Vormarsch der Türkei in Syrien: Afrin steht vor dem Häuserkampf

Die Stadt Afrin muss sich auf heftige Kämpfe einstellen. Türkische Einheiten, die 2015/2016 gegen Kurden im Einsatz waren, rücken an.

Ein Mann trägt eine schwere Matraze von einer sandsteinfarbenen Mauer

Viele Menschen waren vor dem syrischen Krieg in die Kurdenregion geflohen – jetzt werden sie dort von der Türkei bedroht Foto: ap

ATHEN taz | Der türkische Einmarsch in Afrin erreicht nach offiziellen Angaben eine neue Phase. Nachdem die Kämpfe sich bislang in dünn besiedeltem Gebiet abgespielt haben, geht es nun um die Stadt Afrin und eine weitere, etwas kleinere Stadt, Dschindires, im Südwesten des Kantons. „Wir haben Afrin eingekreist“, behauptete am Wochenende Ministerpräsident Yıldırım, um die türkische Bevölkerung auf den bevorstehenden Städtekampf einzustimmen.

Zu diesem Zweck hat die türkische Armee bereits Spezialeinheiten der Gendarmerie und der Polizei herangeschafft, die Erfahrung im Städtekampf haben. Es sind Soldaten und Polizisten, die im Winter 2015/2016 die Innenstadt von Diyarbakır, die Städte Nusaybin und Cizre im Kampf gegen PKK-nahe kurdische Milizen in Schutt und Asche legten, nachdem diese sich dort verbarrikadiert und die Orte anschließend zu autonomen Zonen erklärt hatten.

Nimmt man diesen brutalen Häuserkampf zum Vorbild, kann man sich vorstellen, welches Unheil auf die Menschen in der Stadt Afrin zukommen wird. Nach kurdischen Angaben halten sich dort bis zu einer halben Million Leute auf. Darunter sind zahlreiche Flüchtlinge, die sich in den zuvor vom Krieg kaum berührten kurdischen Kanton vermeintlich in Sicherheit gebracht hatten.

Während in der Türkei einige wenige Kolumnisten davor warnen, dass ein Städtekampf wahrscheinlich auch viele zivile Opfer fordern wird, behauptet die türkische Regierung bis jetzt kategorisch, es hätte überhaupt noch keine zivilen Opfer gegeben. Die in London ansässige oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte zählte dagegen schon Anfang vergangener Woche 112 getötete Zivilisten, darunter 23 Kinder.

Die Nerven liegen blank

Als in der vergangenen Woche ein Sprecher der US-Regierung deshalb zivile Opfer in Afrin beklagte, reagierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan darauf sehr verärgert und warf den USA vor, selbst für Tausende Tote in Syrien verantwortlich zu sein.

Wie sehr das Thema möglicher toter Zivilisten die Türkei umtreibt, zeigt ein Vorfall aus der vergangenen Woche. Ein Moderator des islamistischen TV-Kanals Yeni-Akit, Ahmet Keser, redete sich dabei so sehr in Rage, dass er sagte, wenn „unsere Armee Zivilisten töten würde, dann nicht in Afrin, sondern in Cihangir, Nışantaşe und Etiler“. Das sind Bezirke in Istanbul, die dafür bekannt sind, dass dort überwiegend säkulare Leute leben. Dort wären die wahren Verräter, so Keser. Der Wutausbruch kostete ihn seinen Job, vermutlich aber nur, weil er offen aussprach, was viele Anhänger Erdoğans insgeheim denken.

Die Nerven der Regierungsmitglieder sind auch deshalb so angespannt, weil insbesondere immer mehr westliche Staaten fordern, die Türkei solle sich gefälligst an den 30-tägigen Waffenstillstand für Syrien halten, der am 24. Februar dieses Jahres vom UN-Sicherheitsrat in New York beschlossen wurde. Präsident Erdoğan lehnt das vehement ab, da die Türkei in Syrien lediglich „Terroristen“ angreifen würde. Allerdings taucht die kurdische YPG, gegen die die türkische Armee in Afrin vorgeht, in dem UN-Dokument, in welchem auch „Terrororganisationen“ aufgelistet sind, gegen die weiterhin gekämpft werden darf, nicht auf. Das wäre auch verwunderlich, da die YPG in Syrien mit den USA verbündet ist und auch Russland die kurdische Miliz keineswegs als Terrororganisation ansieht.

Trotzdem lässt der russische Präsident Wladimir Putin seinen „Partner“ Erdoğan weiterhin in Afrin Krieg führen. Als Erdoğan von einem Journalisten gefragt wurde, ob Russland den Einsatz der türkischen Luftwaffe über Afrin einschränken würde, sagte er: „Nein, überhaupt nicht. Wir haben kein Problem mit Russland.“

Das gilt offenbar trotz des Eingreifens von Milizen, die dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad nahestehen. Erst vor wenigen Tagen sollen 35 dieser Assad-Unterstützer auf dem Weg nach Afrin von der türkischen Luftwaffe getötet worden sein.

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