Täter oder Opfer? An Lula scheiden sich die Geister

Brasilianisches Gericht bestätigt die Verurteilung von Expräsident Lula wegen Korruption und erhöht sogar noch die Haftstrafe. Seine linken Fans sind empört, seine Gegner zufrieden

Gegen Lula: São Paulo, 24. Januar Foto: Cris Faga/Zuma/dpa

Aus Rio de Janeiro Andreas Behn

Zehntausende Demonstranten und die Belagerung des Gerichtsgebäudes im südbrasilianischen Porto Alegre konnten die Justiz nicht umstimmen: Einstimmig bestätigten die drei Berufungsrichter das erstinstanzliche Korruptionsurteil gegen Expräsident Luiz Inácio Lula da Silva. Sie folgten der Staatsanwaltschaft, die Lulas Verurteilung zu neuneinhalb Jahren Haft wegen der Annahme von Bestechungsgeld und Geldwäsche für zu milde hielt.

Nun muss der Held der brasilianischen Linken für zwölf Jahre und einen Monat hinter Gitter, sobald alle Berufungsoptionen der Verteidigung ausgeschöpft sind. Und Lulas erneute Kandidatur für die nächste Präsidentschaftswahl im Oktober steht erst einmal in den Sternen.

Lulas Arbeiterpartei PT kündigte an, dass die Kandidatur von Lula aufrechterhalten werde. „Es gibt keinen Plan B.“ Es gelte, die Demokratie gegen eine Justiz zu verteidigen, die den konservativen Kräften die Stange halte und den Brasilianern die Option, für Lula zu stimmen, nehmen wolle. Immerhin liegt der 72-Jährige in Umfragen weit vor allen Mitbewerbern. „Jetzt will ich Kandidat für die Präsidentschaft sein“, sagte Lula am Mittwochabend trotzig vor Tausenden Anhängern in São Paulo.

Doch das einstimmige Berufungsurteil wird dieses Vorhaben erschweren. Die Anwälte können jetzt nur noch Verfahrensfehler geltend machen. Es bleibt noch der Weg vor das oberste Gericht. In der Zwischenzeit aber könnte die Frist zur Einschreibung ins Wahlregister ablaufen.

Der Prozess wurde von einem großen Sicherheitsaufgebot begleitet. Den Demonstranten gelang es nicht, in die Sperrzone im Stadtzentrum zu gelangen. Auch in anderen Landesteilen kam es zu Demonstrationen beider Lager.

Wie bei der umstrittenen Amtsenthebung von Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff im Sommer 2016 stehen sich in Brasilien zwei politische Lager unversöhnlich gegenüber. Lulas Anwälte werfen der Justiz vor, im Einvernehmen mit der konservativen Regierung einen „politischen Prozess“ zu inszenieren, „um eine Rückkehr der PT an die Macht zu verhindern“. Es gehe ihnen nicht um die Bekämpfung von Korruption.

Richter João Pedro Gebran Neto, der dreieinhalb Stunden lang seine live im Fernsehen übertragene Urteilsbegründung verlas, argumentiert mit der Objektivität der Justiz. „Wir richten nicht über einen Namen oder eine Persönlichkeit, sondern über Fakten.“ Nach Meinung der Richter gibt es ausreichend Beweise dafür, dass Lula von dem Baukonzern OAS illegale Begünstigungen angenommen hat, in diesem Fall in Form der Renovierung und Überlassung eines Strandapartments in dem Ferienort Guarujá. Als Gegenleistung soll Lula seinen Einfluss beim halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras genutzt haben, um dem Baukonzern profitable Aufträge zuzuschustern.

Für Lula: Rio de Janeiro, 24. Januar Foto: Silvia Izquierdo/ap

OAS gehörte neben dem Konzern Odebrecht zu einem Kartell von Bauunternehmen, die in Petrobras überteuerte Aufträge beispielsweise zum Bau von Raffinerien oder Bohrplattformen erhielten. Den Extragewinn, für den schlussendlich die Staatskasse aufkam, teilten sie sich mit jenen Politikern, die solche Deals einfädelten.

In diesem Fall, der sich auf die Jahre zwischen 2010 und 2014 bezieht, räumten die Richter ein, dass es über direkte Gefälligkeiten Lulas gegenüber OAS keinen konkreten Nachweis gebe. Allerdings sei schon die Bereitschaft, Geld oder Geschenke von einem Konzern anzunehmen, als Korruption zu definieren.

Während Lula bestreitet, jemals Eigentümer der Immobilie gewesen zu sein, sondern nur kurzzeitig Interesse an einem Kauf hatte, zählten die Richter in ihrer Urteilsbegründung Zeugenaussagen auf: Funktionäre der Baufirma, die Lula und seine Frau im Apartment gesehen haben, mitangeklagte OAS-Manager sowie der Austausch von Kurznachrichten bei der Vereinbarung von Besichtigungsterminen. Zu den materiellen Beweisen zählen auch Dokumente zu der Wohnung, die beim Expräsidenten gefunden wurden. Zudem verweisen die Richter darauf, dass Lula aufgrund seiner Stellung als „Garant für das Funktionieren einer kriminellen Organisation“ fungierte.

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