Kommentar Neue linke Volkspartei: Potenzial schon ausgeschöpft

Eine neue Linke muss her, meint Sahra Wagenknecht. Doch die SPD ist längst nicht so kaputt wie andere europäische Sozialdemokraten.

Die Linke Politiker Oskar Lafontaine, Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht und Matthias Höhn nehmen im Kosmos in Berlin am Jahresauftakt "Aufbruch für soziale Sicherheit" der Linken teil

Ist die neue Linke gleich die alte Linke? Viel mehr als für die aktuelle Partei ist wohl nicht drin Foto: dpa

Eine neue Linke muss her, als Sammelbewegung, mit dem Attribut „neu“ versehen, um das Alte hinter sich zu lassen. Eine Volkspartei soll es auch gleich sein.

So formulierte es kürzlich Sahra Wagenknecht, die, man soll das nicht ganz außer Acht lassen, ja immerhin noch Fraktionschefin einer existierenden Partei ist. Und man kann gewiss auch die Frage aufwerfen, ob ausgerechnet Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und ihre Mitstreiter im Geist des linken Retrotums und Provinzialismus gepaart mit Sektierertum nicht die falschesten Protagonisten eines solchen Projektes wären.

Aber, mal ganz unabhängig davon: Ist ein solches Projekt grundsätzlich überlegenswert? Ganz generell ist es das natürlich. Alles hat seine Zeit, und nichts ist von Dauer. Es gibt ausreichend Verdruss in der Bevölkerung am routinierten Geschehen in lang existierenden Apparatparteien, sodass alles, was neu ist, schon deshalb gut ankommt – besonders dann, wenn es einen politischen Raum für eine Neugründung gibt, der groß genug ist.

In Griechenland hat eine Partei, die zwar schon länger existierte, aber in den Nullerjahren an Dynamik gewann, die Sozialdemokratie faktisch ersetzt und ist zur regierenden Volkspartei geworden – Syriza. Auf ganz andere Weise spielte Emmanuel Macron in Frankreich auf derselben Neugründungsklaviatur und gründete En Marche, eine Bewegung der sozialliberalen Mitte, die tatsächlich das politische Zentrum eroberte, aber auch die französischen Sozialisten faktisch zertrümmerte.

Es wäre absurd, Überlegungen wie die von Sahra Wagenknecht als utopisch abzutun, angesichts einer Volatilität des politischen Systems und einer grassierenden Schwäche der sozialdemokratischen Parteien, die sich an vielen Stellen zeigt. Zur Erinnerung: Die einst stolze niederländische Sozialdemokratie ist heute nur mehr eine Splitterpartei mit einstelligen Wahlergebnissen.

Zugleich ist die deutsche SPD, bei aller Schwäche, noch nicht so k. o. gehauen wie die genannten Schwesterparteien es sind, und auch die Grünen haben ihr gewachsenes Potenzial. Eine neue Linksformation liefe angesichts dieser Lage eher Gefahr, auch nichts anderes zu sein als das, was die Partei Die Linke heute schon ist: eine dritte Formation Mitte-links mit einem Potenzial von 15 Prozent. Also weit davon entfernt, die dominante Kraft links der Mitte und damit Volkspartei zu sein.

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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