Konferenz zum Antisemitismus: „Unbehagen am Jüdischen“

Nach Trumps Jerusalem-Entscheid brannten israelische Fahnen. Die Tagung des Netzwerks NEBA diskutiert aktuelle antisemitische Entwicklungen.

Ein grauhaariger Mann trägt eine blaue Kippa, die mit dem Davidstern bedruckt ist.

70 Prozent der deutschen Juden und Jüdinnen vermeiden erkennbare jüdische Symbole Foto: dpa

BERLIN taz | Der heutige Antisemitismus hat viele Gesichter. Eines davon zeigte sich in den letzten Tagen in Berlin, als in Reaktion auf Trumps umstrittene Israel-Entscheidung die israelische Flagge verbrannt und „Tod Israel“-Parolen skandiert wurden. Offenbar stammten die Demonstranten zu großen Teilen aus arabischen Kontexten. Vor diesem Hintergrund erscheint der Zeitpunkt der Konferenz über jüdische Perspektiven des Netzwerks NEBA am 14. Dezember in Berlin auf traurige Weise passend gesetzt: Der aktuelle Antisemitismus wird einer Bestandsaufnahme unterzogen – und es wird eine neue wissenschaftliche Studie zur Juden- und Israelfeindlichkeit von Geflüchteten in Deutschland vorgestellt.

Ein erster Blick auf die Antisemitismuswahrnehmung der Juden und Jüdinnen in Deutschland fällt vernichtend aus: 37 Prozent haben Angst vor körperlichen Übergriffen, 58 Prozent vermeiden aus Sicherheitsgründen bestimmte Stadtteile und 70 Prozent tragen wegen erwarteter Stigmatisierung keine äußerlich erkennbaren jüdischen Symbole, so fasst es ein Bericht im Auftrag des vom Bundestag berufenen Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus zusammen. Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, bezeichnet es als „skandalös und schmerzhaft“, dass sich jüdische Bürger*innen in Deutschland 2017 nicht sicher fühlen können. Rund 100.000 Menschen waren im Jahr 2016 Mitglieder in deutschen jüdischen Gemeinden.

Anetta Kahane, eine der Organisatorinnen der Konferenz und Vorstandsvorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, bezeichnet den Antisemitismus von Heute als „weltweites Unbehagen am Jüdischen“, dass sich in den unterschiedlichsten Formen bahn brechen kann, von diffusen Verschwörungstheorien gegenüber einer vermeintlichen jüdischen Machtelite, bis zur Israelkritik in „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Manier. Das zeigt sich auch sehr deutlich in den Sozialen Netzwerken, wo alle 83 Sekunden ein antisemitischer Post verfasst wird.

Besonders unbequem erscheint Antisemitismus, wenn er von Geflüchteten ausgeht – zumal diese oft selbst Diskriminierung ausgesetzt sind. Bisher beruhten diesbezügliche Diskussionen oft nur auf nicht belegten Vermutungen. Entsprechende Berichte über judenfeindliche Äußerungen unter arabischen Geflüchteten wurden dennoch von AfD-nahen Kreisen gerne für anti-islamische Parolen instrumentalisiert. Um über diese Tendenzen mehr Klarheit zu erlangen und auch mögliche Ansatzpunkte für pädagogische Arbeit zu identifizieren, hat der Antisemitismusforscher Dr. Günther Jikeli der Indiana University und der Universität Potsdam im vergangenen Jahr eine Pilotstudie durchgeführt.

2015 als Netzwerk mit dem Ziel gegründet, jüdische Perspektiven zum Thema Antisemitismus zu Erforschen. Gründungsmitglieder sind das Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ), das American Jewish Committee (AJC) und die Amadeu Antonio Stiftung (AAS), sowie engagierte Expertinnen und Experten. NEBA ist als Teil der deutschen Zivilgesellschaft politisch unabhängig.

Im Auftrag des American Jewish Committee (AJC) wurden mit 153 in Berlin lebenden syrischen und irakischen Geflüchteten aller Altersgruppen qualitative Interviews geführt. Dabei wurden weitverbreitete judenfeindliche Ressentiments deutlich. Neben einer kategorischen Ablehnung Israels sind antisemitische Verschwörungstheorien wie die des „reichen, mächtigen Juden“, oder des „Juden, der die heiligen Schriften verfälscht habe und den Propheten vergiften wollte“ sehr verbreitet. Die Studie ist nicht repräsentativ, gibt laut Jikeli aber ein Stimmungsbild dessen wieder, was bei vielen Menschen mit Migrationshintergrund aus dem arabischen Raum weit verbreitet ist.

„Demokratisches Armutszeichen für die Gesellschaft“

Viele dieser anisemitschen Tendenzen lassen sich auf die weit verbreitete anti-Israelische Grundstimmung in den jeweiligen Herkunftsländern zurückführen, erklärt die Direktorin des AJC Berlin Ramer Institute Deidre Berger. Die Verquickung von Nationalismus bei gleichzeitig fehlender geschichtlicher Bildung über den Holocaust ist dabei eine fatale Mischung. Wie können solche Ressentiments aktiv bekämpft werden? Auch darüber sprechen Expert*innen aus der Arbeit mit Geflüchteten auf der NEBA-Konferenz.

Wie bei allen Formen von Diskriminierung erscheint Bildung und Aufklärung sowie der Dialog auf Augenhöhe als Weg zum Ziel. Jüdische Integrationskurse und die Zusammenarbeit mit muslimischen Verbänden haben sich dabei in der Vergangenheit bewährt. Auch Vorschläge einer bewussteren Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, zum Beispiel durch Besuche des Holocaust-Museums im Intergrationskurs, werden befürwortet. Gleichzeitig sind auch die Sozialen Medien in der Verantwortung, Hasskommentare und Propaganda stärker zu zensieren.

Bei aller Aufmerksamkeit, die dank der vorgestellten Studie zu antisemitischen Tendenzen unter Geflüchteten verweist, sollte allerdings eins nicht aus dem Blick verloren werden: Die absolute Mehrzahl an antisemitisch motivierten Straftaten in Deutschland haben mit 94 Prozent nach wie vor einen rechtsradikalen Hintergrund.

Aber ob offen gewaltsam, oder latent und subtil – den einen Antisemitismus gibt es nicht. Dass er gleichermaßen gefährlich bleibt, egal in welcher Form er auftritt, ist eine der zentralen Aussagen der Konferenz. Denn letztendlich sei Antisemitismus kein Problem von geflüchteten Menschen und schon gar kein jüdisches Problem, sondern ein „demokratisches Armutszeichen für die Gesellschaft, die ihn zulässt“, fasst Mark Dainow zusammen.

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