterstattung aus dem literarischen Leben, sondern aus derjenigen über das Leben von Prominenten gewöhnt. Sogar Bachmanns Tod hatte eine unheimliche Ähnlichkeit mit den Presseturbulenzen, Grablegungen und Gedächtniskulten anlässlich des Ablebens einer Lady Diana Spencer.

Diesem unnatürlichen Tod und seinen Ursachen nähert sich Hartwig schon in ihrem ersten Kapitel. Zusammen mit der Regisseurin Ruth Beckermann, für deren Film „Die Geträumten“ (über den Briefwechsel Bachmanns mit Paul Celan) sie als Drehbuch-Co-Autorin tätig war, besucht Hartwig die römische Klinik, in der die schwer brandverletzte Dichterin an ihren Wunden und an den Entzugserscheinungen nach Ausbleiben der zuletzt offenbar mörderischen Alkohol- und Psychopharmakadosen starb.

Materialreiche Milieuschilderung

Ihre Technik ist eine reizvolle und aufschlussreiche Mischung aus autobiografischer Reflexion ihrer Rechercheerlebnisse und einer dichten Beschreibung dessen, was man über Leben und Tod Ingeborg Bachmanns schon weiß und seit der Biografie Andrea Stolls weiter herausgefunden hat. Ein Glanzstück dieser Methode ist das letzte Kapitel des Buchs. Es beschäftigt sich mit der hoch ambivalenten Beziehung der Dichterin zu ihrem Vater, einem österreichischen Kriegsteilnehmer mit niedriger NSDAP-Mitgliedsnummer – und mit den katastrophischen Spuren, die diese Bindung in Bachmanns Leben und Werk hinterlassen hat. Man bekommt bei der Lektüre eine hohe Meinung von den literaturwissenschaftlichen Möglichkeiten, die psychoanalytisches close reading eröffnen kann, wenn dieser methodische Zugriff intelligent gehandhabt wird.

Ina Hartwigs schönes und melancholisches Buch ist weniger als eine amtliche Ingeborg-Bachmann-Biografie. Aber es ist zugleich auch mehr

Aber Hartwig beherrscht auch die Kunst der präzisen und materialreichen kulturellen Milieuschilderung, die sie beispielsweise in ihren Kapiteln über die Jahre Bachmanns im (bis 1954 sowjetisch besetzten) Wien der Nachkriegsjahre, über ihr Berliner Jahr als Stipendiatin der Ford-Stiftung und in den Passagen über ihre Stellung in der Gruppe 47 und im Kreis der SPD-nahen Intellektuellen um den Kanzlerkandidaten Willy Brandt unter Beweis stellt. Oft ausgehend von unscheinbaren Details, erhellt sie kulturgeschichtliche Hintergründe dieses Lebens – und sozusagen nebenher auch der Nachkriegsgesellschaften Österreichs, Deutschlands, der USA und Italiens.

Ina Hartwig: „Wer war Ingeborg Bachmann?“, Fischer, Frankfurt a. M. 2017, 320 Seiten, 22 Euro

Geheimes Motivationszentrum

Man sagt oft, es sei ein kulturpolitisches Merkmal der untergegangenen DDR gewesen, dass die Schriftsteller dort zwar unterdrückt und zensiert, aber dadurch wenigstens ernst genommen worden seien. Hartwigs essayistische Ausflüge in die gesellschaftlichen und kulturgeschichtlichen Tiefendimensionen des Lebens und des Werks von Ingeborg Bachmann können einen darüber belehren, dass es auch im Westen eine Zeit gegeben hat, in der man Literatur – und Literatinnen – als für die gesellschaftliche Herstellung von Demokratie, Freiheit und Westbindung zentral betrachtet hat. Vielleicht ist das das geheime Motivationszentrum dieses Buchs, das von einer prominenten Literaturkritikerin stammt, die seit einiger Zeit für die SPD auf dem Stuhl des legendären Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann sitzt.

In der platonischen Liebesgeschichte zwischen Henry Kissinger und der Dichterin – eine der zahlreichen Überraschungen, mit denen dieses Buch aufwartet – hat der Traum einer geglückten Verbindung von Geist und Macht im Westen ein politisch-biografisches Realsymbol. Nicht zufällig steht ein Gespräch mit dem uralten Kissinger im Berliner Hotel Adlon an seinem Ende.

Hartwigs schönes und melancholisches Buch ist weniger als eine Biografie. Aber es ist zugleich auch mehr, denn die Lektüre dieser Essays und Zeitzeugengespräche lohnt sich auch für Leser, die sich weniger für Ingeborg Bachmann als für die Geschichte unseres Landes interessieren.

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