Ende-Gelände-Aktivistin über die Zukunft: „2040 haben wir das Klima verheizt“

Weil sich die Bilder von Tagebaubesetzungen langsam abnutzen, diskutieren die Aktivisten von „Ende Gelände“ neue Aktionsformen. Ein Gegner ist die Autoindustrie.

Ein Mann trägt einen bunte Hut mit einem Schild, auf dem Ende Gelände steht

Ein Hut ist zu wenig: Wie geht es mit Ende Gelände weiter? Foto: dpa

taz: Frau Vries, Sie haben Anfang November die erfolgreichste Aktion von Ende Gelände hinter sich gebracht. Soll man aufhören, wenn es am schönsten ist?

Insa Vries: Nein. Wir haben gerade den bisherigen Höhepunkt der Anti-Kohle-Bewegung in Deutschland erlebt. Das liegt zum einen an der Größe der Aktion – im Rheinland haben sich 3.000 Leute für Klimagerechtigkeit eingesetzt …

ist das so viel? Beim Castor haben bis zu zehntausend Menschen die Züge blockiert.

Wir sind viel jünger als die Anti-Castor-Bewegung, die über Jahre gewachsen ist. Sie wurde außerdem stark von der Bevölkerung im Wendland getragen. Die Menschen in den Kohleregionen sind aber wirtschaftlich abhängig von der Kohle, das macht die Basis für den Protest schwieriger. Gerade vor diesem Hintergrund ist es sehr schön, wenn unsere AktivistInnen in Wohnungen in Bonn, Köln und im Hambacher Forst unterkommen können. Wir haben es im August und November so gut wie nie zuvor geschafft, uns mit anderen Akteuren zu verbinden, mit NGOs, Bürgerinitiativen vor Ort, Betroffenen und Graswurzelbewegungen aus der ganzen Welt.

War das bei der ersten Aktion 2015 noch anders?

Damals gab es schon seit Jahrzehnten den Kohlewiderstand im Rheinland und in der Lausitz. Wir haben uns zusammen mit diesen Gruppen gegründet, um das Thema Kohle auf eine bundesweite Ebene zu heben. Anfangs war Ende Gelände eine Kampagne, jetzt gibt es einen ganzen Prozess mit Gruppen in den meisten großen deutschen Städten, in denen sich Menschen für Klimagerechtigkeit organisieren und das Prinzip „Think Globally, Act Locally“ umsetzen.

Zum Beispiel?

Die Ende-Gelände-Gruppe aus München war aktiv in dem Bürgerentscheid für das Aus des Steinkohlekraftwerks München Nord. Die Regionalgruppen haben viel mehr als eine Massenkampagne das Potenzial, kleinere Kampagnen zu fahren und in die Gesellschaft zu wirken. Diese langfristige Klimabewegung wurde auch durch die Aktionen von Ende Gelände mit aufgebaut, viele Menschen wollten darüber hinaus aktiv sein. Parallel dazu ist der große diskursive Erfolg der Klimabewegung, dass man das Wort „Klimaschutz“ in Deutschland nicht mehr sagen kann, ohne über den Kohleausstieg zu sprechen.

24, ist Klima­aktivistin aus Berlin und eine der Sprecherinnen von Ende Gelände.

Und wenn, sofern es eine Regierung gibt, Beschlüsse zum Ausstieg kämen?

Was auch immer eine Regierung beschließt, es wird nicht reichen. Falls der Kohleausstieg 2040 kommen sollte, was nach jetzigem Stand fast überraschend wäre, ist das aus unserer Perspektive total verrückt: Dann haben wir das Klima faktisch verheizt. Deshalb müssen wir trotz solcher möglichen Beschlüsse weiter Druck aufbauen. Wenn wir jetzt lockerlassen, droht uns das Schicksal der Anti-Atom-Bewegung, die mit den Ausstiegsgesetzen stark an Mobilisierungskraft verloren hat.

Die Aktion diesmal war sehr routiniert. Der Überraschungseffekt ist weg, die Bilder gleichen sich. Läuft sich Ihre Aktionsform nicht irgendwann tot?

Die Aktionsform „ziviler Ungehorsam“, mit der wir uns der Klimazerstörung direkt in den Weg stellen, ist sehr identitätsstiftend für die Bewegung. Wenn wir in die Tagebaue gehen, ist es jedes Mal aufs Neue berührend und erschreckend zu sehen, was da passiert. Aber wir kennen aus sozialen Bewegungen auch die Dynamik, dass es irgendwann nicht mehr reicht, immer wieder dieselben Aktionen zu machen – obwohl sie inhaltlich nötig sind. Die spannende Frage ist, wie wir eine Vertiefung und Ausdifferenzierung der Bewegung mit Aktionen koppeln können, bei denen alle zusammenkommen und merken, wir sind viele und können viel bewegen.

Spielt die europäische Ebene dabei auch eine Rolle?

Wir haben dieses Jahr gemerkt, dass das größte Mobilisierungspotenzial nicht in der deutschen, sondern in der europäischen Bewegung liegt. Es gibt auch Steinkohle in Amsterdam oder mit der Transadriatic Pipeline neue Gasinfrastruktur, die in Süditalien gebaut werden soll, was genauso irre ist wie die Kohle hierzulande.

Wie ist die Situation in Polen und Osteuropa? Gibt es da auch eine Bewegung, die Schnittpunkte mit Ihnen hat?

In Tschechien fand dieses Jahr die erste Aktion unserer befreundeten Anti-Kohle-Bewegung statt. Sie haben ebenfalls einen Tagebau besetzt und damit gegen Erweiterungen und Neuaufschlüsse protestiert. 2016 haben wir schon gegen den tschechischen Käufer der Lausitzer Tagebaue zusammengearbeitet, EPH. Auch in Polen beginnen sich Menschen zu organisieren, das gesellschaftliche Klima ist dort aber sehr schwierig für Aktivist*innen. Wir versuchen, etwas von der Solidarität zurückzugeben, mit der viele dieser Bewegungen in den letzten Jahren bei uns waren, und unterstützen sie bei ihren Aktionen. Der Klimawandel kann nicht nur in den deutschen Braunkohlegruben aufgehalten werden, und wie gerade die Lausitz zeigt, geht es in den Konflikten oft um internationale Unternehmen. Wir brauchen eine internationale Klimagerechtigkeitsbewegung.

Was sind die nächsten Schritte, um die aufzubauen?

Das müssen wir jetzt zusammen entscheiden. Wir wollen ja nicht nur das Ende der Kohle, sondern eine Transformation des Systems. Das heißt für uns, keinen kapitalistischen Wachstumslogiken wie „höher, schneller, weiter“ zu folgen. Manche Bewegungen haben als einziges Ziel, immer größer zu werden. Aber das ist für uns kein Selbstzweck. Wir bemühen uns deshalb in unseren Strukturen sehr stark, dass sich alle einbringen können und dass wir Entscheidungen im Konsens fällen. Im Januar werden wir als Ende Gelände diskutieren, wie wir weitermachen. Außerdem wird es eine Strategiekonferenz mit anderen Akteuren der europäischen Klimaszene geben. Dort werden wir das ausdiskutieren und es wird sich zeigen, wo die Leute aktiv werden wollen und wie wir das alles zusammenbringen.

Wollen Sie sich weiter auf Kohle als zentrales Thema konzentrieren?

Grundsätzlich geht es uns um die Abkehr von wachstumsbasiertem Wirtschaften und der Ausbeutung von Ressourcen. Momentan machen wir das in erster Linie an der Braunkohle fest. Aber natürlich geht es um mehr: Manche Leute bei uns denken über die Agrarwende, andere über Flugverkehr oder die Verkehrswende nach. Wie wäre es, wenn es einen kostenlosen Nahverkehr gäbe? Dann gäbe es weniger Verbrennungsmotoren, gleichzeitig wäre es sozial gerechter. Oder überhaupt die Autoindustrie: Das ist ein riesiges Thema und für uns natürlich auch interessant.

Inwiefern?

Bei der Autoindustrie gibt es nach den Abgasskandalen ein öffentliches Verständnis, dass das, was dort passiert, total intransparent und ungerecht ist. Sehr wenige Leute verdienen sehr viel Geld und zerstören dabei das Klima, das die Grundlage für unser gemeinsames Leben ist. Aber alle institutionellen Akteure sind zu verstrickt oder trauen sich nicht zu sagen, dass wir uns von der Industrie in ihrer jetzigen Form perspektivisch werden verabschieden müssen. Die Diskrepanz zwischen dem, was notwendig ist, und dem Handeln von Staat und Konzernen ist ähnlich groß und ungerecht wie in der Kohleindustrie. Es bräuchte einen Graswurzel-Akteur, um das auszudrücken.

Es könnte also sein, dass Ihr nächstes Ziel die Autoindustrie ist?

Für 2018 ist das unwahrscheinlich. Aber der Moment wird kommen, in dem eine weitreichende Mobilisierung gegen diese Industrie möglich ist, die nicht nur Autos, sondern auch Skandale am Fließband produziert. Man müsste sich sehr gut überlegen, was die Ziele sind und wer bereits in diesem Feld aktiv ist: Die Verstrickung von Industrie und Staat müsste ins Visier genommen werden, nicht die kleinen Autofahrer, denen man sagt: Ihr seid schuld. Bei einer Blockade ihrer Autobahnen hört das Verständnis der Deutschen schnell auf.

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