Weihnachten jenseits der Tradition: „Oh du fröhliche, oh du seelige…“

Alle Jahre wieder schrecklich-schönes Fest mit Familie und Tanne? Das muss nicht sein. Drei Leipzigerinnen feiern Heiligabend anders.

Familie trägt gemeinsam einen Weihnachtsbaum

Da waren sie noch fröhlich: Familie beim Kauf eines Weihnachtsbaumes Foto: dpa

LEIPZIG taz | „Ich wohne zusammen mit meiner Frau in einer Doppelhaushälfte in Bad Dürrenberg. Auf dem Grundstück leben noch ihre Mutter, ihre jüngste Schwester und ihre Großeltern. Normalerweise kommen wir an Weihnachten alle bei meiner Schwiegermutter zusammen und essen gemeinsam. Später folgt die Bescherung. Doch als Straßenbahnfahrerin muss ich auch an Feiertagen zum Dienst.

Dieses Jahr habe ich nur am ersten Weihnachtsfeiertag frei. An allen anderen Tagen zwischen Weihnachten und Silvester arbeite ich. An Heiligabend beginnt meine Schicht mittags und endet abends um neun Uhr. Mich stört das nicht. Als ich mich für diesen Beruf entschieden habe, wusste ich, worauf ich mich einlasse. Im Sommer lagen Zettel aus, auf denen man eintragen konnte, wann man zwischen Weihnachten und Neujahr gerne frei hätte. Ich habe keinen ausgefüllt.

Weihnachten ist mir wichtig und trotzdem arbeite ich gerne an diesem Tag. Normalerweise ist es doch so: Die Leute wollen so schnell wie möglich von einem Ort zum anderen. Wenn dann etwas schiefläuft, sind sie sofort gestresst. Und auch für mich als Fahrerin ist die Arbeit manchmal anstrengend, vor allem im Berufsverkehr. Wenn ich dann am Hauptbahnhof einfahre, ist alles schwarz vor lauter Menschen.

Die 39-Jährige Straßenbahnfahrerin feiert Weihnachten normalerweise gerne klassisch mit Würstchen und Kartoffelsalat.

An Weihnachten läuft alles viel ruhiger ab und die Leute sind freundlicher. Je später es wird, desto weniger Menschen sind unterwegs. Ich mag diese friedliche Stimmung. Wenn ich dann durch die Stadt fahre und überall die erleuchteten Fenster sehe, ist das einfach schön. Dass ich das alles so entspannt sehen kann, liegt auch an meiner Familie: Weil ich arbeiten muss, feiern wir dieses Jahr amerikanisch. Geschenke gibt nicht an Heiligabend, sondern erst am Morgen danach. Ich bin sehr dankbar, dass sich alle meinetwegen darauf eingelassen hat.“

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„An Weihnachten haben wir frei“

„Jedes Jahr im Dezember fasten wir zu Ehren Gottes drei Tage lang. Von Dienstag bis Donnerstag stehe ich um 4.15 Uhr auf, um zu frühstücken und esse erst nach Sonnenuntergang wieder etwas. Ich freue mich richtig darauf, denn danach feiern wir das Ida-Ezi-Fest, das Fest des Fastenbrechens.

An diesem Tag kann man sich etwas schenken, muss es aber nicht. Als wir noch im Irak gelebt haben, bin ich immer zu meiner Oma gelaufen. Sie hatte immer etwas für mich. Dieses Jahr habe ich nichts bekommen. Und noch etwas ist anders: Im Irak haben wir nur mit unserer Familie gefeiert. In Leipzig treffen sich Jesiden aus der ganzen Stadt. Ich freue mich trotzdem. Ich mag es, wenn alle zusammenkommen und tanzen.

Die 16-Jährige ist Teil der religiösen Minderheit der Jesiden. Vor zwei Jahren ist sie mit ihrer Familie vor dem IS aus dem Irak geflohen.

Das Ida-Ezi-Fest ist eines unserer wichtigsten Feste, Weihnachten feiern wir dagegen nicht. Ich weiß aber, dass den Deutschen dieses Fest sehr wichtig ist. Unser Klassenlehrer hat uns erzählt, dass sie Plätzchen backen, ihre Familie treffen und sich gegenseitig beschenken. Und die Kinder öffnen jeden Tag diese Türchen. Das machen wir in der Schule auch. Ich war zum Glück vor Beginn der Fastenzeit an der Reihe.

Obwohl wir nicht feiern, mag ich Weihnachten. Denn dann haben wir frei. Ich habe auch schon etwas vor: Am 24. kommen meine Cousinen aus Bremen zu Besuch. Wir wollen zusammen in die Innenstadt shoppen gehen. Ich werde ihnen etwas kaufen. Und sie mir.“

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Im Rahmen der „Zukunftswerkstatt“ der taz erscheint jeden Freitag statt der Neuland-Seite eine eigene Seite für Leipzig, die taz.leipzig: geplant, produziert und geschrieben von jungen Journalist*innen vor Ort.

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„Die meisten fahren zu ihren Eltern“

„Weihnachten und Familie gehören für mich zusammen, obwohl ich das schon lange nicht mehr erlebt habe. Meine Eltern sind beide tot. Meine Mutter ist gestorben, als ich 15 Jahre alt war. Mein Vater 2012. Das Verhältnis zu meinem Vater war immer schwierig, aber bei meiner Mutter wurde klassisch mit Baum und allem Drum und Dran gefeiert. Dieses Gefühl von Geborgenheit und Gemütlichkeit vermisse ich bis heute. Was bleibt, ist die Sehnsucht, auch in einer Familie zu feiern.

Mittlerweile bin ich selbst Mutter – leider von Anfang an alleinerziehend. Marlin ist jetzt zweieinhalb Jahre alt und ich liebe ihn wirklich über alles. Aber nur mit ihm zu feiern? Ne, das wäre mir nichts. Am liebsten würde ich mit einem kleinen Kreis von Menschen feiern, die ich mag. Bei mir zu Hause, mit einem Weihnachtsbaum und gutem Essen.

Die 33-Jährige Alleinerziehende wünscht sich für ihren Sohn feste Weihnachtstraditionen, die jedes Jahr wiederkehren.

Doch die meisten fahren an Weihnachten zu ihren Eltern. Oder sie haben mittlerweile ihre eigene Familie. Und die, die Weihnachten mit Freunden verbringen, feiern meist mit einem festen Kreis an Leuten. Es hat sich bis jetzt nicht ergeben, dass ich Teil einer solchen Gruppe geworden bin. Und so schaue ich von Jahr zu Jahr, was ich mit Marlin machen kann.

Früher war das einfacher. Ich habe in WGs und Hausprojekten gelebt, da war an Weihnachten immer jemand da, der auch nicht nach Hause gefahren ist. Aber seit Marlin auf der Welt ist, funktioniert das nicht mehr. Die anderen konnten mit einem Kind nichts anfangen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich mir Weihnachten selbst organisieren muss. Man wird nur selten eingeladen. In den letzten beiden Jahren hatte ich Angst, mit meinem Baby alleine zu sein. Dieses Jahr feiere ich zusammen mit einem befreundeten Paar, das eine Tochter in Marlins Alter hat. Außer uns kommen noch die Großeltern des Mädchens und weitere Freunde, die Lust haben zusammen zu feiern. Darauf freue ich mich.“

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