Deutschland steht im Viertelfinale: Das Fußball-Mutterland gedemütigt

Deutschland schlägt England in einem rasanten und überzeugenden Spiel mit 4:1 - auch dank eines außerordentlichen Schiedsrichters. Und zählt jetzt zu den WM-Favoriten.

Ausgelassener Jubel: Lukas Podolski (oben) und Thomas Müller. Bild: dpa

BLOEMFONTEIN taz | Es ging ums Bestehen an diesem Sonntagnachmittag in Bloemfontein, ums Standhalten gegen England. Sie haben es geschafft, die Deutschen. Mit 4:1 haben sie ihr Achtelfinalspiel gewonnen. Und was wie eine Mutprobe begann, endete in einer schier gespenstischen Überlegenheit. Angstfrei präsentierte sich das Team. „Man hat die Überzeugung gespürt“, meinte Bundestrainer Joachim Löw. Die Deutschen sind wieder da, wo sie nach dem ersten Gruppenspiel gegen Australien waren: in aller Munde, wenn es um die Frage geht, wer denn wohl Weltmeister wird.

Standhaft, das war zunächst Miroslav Klose, der sich bei seinem 1:0 (20. Minute) und auch danach im Sturmzentrum wacker schlug gegen die breitbrüstige Innenverteidigung der Engländer. Standhaft, das war auch Bastian Schweinsteiger, der unglaublich viele richtige Entscheidungen traf und einmal mehr zum überragenden Spieler der Partie avancierte. Die Ideen zum 3:1 und zum 4:1 in der zweiten Halbzeit kamen von ihm.

Geschossen hat sie ein anderer Standhafter: Thomas Müller, einer jener Jungen, denen mentale Überforderung vorgeworfen worden war nach dem letzten Spiel. „Super gemacht“, sagte Müller über seine Auftritte. Er legte einen coolen Auftritt hin, zudem das 2:0 durch Lukas Podolski (32.) auf. Drei Tore hat der 20-Jährige, „der auch in solchen Spielen nie verkrampft“ (Löw), nun geschossen bei diesem Turnier. Damit dürfte er der Rolle des Perspektivspielers entschlüpft sein. Das ist auch Mesut Özil. Als Mannschaft ohne große Namen sind die Deutschen ins Turnier gegangen. Sie hat Gesichter präsentiert bei dieser WM, die man sich merken wird.

Deutschland - England 4:1 (2:1)

Deutschland: Neuer - Lahm, Mertesacker, Friedrich, Boateng - Khedira, Schweinsteiger - Müller (72. Trochowski), Özil (83. Kießling), Podolski - Klose (72. Gomez)

England: James - Johnson (87. Wright-Phillips), Upson, Terry, Ashley Cole - Barry - Milner (64. Joe Cole), Lampard, Gerrard - Rooney, Defoe (71. Heskey)

Schiedsrichter: Larrionda (Uruguay)

Zuschauer: 40.510

Tore: 1:0 Klose (20.), 2:0 Podolski (32.), 2:1 Upson (37.), 3:1 Müller (67.), 4:1 Müller (70.)

Gelbe Karten: Friedrich / Johnson

Nach dem 4:1 lief der Ball einmal minutenlang durch die deutschen Reihen. Jeder Ballkontakt wurde von den deutschen Fans gefeiert. Da war die Partie zu einer Demütigung für die Engländer geworden. Die haben auch deshalb verloren, weil bei ihren Angriffen meist nur ein oder zwei Spieler so richtig Fahrt aufgenommen haben. Die Deutschen dagegen liefen alle los, wenn der Ball im Mittelfeld erobert wurde.

Verschieben ist eines der Zauberworte des modernen Fußballs. Was die Mannschaft von Joachim Löw gezeigt hat, war Verschieben in Hochgeschwindigkeit. „Taktisch herausragend“, wie der Bundestrainer sich selbst lobte. Es hat die Mannschaft gewonnen, deren Trainer eine klare Spielidee verfolgt. Da müssen die Spieler so spielen, wie es der Bundestrainer will. In Englands Team durfte jeder so spielen, wie er immer spielt. Der Fußball von gestern hatte keine Chance.

Das nicht gegebene Tor für die Engländer. Bild: dpa

Und so wird sich am Ende außer in England keiner mehr fragen, ob es richtig ist, dass der Fußball menschlich bleiben soll. Das Bloemfontein-Tor der Engländer, das nach dem Anschlusstreffer durch Mathew Upson (36.) den Ausgleich in der ersten Hälfte bedeutet hätte, es wird nicht das einzige seiner Art bleiben. Fifa-Präsident Sepp Blatter hat jüngst erklärt: „Bei jeder Technologie entscheidet am Schluss ein Mensch. Wieso sollte man also die Verantwortung des Schiedsrichters jemand anderem übertragen?“ Schiedsrichter Jorge Larrionda aus Uruguay hat festgestellt, das der Schuss Frank Lampards, der einen halben Meter hinter der Linie aufkam, nicht im Tor war. So brutal kann Menschlichkeit sein. Mensch Larrionda! Englands Trainer war außer sich. Für ihn war das nicht gegebene Tor der entscheidende Unterschied. Man habe gegen eine Gang von fünf Schiedsrichtern gespielt.

Dass die Deutschen auch nur Menschen sind, das betonte der überragende Thomas Müller nach dem Spiel. Er sagte auf die Titelchancen der Deutschen angesprochen: „Alles ist möglich.“ Und fügte hinzu: „Aber wir sind auch nur eine Mannschaft, die aus Menschen besteht.“ Diese Menschen waren an diesem Abend brutal gut.

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