Gehirn, um Konzept erleichtert

Unheimlich ungewöhnlich: Kiyoshi Kurosawa sendet in „Foreboding“ Aliens in Menschengestalt

Familie, Würde, Liebe, Tod – was sind das nur für Konzepte? Still aus „Foreboding“/ Foto: Yocho Project Partners/Berlinale

Von Michael Meyns

Auf leisen Sohlen kommt das Grauen in Kiyoshi Kurosawas „Yocho“ („Foreboding“), mit dem der japanische Regisseur nach seinem Thriller „Creep“ erneut bei der Berlinale, diesmal im Panorama, zu Gast ist. Ein ungewöhnliches Projekt ist die Verfilmung des Stücks von Tomohiro Maekawa, das Kurosawa vor allem als Vorlage für eine fünfteilige Serie diente, die im japanischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Aber auch für seinen Film „Before we Vanish“, der letztes Jahr in einer Nebenreihe in Cannes zu sehen war. Grundkonzept aller drei Teile dieses großen Projekts bedienen sich dabei einer ebenso einfachen wie prägnanten Idee: Die Außerirdischen, die hier eine Invasion der Erde vorbereiten, kommen nicht etwa mit gigantischen Raumschiffen, auch nicht in Gestalt von dreibeinigen Kreaturen, und auch ihre Ziele sind nicht auf den ersten Blick zerstörerisch. Keine Städte werden dem Erdboden gleichgemacht, keine Spezial­effektorgie ist „Yocho“, sondern ein psychologisches Kammerspiel.

Denn die Aliens treten in Menschengestalt auf und haben zunächst nur ein Ziel: zu begreifen, wie die Erdbewohner ticken, zu verstehen, was unter Begriffen wie Familie, Würde, Liebe oder Tod zu verstehen ist. Zu diesem Zweck legen sie den Finger auf die Stirn eines Menschen und rauben ihm oder ihr das Wissen um dieses Konzept.

So ergeht es Miyuki, einer Kollegin der Fabrikarbeiterin Etsuko, die eines Tages davon berichtet, die Präsenz eines Geistes zu spüren. Als Etsuko ihre Kollegin ins Krankenhaus begleitet, erfährt sie vom Arzt, dass Miyuki den Geist ihres Vaters nicht mehr erkennt, da sie das Konzept von Familie nicht mehr versteht. Etsuko selbst ist noch nicht von dieser Art Gedächtnisverlust betroffen, doch auch sie merkt, dass sich die Welt verändert: Spiegel verformen sich, sie hört merkwürdige Geräusche, vor allem aber ihr Mann verhält sich merkwürdig. Er arbeitet in einem Krankenhaus und ist auf merkwürdige Weise mit seinem Vorgesetzten verbunden, dem Arzt Makabe. Dieser stellt sich bald als Vorhut einer außerirdischen Invasion heraus und beginnt auch Jagd auf Etsuko zu machen. Doch aus unerklärlichen Gründen erweist diese sich als immun gegen die Versuche Makabes, ihr Gehirn um Konzepte zu erleichtern.

Ein ebenso ungewöhnlicher wie spannender Ansatz, der wie die besten Genrefilme sein exaltiertes Konzept nicht einfach nur dazu benutzt, um Spannung zu erzeugen, sondern um von Menschen, ihren Träumen und Ängsten zu erzählen. Dass das andere den Menschen dabei nicht in Gestalt merkwürdiger, vielleicht auch hässlicher Kreaturen erscheint, sondern wie ein Spiegelbild wirkt, verstärkt den Eindruck noch, dass die Protagonisten hier mit einem Blick in die eigene Seele konfrontiert werden – und nicht zuletzt mit den darin wohnenden Abgründen.

Nicht zufällig erinnert das Konzept der Aliens in Menschengestalt, die sich unauffällig unter die Erdbewohner mischen, an den oft verfilmten Science-Fiction-Klassiker „Invasion der Körperfresser“, der letztes Jahr auch Inspiration des Horrorfilms „Get Out“ war, der ebenso wie „Yocho“ weniger Interesse an oberflächlichen Spannungs- oder Schockmomenten hatte als an psychologischen, soziologischen Fragen. Was ist das Wesen der Menschen, fragt Kurosawa hier, was macht uns aus, was macht uns besonders. So groß und kaum zu beantworten sind diese Fragen allerdings, dass sich Kurosawa auf Dauer ein wenig in ihnen verliert. Zum Ende von „Yocho“ bedient er mehr die Muster des Genres, als seinen Ansatz zu einem psychologisch rundum befriedigenden Ende zu führen, doch bis dahin ist sein minimalistischer Science-Fiction-Film ebenso ungewöhnlich wie unheimlich.

21. 2. 19.30 Uhr, Zoo Palast 1, 22. 2. 11 Uhr CinemaxX 7, 23. 2. 16 Uhr Cubix 9, 24. 2. 12.30 Uhr CinemaxX 7