Kolumne Liebeserklärung: Endlich wieder radikale Studis

Gedichte-Übermalen muss man nicht gut finden. Aber die Studierenden machen genau das, was man immer von ihnen verlangt: das Maul auf.

Eine Zeichnung zeigt eine Comicfigur mit einer großen Blume

Blumen für die Studis Illustration: TOM

Fünfzig Jahre nachdem der beste Teil der akademischen Jugend aus dem Zombiefriedhof Nachkriegsdeutschland ein erträgliches Gebilde zu formen begann, müssen sich Studierende wieder „barbarischen Schwachsinn“ (Christoph Hein), pardon, andichten lassen.

Und zwar nicht deswegen, weil sie – wie ihre 68er VorgängerInnen – auf dem Weg hin zu einer freieren Gesellschaft tatsächlich auch einiges an barbarischem Schwachsinn getan, gesagt und geschrieben hätten; nein, die Studierenden der Alice Salomon Hochschule in Berlin haben lediglich in einem demokratischen Prozess sich des ohnehin problematischen Feldes Kunst am Bau angenommen – und eine Fassadenveränderung durchgesetzt.

Was sind das für Menschen, die finden, dass das Gedicht „avenidas“ von Eugen Gomringer dann auch mal seine Zeit an ihrer Hochschule gehabt hätte? Im Text einer taz-Kollegin wurden sie einmal so geschildert: „Es sind junge Männer und Frauen, manche von ihnen sprechen Deutsch mit Berliner oder süddeutschem Akzent, einige Englisch oder Französisch. Zwei Frauen diskutieren im Gang lebhaft über Teenagerschwangerschaften in Deutschland und England. Ihr Haar tragen sie offen, die Oberteile eng und die Röcke kurz.“ Sie sind es, die, wie es in einer Erklärung des Asta der Hochschule heißt, sich mit dem „Gedicht unwohl fühlen“ – und „gerne wissen wollen, warum es eigentlich da hängt und ob es nicht diskutiert werden könnte, an die Wand mal was Neues zu schreiben.“

That’s it. Zu dem Gedicht mag jede und jeder seine ganz freien, persönlichen Assoziationen haben. Mir zum Beispiel fallen die zärtlichen Verse von Robert Gernhardt ein: „Der Kragenbär, der holt sich munter / einen nach dem anderen runter.“ Obwohl mich mehr als ein paar Jahre von den Studierenden der Hochschule trennt, kann ich also nachvollziehen, was einen an Gomringers Gedicht an der Fassade stören kann. Dass ein kleiner, radikaler Teil der Studierenden tatsächlich mal wieder die Welt verändern will, anstatt sie nur zu interpretieren, das freut mich, gerade im Jubiläumsjahr 2018.

Und um die Verteidiger der Kunstgewerbefreiheit muss man sich keine Sorgen machen: Sie haben wie damals alle Waffen in den Händen, sich dem Wandel zu widersetzen.

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