Kolumne Psycho: Kein Grund zum Glücklichsein

Wer erfolgreich ist, kann nicht depressiv sein. So denken zumindest einige Journalisten. Doch Suizidabsichten lassen sich nicht im Gesicht ablesen.

Michael Phelps küsst seine Goldmedaille

Michael Phelps küsst seine Goldmedaille, die er bei den Olympischen Spielen 2016 gewann Foto: dpa

Es gibt diese Tage, an denen ich in den Spiegel schaue und denke: „So ein Pech aber auch, dass ich heute raus muss. Hoffentlich sieht mich keiner.“ Dann gehen meine Unzulänglichkeit und ich in Jogginghosen einkaufen, und alle strahlen mich an und sind wahnsinnig nett. Ich kontrolliere dann immer in irgendeinem Schaufenster, ob ich vielleicht Zahnpasta im Gesicht habe. Habe ich aber nie. An anderen Tagen hingegen, an denen mein Konto gut gedeckt ist, ich innerlich zehn Zentimeter größer und mit der Gesamtsituation sehr zufrieden bin, werde ich vom Rest der Welt knallhart ignoriert.

Ich habe keine plausible Erklärung für dieses Phänomen, aber es legt zumindest die Vermutung nahe, dass das innere Befinden nicht zwangsläufig mit der Außenwirkung übereinstimmt. Womit wir beim Thema Promis wären, oder konkreter: Promis mit psychischen Problemen.

Die Welt begann etwa kürzlich einen Text über den Schwimmer Michael Phelps mit dem Satz: „Auf den ersten Blick können viele Menschen nicht verstehen, warum Michael Phelps einmal kurz davor war, Selbstmord zu begehen.“ Auf den ersten Blick kann ich nicht verstehen, warum Journalisten 2018 immer noch solche Sätze schreiben. Auf den zweiten Blick übrigens auch nicht. Aber Hauptsache, der Rest der Welt kann einem Menschen ansehen, ob er Suizidabsichten hat oder nicht.

Nur: Woran macht man so etwas eigentlich fest? Ah, da steht es ja, im zweiten Satz: „Der heute 32-jährige Amerikaner ist der erfolgreichste Olympionike aller Zeiten, gewann 23 Goldmedaillen.“ Und Erfolg macht ja, das ist schließlich hinlänglich bekannt, immun gegen Depressionen.

Ruhm und Reichtum sind kein Glücksgarant

Deshalb wundert sich der Autor eines Artikels auf n-tv.de auch darüber, dass die kürzlich verstorbene Cranberries-Sängerin Dolores O’Rior­dan bei einem Treffen 2012 einen sehr unglücklichen Eindruck gemacht habe. Denn schließlich „hätte die Sängerin allen Grund, glücklich zu sein“. Warum noch mal? „Unzählige Möchtegern-Popstars recken sich ihr Leben lang danach, ähnlich erfolgreich wie sie zu werden. O’Riordan, so wird gemunkelt, ist eine der reichsten Frauen Irlands – wenn nicht sogar die reichste.“

Vielleicht sind diese Sätze nur unüberlegte Floskeln, aber irgendwo haben ja selbst die ihren Ursprung. Und der Vorwurf, der dabei mitschwingt, lautet: Die haben doch alles, also sollen sie bitte aufhören, sich zu beschweren. Aber wenn sich selbst nach einem Lottogewinn innerhalb eines Jahres der ursprüngliche Glückszustand wiederherstellt, wie sollen Ruhm und Reichtum dann lebenslange Garantien für Glück und psychische Gesundheit sein?

Niemand sucht sich eine psychische Krankheit aus. Niemand kann sie mit bloßer Willenskraft eliminieren. Und es ist auch völlig egal, ob man Michael Phelps oder Dolores O’Riordan heißt – oder für den Rest der Welt ein Niemand namens Lieschen Müller ist.

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Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).

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