Kommentar Pflegebericht der Kassen: Sparen ist Gift

Der Pflegeschlüssel und die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind katastrophal. Die Groko muss klären, wie sich das ändern soll.

Ein Schüler legt einem anderen ein Blutdruckmessgerät an

Hier üben die Pfleger von morgen Foto: dpa

Es gibt wohl kein Thema, bei dem Politiker so viel Angst vor der Wahrheit haben wie beim Pflegethema. Da wird jetzt mit den Plänen von Union und SPD Handlungsfähigkeit suggeriert, aber die Wirklichkeit verleugnet. Sie sieht so aus: In der Pflege lässt sich in Deutschland nur dann was verändern, wenn wir alle mehr Geld dafür bezahlen – ob als Beitrags- oder als Steuerzahler.

In Finnland und den Niederlanden werden 4 Prozent und mehr des Bruttoinlandsprodukts für die Langzeitpflege ausgegeben, in Deutschland hingegen nur 1,6 Prozent. Eins der reichsten EU-Länder knausert bei den Gebrechlichen und Dementen. Das ist die Wirklichkeit, und da nützt es nichts, ständig Empörungsdiskurse über den „Pflegenotstand“ zu führen, die keine praktischen Folgen haben. Mehr Geld ist nötig, um die Personalausstattung in den Heimen und damit die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten und die Lebensbedingungen für die Bewohner zu verbessern.

Das Aushandeln der Pflegeschlüssel ist ein Deal hinter verschlossenen Türen: Die Sozialbehörden, die Pflegekassen und die Heimbetreiber sitzen mit am Tisch. Alle wollen sparen: Die Sozialbehörden wollen keine bessere Personalausstattung, denn dann kommen auf die Sozialämter höhere Kosten für ärmere Pflegebedürftige zu. Die Pflegekassen möchten nicht mehr Geld fürs Personal aufwenden. Die Heimbetreiber wollen die Kosten niedrig halten. Die Angehörigen, auch das muss gesagt sein, möchten möglichst geringe Eigenanteile zahlen.

So kommt es zu Personalschlüsseln, die auch von gemeinnützigen Heimbetreibern abgenickt werden und in der Nacht Besetzungen vorsehen, wo eine Pflegekraft für 40 oder 50 BewohnerInnen zuständig ist. Das kann ein Albtraum sein. Es kommt zu Arbeitsbedingungen, die so verschleißend sind, dass die Heime nur noch 30-Stunden-Stellen vergeben. Das spart im Krankheitsfall an Lohnfortzahlung und ermöglicht flexibleren Einsatz. Niedriger Verdienst und später niedrige Renten sind die Folgen für die PflegerInnen.

Will die künftige Große Koalition glaubwürdig sein, muss sie möglichst rasch und konkret sagen, wie die Personalausstattung in der Pflege verbessert und vor allem wie und von wem das finanziert werden soll. Es reicht nicht, irgendwas für die weitere Zukunft zu versprechen. Andernfalls wird eine Regierung bei diesem Kernthema nicht ernst genommen. Und das ist Gift.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.