Skulpturen von Kiki Smith in München: Die Muskeln der Jungfrau Maria

Körper, Frauen, Menschen: Das Haus der Kunst in München zeigt Werke der US-amerikanischen Künstlerin Kiki Smith aus vier Jahrzehnten.

„Lillith“, in talmudischer Überlieferung die erste Frau Adams, kauert nackt und kopfüber an der Wand

„Lillith“, in talmudischer Überlieferung die erste Frau Adams, kauert nackt und kopfüber an der Wand. Foto: Luise Glum

Ein Frauenkörper liegt auf dem Boden, eingerollt wie ein Embryo, blutüberströmt. „Blood Pool“ nannte Kiki Smith die Skulptur. Ihre provokanten und ehrlichen Darstellungen des Menschen charakterisieren mehr als vier Jahrzehnte des Künstlerischen Schaffens – jetzt sind sie zu sehen in der Ausstellung „Kiki Smith: Procession“ im Münchner Haus der Kunst.

Das, was sich sonst meist im Inneren des Körpers befindet, hängt nun an der Wand, in Galerie 1, die Kiki Smith’ frühem Werk gewidmet ist. Darunter „Digestive System“, ein lebensgroßes Replikat des Verdauungstrakts, und „Womb“, eine Gebärmutter aus Bronze. Kein ästhetischer Ansatz wird hier verfolgt, sondern ein klinischer. Smith will die Aspekte des Körpers ans Tageslicht bringen, die normalerweise dem Blick verwehrt bleiben, und so das gesellschaftliche Unbehagen vor der funktionalen Seite des Menschen herausfordern – egal ob es für den durchschnittlichen Museumsbesucher dabei auch mal eklig werden kann.

Sie zeigt, wie kulturelle Standards des Akzeptablen, Schönen oder Kranken am Körper ausgemacht und auf den Körper projiziert werden und wie der einzelne Mensch dabei im Zwiespalt zwischen eigener Identität und gesellschaftlichen Erwartungen zurückbleiben kann.

Nicht einfach der Körper, sondern der weibliche Körper ist spätestens seit Mitte des letzten Jahrhunderts Bühne für die Austragung gesellschaftlicher, politischer und religiöser Debatten. Es ist also nicht zufällig, dass auch Kiki Smith sich speziell mit dem Frauenkörper beschäftigt. Die Künstlerin rückt die besonders tabuisierten Prozesse des weiblichen Körpers, wie die Menstruation, in den Fokus und bricht in ihren Darstellungen mit den Erwartungen des Betrachters beim Anblick eines nackten Frauenkörpers in der Öffentlichkeit.

Kiki Smith: "Procession" bis 3. Juni, Haus der Kunst, München

Auch bedient sich Smith immer wieder weiblicher Figuren aus biblischen und mythologischen Kontexten, die die widersprüchlichen und vieldeutigen Rollen der Frau in der Geschichtsschreibung verkörpern. „Lillith“, in talmudischer Überlieferung die erste Frau Adams, kauert nackt und kopfüber an der Wand von Galerie 4. Gewöhnlich als eine dämonische Kreatur interpretiert, kann sie bei Smith jedoch als Symbol für die lange Tradition der Hexenverfolgungen und Skepsis gegenüber ambitionierten Frauen gesehen werden.

Im Zentrum von Galerie 1 befindet sich „Virgin Mary“, eine lebensgroße Frauenfigur aus Wachs in der Pose der Maria als Gnadenspenderin. Der Körper ist nicht nur nackt und haarlos, große Teile der Haut scheinen zu fehlen, sodass Muskeln und Sehnen sichtbar werden. Die Entblößung ihres Inneren verdeutlicht Marias vollständige Unterwerfung unter den Willen Gottes, während die Pose ihr eine eigene wichtige Rolle in den Narrativen der Erlösung einräumt.

Auch wenn der Körper nach wie vor ein zentrales Element bleibt, ist in Kiki Smith’ künstlerischem Schaffen Ende der 90er Jahre ein neuer Fokus auf Tiere und Natur, Mythen und Märchen erkennbar. Ihr Stil wird poetischer und zarter, sie verwischt die Grenzen zwischen Mensch und Tier und verortet den Menschen als mystisches Konstrukt.

Tote lebensgroße Krähen aus Metall liegen wie auf einem Schlachtfeld auf dem gesamten Boden verstreut, der Besucher läuft zwischen ihnen hindurch und über sie hinweg.

Während ihr früheres Werk die Organe umfasste, die Leben erhalten, sind nun existenzielle Themen wie Tod und Vergänglichkeit wichtige Motive. Ihre neueren Werke sollten jedoch nicht als unpolitisch missverstanden werden – Smith plädiert beispielsweise für mehr Respekt vor der Natur. Deutlich macht das die Installation „Jersey Crows“, mit der Smith an Pestiziden verendeten Krähen ein Denkmal setzten will.

Tote lebensgroße Krähen aus Metall liegen wie auf einem Schlachtfeld auf dem gesamten Boden verstreut, der Besucher läuft zwischen ihnen hindurch und über sie hinweg. Ihre traditionelle Symbolik der Bedrohung und Warnung wurde von der Künstlerin in ein Sinnbild für die Zerstörung der Umwelt durch den Menschen weiterentwickelt.

„Kiki Smith: Procession“ ist eine Ausstellung, die für sich selbst spricht, ohne offensichtlich zu werden. Die Künstlerin zeigt den Menschen auf viel­schich­­tige Weise und bietet dem Betrachter die Möglichkeit, eine eigene ­Lesart ihrer Werke zu finden.

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