Vom Deutschen Abstand halten

VERSTÄNDIGUNG In Berlin sprach der Historiker Dan Diner über die Restitutionsverhandlungen zwischen der Bundesrepublik und Israel

Die Restitution blieb im postnazistischen Deutschland umstritten. Der Bundestag stimmte ihr nur mit knapper Mehrheit zu

Am Freitagabend sprach der Historiker Dan Diner im überfüllten Seminarzentrum der Freien Universität Berlin über die Bedeutung der Restitutionsverhandlungen zwischen der Bundesrepublik und Israel 1952. Diner ist Leiter des Simon-Dubnow-Instituts und Professor am Historischen Seminar in Leipzig und beschäftigt sich seit Jahren mit den gegenläufigen Gedächtnissen nach 1945. Sein Vortrag bildete den Abschluss der Konferenz „Sprache, Erkenntnis und Bedeutung“ vom Dahlem Humanities Center der FU Berlin und dem Dubnow-Institut.

Ein Gründungsakt

Diner hatte eine „Erzählung“ über ein Ereignis von kaum zwölf Minuten angekündigt. Und tatsächlich hielt er einen leichten, erzählenden Vortrag, der trotz der Schwere des Themas das Gleichgewicht zwischen Empathie und Distanz hielt. „Dem Luxemburger Abkommen kommt der Charakter eines Gründungsaktes zu“, beurteilt Diner das historische Zusammentreffen. Eine Gründung allerdings, die an die Stelle der Gemeinsamkeiten Unterschiede setzte.

Obgleich vor dem Ruin stehend, scheute sich der Staat Israel davor, mit Deutschland zu verhandeln. Zu präsent war die Schoah. In der Knesset hatte es dramatische Debatten darüber gegeben, ob man mit den ehemaligen Peinigern sprechen sollte. Aber die Regierung Ben Gurion setzte sich gegen die „aufgebrachte öffentliche Meinung“ durch. „Von den Deutschen galt es Abstand zu halten“, erzählt Diner. Die Vorbereitung zu Gesprächen hatte darum vor allem in „Vorkehrungen ritueller Distanz“ bestanden: Weder Reden sollten gehalten noch Vertraulichkeiten ausgetauscht werden. „Ein das Vertragswerk besiegelnder Händedruck war zu vermeiden“, so Diner. Die strenge Choreografie einzuhalten war aber nicht leicht für die jüdischen Vertreter. Ausnahmslos waren sie deutsch-jüdischer Herkunft mit Deutsch als Muttersprache.

Hauptstreitpunkt war die Verhandlungssprache: „Deutsch galt als kontaminiert.“ Der Versuch, die Gespräche in einer neutralen Sprache zu führen, scheiterte. Das Zeremoniell vollzog sich dann weitgehend stumm. Die gemeinsame Sprache aber war stärker als die rituelle Distanz. „Der anfangs eingehaltene Abstand schmolz dahin.“

Diner erzählt Anekdoten, deren Absurdität andeuten, wie vertrackt die Situation für die Beteiligten gewesen sein muss. So kam es trotz der Vorkehrungen auf dem Flur zu einem Zusammentreffen: Der „nicht als polyglott bekannte Adenauer“ (Diner) bekundete Scharett gegenüber seine Freude über das Treffen, was der israelische Außenminister seinerseits – ebenfalls auf Deutsch – bestätigte. Diner erzählt von der israelischen Debatte darüber, dass, da ja die bundesrepublikanische Delegation Deutsch sprach, auch die deutschsprachige Version des Abkommens im israelischen Amtsblatt neben der hebräischen Abschrift liegen müsse – „ein als überaus misslich betrachteter Umstand“.

Auch die Deutschen taten sich schwer. Wenn auch aus anderen Gründen. Dem Delegationsmitglied Otto Küster wurde unterstellt, den Israelis zum Gefallen zu verhandeln. Die Restitution blieb im postnazistischen Deutschland umstritten. Der Bundestag stimmte ihr nur mit knapper Mehrheit zu.

Geradezu emblematisch für das deutsch-jüdische Verhältnis steht die Geschichte des Initiators der Verhandlungen, Jakob Altmaier. Wegen der jüdischen Herkunft hatte die israelische Seite ihn nicht als Mitglied der deutschen Delegation akzeptiert. Bei der Unterzeichnung war er dennoch zugegen. In Altmaiers dramatischem Bericht – Adenauer mit „zuckenden Lippen und blass wie der Tod“ – vermutet Diner dessen eigene Befindlichkeit, verlief der historische Bruch doch geradezu durch ihn hindurch. Das zeigt auch Altmaiers trauriges Ende: 1963 war er der letzte, der auf dem in der NS-Zeit vollständig abgeräumten jüdischen Friedhof in Flörsheim beerdigt wurde. „Ruhe sollte er nicht finden“, schließt Diner. Mehrfach ist sein Grab seither mit antisemitischen Parolen bepinselt worden. SONJA VOGEL