taz-Serie Neu-Berlinern: Alles langsamer als in New York

Es sei hier so entspannt, sagt Dayoung Shin. Im achten Teil ihrer Serie trifft Henriette Harris die Architektin aus Südkorea.

Auf einer Baustelle

Nach New York ist jetzt Berlin für Dayoung Shin ihre Baustelle Foto: André Wunstorf

Dayoung Shin hat ­vorgeschlagen, dass wir uns im Bonanza ­Coffee Heroes in der Oderberger Stra­ße treffen. Die südkoreanische Architektin verschwindet aber gleich wieder mit dem Fotografen, und ich sitze erst mal allein im Café auf einem hohen Barhocker mit einem sehr guten Kaffee und einer Reihe von exotischen Magazinen vor mir.

Sie haben Namen wie Little White Lies, Damn und Lucky Peach. Das Letztere verspricht auf der Titelseite, dass es um „Food and Writing“, um Essen und Schreiben geht. Zwei Sachen, die ich sehr schätze. Und tatsächlich gibt es in dem Magazin einen interessanten Artikel über die Haenyeo-Taucherinnen auf der südkoreanischen Jeju-Insel. Ohne Sauerstoffflasche oder anderen Schnickschnack tauchen diese „Seefrauen“ ihr Leben lang, bis sie in den Achtzigern sind. Die Schalentiere, die sie dabei einsammeln, verkaufen sie an Restaurants. So bleiben sie ökonomisch unabhängig von ihrer Familie, auch im hohen Alter.

Ich bin im Artikel über diese harten Taucherinnen vertieft, als Dayoung Shin wieder zurück ist. „Hast du je von diesen Frauen gehört?“, frage ich. „Ja, klar“, sagt sie. „Meine Eltern haben zwei Jahre auf Jeju gelebt. Unglaublich dass es diese Frauen noch gibt.“

Dayoung Shin trägt wie wohl jede ernsthafte Architektin Schwarz und Grau. Aber ihr Auftreten hat nichts Düsteres, in seiner angenehm lachlustigen Kulanz. Auf perfektem Amerikanisch erzählt sie, dass sie 34 Jahre alt ist und dass sie im April ihre ersten drei Jahre in Berlin wird feiern können.

Durch die Welt

„Ich bin in Seoul geboren. Aber weil mein Vater Diplomat war, bin ich in Saudi-Arabien, Kanada, Frankreich, Japan und Sri Lanka aufgewachsen“, erzählt sie. „Zwischendurch haben wir natürlich in Seoul gelebt, wenn mein Vater zurück im Außenministerium war. Ich hatte eine wunderbare Kindheit. Und weil meine Eltern auch etwas alternativ waren, wurden ich und mein Bruder immer in die lokalen Schulen geschickt. Dadurch habe ich auch Französisch und Japanisch gelernt. Aber zu Hause haben wir immer Koreanisch gesprochen und koreanisch gegessen. Ich koche auch hier oft koreanisches Essen.“

Neu in der Stadt: Immer mehr internationale Zuzügler sind in den vergangenen Jahren nach Berlin gekommen. Sei es, weil die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen in ihren Heimatländern nicht mehr stimmen, sei es, weil sie beruflich oder privat an der Spree neu durchstarten wollen.

Die Serie: Was suchen und was finden sie in Berlin? Unsere Autorin Henriette Harris, die 2004 aus Kopenhagen nach Berlin kam, stellt die Neuankömmlinge an dieser Stelle einmal im Monat vor.

Im August 2001 zog Dayoung Shin fürs College nach New York. Wenig später erlebte sie Nine-Eleven, die Terroranschläge am 11. September, in ihrer neuen Stadt. „Ich war 17, und ich habe das Trauma mit den New Yorkern durchlebt. Ich dachte, dass ich da für immer bleiben würde. Aber ich denke, dass die Stadt sich durch die Ereignisse verändert hat. Oder ich habe mich verändert. Und 2014 fing ich an zu überlegen, ob ich irgendwo anders hingehen sollte“, sagt Da­young Shin.

Ihre Eltern hätten es gern gehabt, dass sie nach Seoul zurückkehrt. Aber ein paar dänische Architekten, die sie in New York kennengelernt hatte, waren nach Berlin gezogen, und sie spürte Lust, die Stadt zu erkunden.

„Ich kam erst nur, um den vibe zu erleben. Ich hatte überhaupt keine Ahnung von der deutschen Kultur oder der deutschen Sprache. Und dann habe ich natürlich den großen Fehler begangen, im Sommer zu kommen. Wo man keine Ahnung vom Winter hat“, lacht sie.

Müde von New York

Im Frühling 2015 ist Dayoung Shin nach Berlin gezogen, und sie bereut es nicht. „Weil ich in meiner Kindheit so oft umgezogen bin, habe ich oft das Gefühl gehabt, dass ich wieder bei null anfangen musste. Aber nach den vielen Jahren in New York war ich müde. Ökonomisch ist es da hart, genug zu verdienen. Ich habe mehrere talentierte Architekten gekannt. Wenn sie eine Familie gründen möchten, ziehen sie entweder weg aus New York oder sie geben ihre Karriere als Architekten auf. Sie werden dann Makler oder Geschäftsleute. Hier gibt es eine viel bessere Balance zwischen Freizeit und Leben. Ich kann sogar reisen, wenn ich möchte, weil ich jetzt das Geld dafür habe“, erzählt sie.

Als Dayoung Shin nach Berlin kam, hat sie erst eine Weile in einem Architekturbüro gearbeitet, dann gönnte sie sich eine Auszeit, um Vollzeit im Goethe-Institut Deutsch zu lernen.

„Es ist notwendig, die Sprache zu lernen, um die Kultur zu verstehen“, sagt sie. „Ich will es auch lernen, um mit meinen Nachbarn in Mitte reden zu können. Mein Niveau ist auch nicht mehr so entmutigend, wie es am Anfang war. Im Sprachkurs habe ich ganz zufällig unterschiedliche Leute kennengelernt, die ich sonst nie kennengelernt hätte. Manche sind immer noch meine Freunde.“

Nach der intensiven Beschäftigung mit der Sprache hat Da­young Shin wieder Arbeit gefunden. Ihr Traum ist es, eines Tages ihr eigenes Architekturbüro zu gründen. Aber erst einmal ist sie im Studio Other Spaces gut aufgehoben, das gemeinsam von dem isländischen Künstler Ólafur Elíasson und dem deutschen Architekten Sebastian Behmann gegründet wurde. Hier ist Da­young Shin Architektin in einem sehr interna­tio­nalen Team, ihre KollegInnen kommen aus den USA, Südafrika, Italien, Schweiz, Dänemark, Brasilien und Spanien.

„Es ist wahnsinnig inspirierend, dass wir so unterschiedliche Hintergründe und Na­tio­na­litäten haben. Wir arbeiten zum Beispiel an einem großen Projekt in Paris, für das wir zusammen mit dem Architekten David Chipperfield den Wettbewerb gewonnen haben – für den Umbau eines bestehenden Gebäudes. Dort entwickeln wir die Innenarchitektur für zwei Stockwerke. Das Projekt ist im Grunde ein Kunstwerk, aber es muss gleichzeitig funktionell sein“, sagt Da­young Shin. Man merkt, dass sie gern zur Arbeit geht.

Suche nach alten neuen Sachen

Wenn sie nicht arbeitet oder kocht, geht sie joggen oder besucht Galerien. Eine ihrer Favoriten ist die König Galerie in der ehemaligen Kirche Sankt Agnes in Kreuzberg. „Die Kirche ist in den späten 1960er Jahren gebaut worden, und es werden da immer inspirierende Ausstellungen gezeigt. Der Raum ist im ursprünglichen Format gehalten, mit einem idealen Licht für eine Galerie für moderne Kunst. Ich habe sie bei einem Gallery Weekend zufällig entdeckt“, sagt Dayoung Shin, und dass sie auch die Sammlung Boros im ehemaligen Bunker in der Reinhardtstraße mag.

„Überall in der Stadt findet man Reminiszenzen der deutschen Geschichte, und sie werden nicht einfach weggeschafft, sondern für neue Zwecke benutzt. Die alte Architektur wird akzeptiert und respektiert. Das finde ich großartig. In Südkorea baut man ständig Neues, die Leute mögen neue Sachen. Hier suche ich immer nach Relikten. Nach alten neuen Sachen“, sagt sie.

Berlin findet Da­young Shin real­ly chilled. „New York ist immer sehr belebt, alles geht schnell. Es gibt eine hohe Energie, viele Menschen, die immer Geschäfte machen. Auch wenn man hier – und das ist natürlich ein Stereotyp, aber so ist es – ziemlich genau mit den Regeln umgeht, finde ich, dass es viele warmherzige Menschen gibt. Alles ist langsamer. Das mag ich. Die kreativen Firmen experimentieren mehr. Man denkt auch an das öffentliche Interesse. Es gibt eine andere Attitüde. Das hat auch mich geändert“, sagt sie. Und dass ihre Eltern sie besucht haben und auch ganz begeistert waren. „Sie haben Berlin geliebt. Und sie fanden, dass die Stadt im Vergleich zu London und Paris total unterschätzt wird.“

Derzeit ist es unmöglich, eine junge Südkoreanerin zu treffen, ohne sie zu fragen, was sie über die Lage in ihrem Land denkt. Wo doch Donald Trump und Kim Jong Un ständig heftig im Hinterhof toben.

„Anfangs war ich wirklich besorgt“, sagt Da­young Shin. „Aber alles bewegt sich im gewöhnlichen Tempo da. Ganz normale Menschen in Seoul machen sogar Investitionen. Es ist, als ob die Spannungen schmelzen. Vielleicht ist das gemeinsame Team aus Nord- und Südkorea für die Olympischen Winterspiele in Pyeong­chang beim Fraueneishockey auch ein gutes Zeichen. Und Deutschland ist für uns das Musterbeispiel für eine Vereinigung der zwei Koreas. Viele machen sich Sorgen wegen der wirtschaftlichen Konsequenzen, die eine Vereinigung bringen würden, aber ich glaube, dass sie noch zu meinen Lebzeiten passieren wird. Viele junge Menschen wünschen sich das. Es gibt eine Sehnsucht danach, wieder ein Land zu werden.“

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