Der spirituelle Raser

Von „Autumn Leaves“ blieb bei ihm nur Klagegesang. Eine trauernde Stimmung ging von seinem Album „BalladWare“ aus, dunkel, widerstrebend, verletzt, ein außergewöhnliches musikalisches Statement, das sich beunruhigend kalt anfühlte. Der US-Jazzsaxofonist David S. Ware wollte nicht, dass die Zuhörer während seines Konzerts essen oder trinken. Wenn man ihn sprechen hörte, konnte man ins Grübeln kommen, ob sich so viel Aufopferung denn lohne.

14 Jahre arbeitete er als Taxifahrer in New York, er bewohnte ein reparaturbedürftiges Haus in Scotch Plains, eine Autostunde von Manhattan entfernt. Nur dank seiner Frau kam er als Musiker gerade so über die Runden. Ware betonte gern, dass er nicht viel zum Leben brauche. Aber er hatte eine Schwäche für schnelle Autos. Die Liste der Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung war lang. Und jedes Jahr kündigte der Mann, der von Sonny Rollins die Zirkularatmung lernte und zu einem der originellsten Saxofonisten des US-Jazz wurde, eine neue Überraschung an. Als 25-Jähriger spielte er mit der Cecil Taylor Big Band in der Carnegie Hall. 1976 konnte man ihn im legendärem RivBea-Studio hören. Branford Marsalis entdeckte Ware erst 30 Jahre später für den Mainstream und verpflichtete ihn für das Columbia-Label – ein unerwartet dicker Deal für einen Musiker aus dem Free Jazz, der zwei Alben und drei Jahre später wieder zu Ende war.

Der Rüssel des Ganesha, der auf dem Cover seines Albums „Live In The World“ zu sehen war, sah wie ein goldenes Saxofon aus. In den Liner Notes betete Ware Ganesha in Gedichtform an. Weisheit und Intelligenz, Schutz bei Veränderung und Glück für den Weg werden von der hinduistischen Gottheit erhofft. In dem vergangenes Jahr gedrehten Dokumentarfilm, „David S. Ware: A World Of Sound“, sprach sein Protagonist über Spiritualität und Improvisation. Er brauche keine Akkordfolgen, da er in einer ganz eigenen Welt innerhalb der Musik lebe. Ausgedehnte Experimente mit Streichern schwebten ihm noch vor, doch nach einer Nierentransplantation 2009 musste er entschieden kürzertreten. Am Donnerstag ist David S. Ware gestorben, er wurde 62 Jahre alt.

CHRISTIAN BRÖCKING