Bundestagsabgeordneter zu grüner Politik: „Ich komme ja vom Dorf“

Erhard Grundl ist der neue kulturpolitische Sprecher der Grünen – ein Quereinsteiger wie aus dem Bilderbuch. Ein Gespräch über Musik, Armut und die AfD.

Erhard Grundl, Bundestagsabgeordneter der Grünen

„Den Blick von außen will ich mir bewahren“, sagt Erhard Grundl Foto: Sebastian Wells

taz am wochenende: Erhard Grundl, Sie sitzen als Grüner für den Wahlkreis Straubing, dem Texas von Bayern, im Bundestag.

Erhard Grundl: Als Texas kann man Niederbayern durchaus bezeichnen.

US-Kultur ist Ihnen vertraut, Sie sind mit einer Amerikanerin verheiratet, haben in einer Band gesungen. Kennen Sie diese Zeilen: „Vor einiger Zeit hatte ich einen wüsten Traum / Ich träumte, ich geriet in den Dritten Weltkrieg“?

Die stammen aus dem Song „Talkin' World War III Blues“ vom Album „The Freewheelin’ Bob Dylan“.

Wann kamen Sie auf Dylan?

1971 habe ich im Radio seine Songs „Mr Tambourine Man“ und „Blowin’ in the Wind“ gehört. Vom ersten Moment dachte ich, Dylan singt zu mir.

Wie war Ihr Aufwachsen in der Provinz?

Geboren 1963 in Mallersdorf. Verheiratet, zwei Kinder. Studium der Sozialpädagogik. Mitglied bei Baby You Know (1987–1997). Bis 2017 Vertriebsmanager in der unabhängigen Musikindustrie. Am 12. März ist er beim Fachgespräch „Illegal, Asozial, Scheißegal? Anerkennung von sogenannten Asozialen und Berufsverbrechern als Opfer des Nationalsozialismus“ im Bundestag

In meinem Dorf erzielte die CSU stets 90 Prozent. Dazu gab es drei verirrte Sozialdemokraten, einen Liberalen und einen, der für den KBW stimmte. Meine Mutter ist dort gebürtig, ihr Vater war Bauer. Mein Vater war ein Vertriebener und galt als Habenichts. Er hatte nichts für die CSU übrig.

Was hat Sie politisch geprägt?

Bei der Bundestagswahl 1972 wurde gegen Willy Brandt im Klassenzimmer Stimmung ­gemacht. Je mehr über ihn geschimpft wurde, desto ­interessanter fand ich ihn. Ich war der Erste in der Familie, der aufs Gymnasium ging, ein Profiteur des sozialliberalen Aufbruchs.

Für linke Bayern war der Protest gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf von 1985 bis 1988 bedeutsam. Auch für Sie?

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Ich habe damals in Regensburg studiert, wobei ich nicht aktiv am Widerstand beteiligt war. Es gab viele Protestkonzerte, auf die ich gegangen bin. Wichtiger war meine Antipathie gegen die CSU. Was die bayerische Kulturszene angeht, entsteht viel aus der Antihaltung gegen die CSU heraus.

Nach der Uni haben Sie beim Musikvertrieb Efa gearbeitet. Hat Ihre Künstlerexistenz die Berufswahl beeinflusst?

Ja, es war mir wichtig, in Bezug auf meine Musik keine Kompromisse zu machen, deshalb passte der Job. Mit unserer Band Baby You Know ging es zwar am Mainstream vorbei, dennoch spielten wir in New York vor 100 Leuten, genauso viele wie in Regensburg.

Wie viele waren es bei der ersten Versammlung der Grünen, zu der Sie 2004 kamen?

Versammlung ist ein Euphemismus.

Wofür?

Es gab keinen Ortsverband in Straubing. Damals hatte der Stadtrat den Bau eines Einkaufszentrums beschlossen. Da habe ich festgestellt, es tagt ein Stammtisch mit fünf Grünen. Dazu bin ich als sechster Mann gestoßen und dachte, es wäre gut, Kräfte zu bündeln, um das nächste Einkaufszentrum zu verhindern.

Ihr Einstieg verlief gegen­läufig zur Politikverdrossenheit.

„Ich spüre eine erfrischende Streitkultur im Plenarsaal“

Solche Situationen reizen mich. Die Grünen waren in der Regierung Schröder, mit Hartz IV und den Auslandseinsätzen, die ich kritisch beurteilt habe. Grüne Ideen haben mich dennoch überzeugt. Außerdem: Der SPD-Ortsverband war eine Clique von Alten, bei der ich nichts zu sagen gehabt hätte. Die Grünen haben mir dagegen die Welt aufgesperrt und gesagt: Mach was draus! 2008 wurde ich bei der Kommunalwahl zum ersten Grünen-Stadtrat gewählt.

Seit der Jahrtausendwende tragen selbst bayerische SPD-Politiker Trachten auf Wahlplakaten. Wie lässt sich dieser aufdringlichen Heimatverbundenheit Einhalt gebieten?

Allgemein denke ich nicht viel über den Begriff Heimat nach. Allerdings machen sich auch Leute das Wort Heimat zu eigen, um andere auszugrenzen – nicht mein Ding.

Wie ist es, als gewählter Volksvertreter die Interessen der StraubingerInnen zu vertreten?

Es ist ein bewegendes Gefühl, auch, weil wir in Zeiten leben, in denen einige einen Rollback in Richtung rechtsaußen versuchen. Lange war für mich unvorstellbar, Mitglied einer Partei zu sein, da bin ich zu sehr Normalbürger. Den Blick von außen will ich mir bewahren. Mich erdrückt mein Beruf nicht, ich spüre eine erfrischende Streitkultur im Plenarsaal.

Obwohl die AfD eingezogen ist?

Ich scheue keine Auseinandersetzung mit der AfD über ihre Ziele und ihr Menschenbild. Diejenigen, die die rechtsradikalen Positionen nicht mittragen, werden wir dazu zwingen, sich von den anderen abzugrenzen.

Im Sommer haben Sie in Deg­gendorf zeitgleich mit dem neurechten AfDler Björn Höcke bei einer anderen Veranstaltung gesprochen. Wie war das?

Es war zwei Tage nach dem Mordanschlag auf die Labourpolitikerin Jo Cox in Leeds. Ihr Mörder hat „Britain first“ geschrien, Höcke brüllte „Deutschland zuerst“. Das muss uns bestärken, dagegen aufzustehen. Die Rechten haben uns gar nichts anzubieten.

Was setzen Sie dem entgegen?

Die deutsche Sprache sei vom Aussterben bedroht, behauptet die AfD. Falsch: Unsere Sprache ist quicklebendig und es ist toll, dass sie sich verändert, weil sie Ausdruck dafür ist, was Menschen heute bewegt.

Ihnen liegen Künstler und Kreative am Herzen, Sie tragen aber auch Sorge dafür, dass Menschen in Pflegeberufen anständig entlohnt werden. Wo sehen Sie Ihre Schwerpunkte?

Wichtig ist mir die Frage, wie die Arbeit der Kulturschaffenden für mehr Menschen zugänglich gemacht wird, wie Kreative besser unterstützt und sozial abgesichert werden können. Mit ein Grund, warum die Rechten erstarkt sind, ist eine verfehlte Sozialpolitik. Es gibt auch in Straubing eine Tafel, vor ein paar Jahren kamen da wenige hundert Bedürftige, inzwischen sind es über tausend.

Man sollte die zunehmende Armut nicht auf die Flüchtlingskrise schieben.

Auf keinen Fall. Mein Sohn macht eine Ausbildung im sozialen Bereich. Wenn ich sehe, wie schlecht seine Kollegen bezahlt werden, da muss dringend mehr Geld ins System.

Wie wollen Sie für den Erhalt der Landwirtschaft sorgen?

In der Straubinger Gegend gibt es große Höfe mit besten Böden und Bauern, die davon profitieren, dass EU-Subvention die Großen bevorzugt. In einer Politik, die den Verbraucher in den Mittelpunkt stellt, ist es aber unabdingbar, dass man gute Qualität stärker fördert. Durch Subventionen müssen kleinere Höfe ebenfalls gefördert werden. Es gibt auch in unserer Region ein Bauernhofsterben.

Hat sich Landwirtschaft dem nachhaltigen Konsum schon angepasst?

Mit schonender Landwirtschaft lässt sich gut Geld verdienen. Die Nachfrage in der Bevölkerung ist da. Eins noch, ich komme ja vom Dorf. Gerade wenn man sich das Tierwohl anschaut, weiß ich sehr wohl, dass man auch fünf Kühe katastrophal halten kann. Was unstrittig ist, je mehr Tiere man hält, desto höher ist der Einsatz von Medikamenten. Das muss für Verbraucher transparenter werden.

Wie vermitteln Sie demokratische Grundwerte?

Dass wir frei und selbstbestimmt leben, ermöglicht uns die parlamentarische Demokratie. Wer zulässt, dass andere bestimmen, wer dazugehört und wer nicht, gibt diese Demokratie preis.

Hinter Ihnen hängt ein Poster des Punksängers Joe Strummer. Was hat er Sie gelehrt?

Von Strummers Musik habe ich gelernt, dass die Gegenwart immer was zu bieten hat. Das Alte kommt nicht wieder.

Politik ist Inszenierung. Wie wappnen Sie sich gegen die Härten des Betriebs?

Wie Strummer gesungen hat: „Back in the garage with my bullshit detector.“ Man braucht Bullshit-Detektoren. Das sind Freunde und Familie, auch Menschen, die Grünen-fern sind. Ich kenne einen Journalisten mit dem ich oft streite, ein guter Bullshit-Detektor. Ich mag mich nicht mit Jasagern umgeben.

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