Plakatkünstler Staeck über sein Werk: „Eine Chance gegen Goliath“

Seine Poster haben die Republik verändert. Nun wird Klaus Staeck 80 Jahre alt. Er sagt von sich selbst: „Von Altersmilde kann keine Rede sein.“

Mann mit wenig Haar, Kunstplakat

Klaus Staeck feiert am Mittwoch seinen 80. Geburtstag Foto: dpa

taz: Herr Staeck, haben Sie eigentlich inzwischen auch eine Villa im Tessin, die Ihnen die SPD wegnehmen könnte?

Klaus Staeck: Neulich wollte mir das mal jemand unterstellen. Nein, ich habe ein Mini­anwesen in Heidelberg, wo ich mein Büro habe, meine Höhle, mein Archiv. Ich bekomme eine kleine Rente. Als Freischaffender hat man nicht viel angesammelt. Aber ich komme gut über die Runden. Ich war ja auch der größte Verleger von Joseph Beuys, von Polke, von A. R. Penck, von Hanne Darboven und wie sie alle heißen, und das ist zum Teil heute meine Sozialversicherung.

Sie werden an diesem Mittwoch 80 Jahre alt und machen immer noch politische Plakate. Haben Sie noch nie daran gedacht, sich einmal zur Ruhe zu setzen?

Zur Ruhe setzen? Also in diesen Zeiten schon mal gar nicht. Außerdem habe ich mich nie auf den sogenannten Lebensabend gefreut. Für mich war das immer eine Horrorvorstellung: nur noch auf der Parkbank zu sitzen und den Hund zu streicheln. Daran hat sich nichts geändert. Natürlich gibt es bei mir körperlich eine „Materialermüdung“, gar keine Frage. Und ich mache mir auch die Sorge, irgendwann zwar noch zu wollen, aber nicht mehr zu können. Doch solange es noch geht, werde ich weitermachen.

Wann hat zuletzt ein Politiker eines Ihrer Plakate zerrissen?

Das ist schon eine Weile her. 1976 war das. Der in diesem Januar verstorbene CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Jenninger hat sich damit einen Platz in der Kunstwelt gesichert. Sein „Bonner Bildersturm“ hat damals eine derartige Resonanz ausgelöst, dass ich immer behaupte, das war die größte PR-Aktion, die jemals in den Medien für mich gestartet worden ist. Von der New York Times bis zur Prawda haben wir seinerzeit über 500 Zeitungsartikel gezählt.

Es ging um ein Motiv, das die höchst fragwürdige Haltung [Fragwürdig? Ich würde sagen: schweinisch; der Säzzer] der Christdemokraten zur damaligen Pinochet-Diktatur in Chile thematisiert hat.

Ja, es war ein scharfes Plakat. „Seit Chile wissen wir genauer, was die CDU von Demokratie hält“, stand darauf.

In den 1970er und 1980er Jahren haben Ihre Plakate für große Skandale gesorgt. Heutzutage werden Sie mit Auszeichnungen überhäuft. Sind Sie zahmer oder sind die Politik und die Gesellschaft in der Bundesrepublik inzwischen gleichgültiger geworden?

Ich versuche weiter, ein Störer der bequemen Verhältnisse zu sein. Nichts ist erledigt, lautet mein Credo. Die unverschuldet Schwachen ­gegen den Übermut der Starken zu verteidigen, darum geht es mir nach wie vor. Wenn ich irgendwo Ungerechtigkeit wittere, will ich etwas dagegen tun. Und die Welt ist weiterhin voller Ungerechtigkeiten. Deswegen bin ich immer noch äußerst zornig. Von Altersmilde kann da keine Rede sein.

Aber für größere Aufregung sorgen Sie nicht mehr.

Vielleicht ist das ein gewisser Gewöhnungs­effekt. Vor allem jedoch leben wir gegenwärtig in einer entpolitisierten Gesellschaft. Es herrscht so eine Mehltau-Atmosphäre, obwohl die Zeiten eigentlich hochpolitische sind: Wie schaffen wir es, für die nächsten Generationen eine lebenswerte Umwelt zu erhalten? Oder schauen Sie sich an, was sich am rechten Rand tut. Das hat etwas höchst Bedrohliches. Wir müssen aufpassen, dass wir unser Gefahrenbewusstsein bewahren für die Verletzbarkeit der Demokratie. Deshalb bleibe ich ein politischer Einmischer. Der verwegene Glaube an die Vernunft hat mich immer noch nicht verlassen. Das war übrigens auch mein Motiv, mich 2006 trotz etlicher Bedenken als Präsident der Berliner Akademie der Künste zur Verfügung zu stellen. Neun Jahre habe ich das Amt ausgeübt, weil ich ein Kämpfer für den öffentlichen Raum war und bin. Im öffentlichen Raum spielt sich Demokratie ab. Der wird immer kleiner. Da versucht wird, ihn immer mehr einzuengen, muss man was dagegen tun. Die Faust in der Tasche zu ballen reicht nicht.

Staeck wurde am 28. Februar 1938 in Pulsnitz bei Dresden geboren und wuchs in Bitterfeld auf. 1956 siedelte er in die Bundesrepublik über. Von 1957 bis 1962 studierte er Jura in Heidelberg, Hamburg und Berlin. 1960 trat er in die SPD ein. Parallel zum Studium arbeitete Staeck bereits künstlerisch. Nach Versuchen mit Holzschnitten und Siebdrucken legte er sich schließlich auf Plakate und Postkarten fest.

Sein Werk umfasst mehr als 380 Plakate, die weltweit in mehr als 3.000 Ausstellungen zu sehen waren. Viermal nahm er an der Documenta teil. 1965 gründete er den Verlag „Edition Tangente“, der später zur „Edition Staeck“ wurde und Kunstwerke internationaler Künstler wie Joseph Beuys vertreibt. Von 2006 bis 2015 war Staeck Präsident der Berliner Akademie der Künste.

Was meinen Sie mit Ihrer Kunst heute noch bewirken zu können?

Solange ich Plakate mache, werden sie totgesagt. Doch warum geben dann Firmen immer noch sehr viel Geld für Außenwerbung aus? Die lassen Marktanalysen erstellen und würden längst keine Plakate mehr machen, wenn sich das nicht in irgendeiner Form lohnen würde. Mir geht es darum, Leute nachdenklich zu machen. Das schafft die Satire in besonderem Maße. Ich will mit meinen Plakaten anregen, ungewöhnliche Wege zu gehen, ungewöhnliche Fragen zu stellen. Und ich versuche, den Leuten bewusst zu machen, dass sie selber mehr tun können. In diesem Sinne stelle ich Demokratiebedarf her.

Haben Künstler und Intellektuelle überhaupt noch eine Bedeutung für den politischen Meinungsbildungsprozess?

Wir haben immer noch oft größere Möglichkeiten, uns für die Verteidigung der Demokratie bemerkbar zu machen. Das sollten wir auch tun, denn sie ist heute wie gestern gefährdet. Das mag nicht immer goutiert werden. Der Kunstfreund nimmt oft übel, wenn sich jemand in seiner Kunst politisch äußern will. Aber das war für mich nie ein Kriterium. Künstler und Intellektuelle haben eine gesellschaftliche Verantwortung. Ich betrachte Oskar Negt, den ich seit unserer gemeinsamen Zeit im SDS kenne, als meinen politischen Ziehvater. Auch Heinrich Böll und Joseph Beuys waren Menschen, an denen ich mich orientiert habe. In gewisser Weise versuche ich, deren Arbeit fortzusetzen. Wenn ich drei Begriffe nennen soll, die man mir mal auf die Grabtafel schrei­ben könnte, dann wären das: Verantwortung, Aufklärung und Solidarität.

Sie haben in Ihrer künstlerischen Karriere 41 Verfahren führen müssen. Das hat Ihnen zwar einige Nerverei, aber auch eine große Öffentlichkeit beschert. Bedauern Sie es, dass Sie heute keiner mehr verklagt?

Absolut nicht. Es gibt immer ein Risiko. Ich habe in Anbetracht der stets sehr hohen Streitwerte schon gelegentlich unruhig geschlafen. Wenn ich mal einen dieser wirklich spektakulären Prozesse verloren hätte, dann wäre es um meine bürgerliche Existenz geschehen gewesen. Das kostet viel Energie.

Da dürfte es von Vorteil gewesen sein, dass Sie nicht nur Künstler, sondern eben auch studierter Jurist sind.

Mehrere Plakate an einer Wand

Staeck-Plakate im Museum Folkwang in Essen Foto: dpa

Das hat mir mehr Sicherheit gegeben. Allerdings bin ich immer auch auf Richter getroffen, die die Meinungsfreiheit verteidigt haben. Ob die Manager des Rüstungskonzerns Rheinmetall oder die Vorstandsvorsitzenden der Chemieriesen Hoechst und Kalichemie gegen mich vorgegangen sind: Sie sind alle gescheitert. David hat eine reale Chance gegen Goliath. Mittlerweile haben meine Gegner gelernt, dass es keinen Sinn macht, sich mit mir auf dieser Ebene auseinanderzusetzen. Deshalb bin ich ein absoluter Gegner der großen Jammeriade, dass man eigentlich nichts tun könne. Nein, man kann mehr tun, als man denkt.

Gibt es für Sie Grenzen der Satire?

Satire bleibt immer eine Gratwanderung. Aber ich kannte für mich immer die Grenzen, bis zu denen ich gehen konnte und wollte. Tucholskys Diktum „Satire darf alles“ habe ich deswegen stets noch zwei Worte hinzugefügt: „in Verantwortung“. Das ist mir wichtig.

Auf welches Ihrer mehr als 380 Plakate sind Sie besonders stolz?

Das darf man einen Autor eigentlich nicht fragen. Wie man einen Vater oder eine Mutter nicht fragen soll: Was ist dein Lieblingskind? Sie sind mir alle ans Herz gewachsen. Aber ganz sicher sind zwei Plakate für mich von besonderer Bedeutung. Da ist einmal die Dürer-Mutter: „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“ Das ist das erste Plakat, mit dem ich 1971 in Nürnberg in die Öffentlichkeit gegangen bin. Wenn ich mir die heutige Wohnungsnot anschaue, ist es immer noch genauso gültig wie seinerzeit. Und dann ist da natürlich das Plakat, auf das Sie schon angespielt haben: „Deutsche Arbeiter, die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen!“ Das war 1972 meine Antwort auf eine sehr schmutzige Kampagne von CDU-nahen „Wählerinitiativen“ gegen Willy Brandt. 70.000 Exemplare wurden damals davon gedruckt. Und die Plakate wurden auch wirklich geklebt! Hinzu kamen noch 200.000 Postkarten und Aufkleber. Das hat wirklich etwas politisch bewegt. Es ist gelungen, die Leute zu einem befreienden Lachen zu bringen.

Standen Sie nie in Versuchung, sich Ihre Qualitäten von der Werbebranche versilbern zu lassen?

Wie bleibt man kritisch? Ich habe sehr früh gelernt, wie verführbar man sein könnte. Als ich das „Deutsche Arbeiter“-Plakat gemacht habe, rief eines Tages jemand vom Bundesverband der Chemischen Industrie an und sagte: „Sie machen so schöne Plakate, wollen Sie nicht für uns mal was machen? Wir zahlen auf jeden Fall mehr als Ihre linken Freunde.“ Woraufhin ich antwortete: Die zahlen gar nichts. Und dann habe ich das Gespräch beendet.

Damals hingen Ihre Plakate in unzähligen linken Wohngemeinschaften in der Bundes­republik. Sehnen Sie sich manchmal nach den guten alten Zeiten zurück?

Nein, das waren keine besseren Zeiten. Man sollte sich hüten, sie zu glorifizieren. Aber es freut mich, bis heute auf die alten Plakate angesprochen zu werden. Alleine schon aus finanziellen Gründen bin ich ja darauf angewiesen, dass meine Sachen lange funktionieren. Deshalb suche ich immer nach Themen mit langer Halbwertszeit.

Eine solche Halbwertszeit hat Ihr Plakat aus dem Jahr 1986: „Stell dir vor, du musst flüchten und siehst überall: Ausländer raus!“ Das animiert allerdings nicht zu einem befreienden Lachen, sondern ist sehr bitter.

Das ist sehr bitter. Das ist der richtige Ausdruck.

Frustriert Sie nicht die erschreckende Aktualität?

Natürlich, aber ich bin nicht jemand, der sich zurückzieht und sagt: Alles vergeblich, alles für die Katz. Nein, gerade deshalb muss man sich engagieren. Weil ich selber geflüchtet bin, habe ich ein großes Mitempfinden mit den Flüchtlingen. Man muss diesen Menschen in Not helfen. Und ­gegen den ganzen Hass, der ihnen entgegenschlägt, haben wir nur die Chance der Aufklärung.

Sie sind 1956 aus der DDR geflohen.

Mit 18 Jahren direkt nach dem Abitur. Wer die Unfreiheit in der Jugend mal so erlebt hat, wie ich es erleben musste, lernt die Freiheit ganz anders zu schätzen und weiß, dass er dafür was tun muss.

Seit 1960 sind Sie Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. So wenig Zuspruch wie heute hatte Ihre Partei noch nie. Wie stark leiden Sie an Ihrer Partei?

Ich glaube, jedes Mitglied einer Partei muss eine gewisse Leidensfähigkeit haben. Dass ich aktuell auch zornig bin über den Zustand meiner Partei, der ich seit 58 Jahren angehöre, will ich nicht abstreiten. Aber deswegen trete ich nicht sofort aus der SPD aus.

Eine unzerstörbare Liebe?

Als ich in die SPD eingetreten bin, war das eine sehr bewusste Entscheidung: Ich wollte nicht bloß am Wegesrand stehen und hämisch oder erregt feststellen, dass die anderen immer alles falsch machen. Ich bin damals in Düsseldorf beigetreten, das war in einem Arbeiterbezirk. Da saß ich neben Leuten, die hatten im KZ gesessen für ihre Überzeugung. Und da habe ich mir gesagt, wir müssen alles tun, damit so was nie wieder passiert. In der SPD habe ich Menschen gefunden, die nicht nur kurzfristig, sondern ausdauernd die Mühsal des Kampfes für Demokratie auf sich genommen haben. Und ich habe auch nirgendwo so viele Partner für meine politische, künstlerische Arbeit gefunden wie in der SPD, und zwar dauerhaft, nicht nur für den kurzen Augenblick. Wobei mir wichtig ist: Ich war nie ein Parteigrafiker. Niemand konnte und kann kommen und sagen: Mach doch mal irgendwas für uns. Ich habe immer ohne Auftrag gearbeitet. Dabei ist es geblieben.

Noch bis 8. April sind Werke Staecks in der Ausstellung „Sand fürs Getriebe“ im Essener Museum Folkwang zu sehen. Geöffnet Dienstag bis Sonntag. Der Eintritt ist frei.

Derzeit läuft der SPD-Mitgliederentscheid über die Fortsetzung der Koalition mit der Union. Wie haben Sie abgestimmt?

Das wird Sie vielleicht wundern: Ich habe zwar noch nicht abgestimmt, aber werde dafür sein. Was wäre die Alternative? Beim gegenwärtigen Stand Neuwahlen? Das kann ja wohl niemand ernsthaft wünschen. Die SPD ist in einer schwierigen Situation, das weiß jeder. Ein „Weiter so“ würde sie tatsächlich ruinieren. Aber wer glaubt, die Erneuerung geschehe nur in der Opposition, der weiß offenbar nicht so genau, was Opposition bedeutet. Da kann ich nur eine gute Reise wünschen. Davon verspreche ich mir gar nichts.

Und wie wird der Mitgliederentscheid ausgehen?

Ich denke, dass eine ganz knappe Mehrheit dafür sein wird.

Welche Auszeichnung ist Ihnen mehr wert? Das Große Bundesverdienstkreuz oder der August-Bebel-Preis?

Der August-Bebel-Preis.

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