AdK-Veranstaltungsreihe Koloniales Erbe: „Schlimmste Verbrechen“

Eine Veranstaltungsreihe der Akademie der Künste beschäftigt sich mit postkolonialem Erbe auf juristischer und künstlerischer Ebene. Das erste Symposium kuratiert Wolfgang Kaleck.

Still aus „Im Schiffbruch nicht schwimmen können“. Film von Marcel Odenbach, der bei der Veranstaltungsreihe gezeigt wird Foto: Marcel Odenbach/VG Bild-Kunst, Bonn 2018

taz: Herr Kaleck, Sie kuratieren das Symposium „(Post-)Koloniales Unrecht und juristische Interventionen“. Warum ist eine solche Veranstaltung wichtig?

Wolfgang Kaleck: Viele betrachten den Kolonialismus als eine abgeschlossene Periode der Vergangenheit, die mit unserer heutigen Zeit nichts mehr zu tun hat. Das ist aus juristischer Perspektive aus zwei Gründen falsch. Zum einen erheben Überlebende kolonialer Gewalt und ihre Nachfahren bis heute vor Gericht Ansprüche auf Entschädigung oder Strafverfolgung der Täter. Das sind nicht nur die Familien der Ovaherero und Nama aus dem heutigen Namibia, die gerade in New York gegen die Bundesregierung klagen. Es gibt auch Überlebende britischer Folter während des antikolonialen Widerstandskampfes in Kenia, die in London Schadensersatz einfordern; oder zur Kolonialzeit vergewaltigte Frauen aus Indonesien, die in den Niederlanden vor Gericht gezogen sind. Der zweite Grund und Schwerpunkt des Symposiums ist, dass das internationale Recht bis heute die westlichen Staaten bevorteilt. Die Länder des globalen Nordens legen das Völkerrecht so aus, dass es ihren Interessen dient und ihren Zugriff auf Rohstoffe im globalen Süden absichert.

Auch eine Jazzperformance von Frantz Fanons berühmtem antikolonialen Buch „Die Verdammten dieser Erde“ ist Teil des Symposiums. Wieso spielt Kunst bei dem Thema eine Rolle?

Als European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) versuchen wir, strukturelle Probleme und ihren Kontext aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und öffentlich zu behandeln. Natürlich hat das Ganze eine juristische Dimension, aber wir sind der Meinung, dass dieses Problem nicht nur juristisch gelöst werden kann. Die Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste ermöglicht einen weiteren Blickwinkel auf (post)koloniales Unrecht.

Das Symposium findet am 26. und 27. Januar in der Akademie der Künste statt. Der Eintritt ist frei, um Anmeldung wird gebeten. Auf dem Facebook-Account der AdK gibt es einen Livestream.

Das Kulturprogramm Neben Podiumsdiskussionen zu Völkerrecht und juristischen Interventionen in postkolonialen Kontexten gibt es ein Jazz­konzert, Filmvorführungen und einen Leseraum.

Die Veranstaltungsreihe Das Symposium ist Auftakt der Veranstaltungsreihe „Koloniales Erbe/Colonial Repercussions“. Das vollständige Programm auf adk.de/koloniales-erbe. (taz)

Das Symposium ist Teil der Veranstaltungsreihe „Koloniales Erbe“. Wo sehen wir koloniales Erbe in Berlin?

Da sind etwa die unsäglichen Straßennamen, die immer noch maßgebliche Betreiber der deutschen Kolonialpolitik ehren. Seit Jahren setzen sich Vereine wie Berlin Postkolonial dafür ein, diese Straßen umzubenennen, etwa im Afrikanischen Viertel im Wedding. Es ist erschütternd, wie lange das dauert. Dann gibt es das Humboldt-Forum, wo Berlins „außereuropäische Sammlungen“ ausgestellt werden sollen. Gleichzeitig bemühen sich die Nachfahren von Kolonisierten darum, die sterblichen Überreste ihrer Familien und geraubte Kulturgüter zurückzuerlangen. Daran sieht man, wie bürokratisch teilweise mit dem Unrecht der Kolonialzeit umgegangen wird. Anstatt sich bei solchen Streitpunkten auf juristische Argumente wie Verjährung zu berufen, sollten Politik und Kultur­institutionen besser sagen: „Selbst wenn es juristisch nicht geklärt ist: Wir erkennen an, was damals für ein Unrecht passiert ist und entschädigen Sie als Nachfahren jetzt dafür.“

Wenn Berlin tatsächlich alles an die Herkunftsländer zurückgibt, was durch Kolonialherrschaft hierhergelangt ist, was würde das für die Stadt etwa als Tourismusziel bedeuten?

Darüber mögen sich andere Gedanken machen. Mir geht es darum, dass das, was geraubt wurde, den Erben, Individuen oder Stammesgemeinschaften, zurückgegeben werden muss. Sicher ist das im Einzelnen nicht so einfach. Aber es fehlen Politiker_innen in verantwortlichen Positionen auf Landes- oder Bundesebene, die das klar vorantreiben, statt es immer wieder auf die lange Bank zu schieben.

Welche Rolle spielte Berlin für den Kolonialismus?

Die Deutschen waren sicher nicht die größte Kolonialmacht, doch sie besaßen eine ganze Reihe von Kolonien in Afrika und Ostasien, wo sie schlimmste Verbrechen begingen. Und dann gab es 1884/85 die Berliner Afrika-Konferenz: ein ganz schreckliches Datum, wo die europäischen Kolonialmächte Afrika unter sich aufteilten. Das hat bis heute Auswirkungen auf die Region.

Wie erreicht man mit diesem Thema Menschen außerhalb des akademischen Kontextes?

Wolfgang Kaleck, Anwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR)

Das ist eine pädagogische Aufgabe. Es gab 2016 im Deutschen Historischen Museum die Ausstellung über den deutschen Kolonialismus. Das ist schon mehr, als in Belgien oder in Großbritannien stattfindet, wo das bis heute Tabuthema ist. Und auf jeden Fall gehört der deutsche Kolonialismus in die Schulbücher. Die deutsche Geschichte hat nun mal viele dunkle Kapitel.

Hat sich das öffentliche Interesse in letzter Zeit verstärkt?

Sicherlich, denn je länger die Ereignisse zurückliegen, desto leichter ist es, sie zu historisieren. Am leichtesten fällt der Umgang mit der Geschichte, wenn überhaupt keine Konsequenzen mehr zu befürchten sind.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.