länderfinanzausgleich
: Die Mär der Überlastung

Dass es zwischen den wenigen Geber- und den vielen Nehmerländern große finanzielle Unterschiede gibt, liegt auch an den Steuerverteilungsregeln

Foto: Swen Reichhold

Thomas Lenk hat den Lehrstuhl Finanzwissenschaft an der Uni Leipzig inne.

Ein Blick auf die neuesten Zahlen zum Länderfinanzausgleich eröffnet ein bekanntes Bild: Wenige Zahlerländer – Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg – stehen einer Vielzahl an Empfängerländern gegenüber. Auch das Volumen, das im Rahmen des Länderfinanzausgleichs zwischen finanzkraftstarken und finanzkraftschwachen Ländern umverteilt wird, wächst seit Jahren und erreichte 2017 mit 11,2 Milliarden Euro – wieder einmal – ein „Rekordniveau“. Mit stetiger Regelmäßigkeit werden die Ergebnisse seitens der landespolitisch Verantwortlichen – zumeist mit deutlicher Zuspitzung – kommentiert. Besonders öffentlichkeitswirksam weisen in der Regel die Zahlerländer auf ihre aus ihrer Sicht unverhältnismäßige Belastung durch den Länderfinanzausgleich hin.

Anfang dieses Jahres forderte der bayerische Finanzminister und designierte Ministerpräsident Markus Söder mit Blick auf den Beitrag Bayerns in Höhe von 5,9 Milliarden Euro, dass das in Bayern erwirtschaftete Geld im eigenen Land verwendet werden müsse. Dies suggeriert, dass der Länderfinanzausgleich in einem ungerechten Maße leistungsstarke Länder um die finanziellen Früchte der eigenen Arbeit bringt. Allerdings greift diese Darstellung aus verschiedenen Gründen zu kurz.

Dass Qualität und Quantität von Nord bis Süd nicht sehr divergieren, ist ein Verdienst des Länderfinanzausgleichs

Der erste dieser Gründe ist, dass ein angemessener Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder durch Art. 107 Abs. 2 GG festgelegt ist und folglich Verfassungsrang besitzt. Seine Wirkung darf nicht isoliert betrachtet, sondern sollte stets im Kontext der verfassungsrechtlich verankerten föderativen Grundsätze der Bundesrepublik Deutschland bewertet werden. Denn aus einer solchen gesamtheitlichen Sicht ist der Länderfinanzausgleich kein eigenständiges Konstrukt, das finanzielle Gleichmacherei als Selbstzweck anstrebt – leider vermittelt die öffentlich geführte Debatte diesen Trugschluss viel zu oft. Richtig ist vielmehr, dass der Länderfinanzausgleich als ein ergänzendes Korrektiv dafür sorgt, dass bei grundsätzlich gleichem Aufgabenbestand alle Länder – nicht nur einige leistungsstarke – in der finanziellen Lage sind, die aus der Aufgabenerfüllung resultierenden Ausgabelasten zu tragen. Dass Qualität und Quantität öffentlicher Leistungen von Bayern bis Mecklenburg-Vorpommern nicht übermäßig divergieren, ist auch ein Verdienst des Länderfinanzausgleichs und eine besondere Stärke des deutschen Föderalismus.

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Philipp Glinka ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Leipzig mit dem Forschungsschwerpunkt „Föderale Finanzbeziehungen“.

Ein hinsichtlich der föderativen Gerechtigkeit viel drängenderes, aber weitaus weniger beachtetes Problem liegt in Regelungen, die erst zu den anfänglichen Finanzkraftunterschieden führen, die der Länderfinanzausgleich anschließend reduzieren muss – gemeint sind die sogenannte Steuerzuordnung und Steuerzerlegung. Von den Regeln der Steuerzerlegung, die im Wesentlichen seit 1971 nicht weiterentwickelt wurden, profitieren tendenziell die finanzkraftstarken Länder, während die meisten Empfängerländer benachteiligt werden. Ein praktisches Beispiel: An der abgeführten Körperschaftsteuer eines über Landesgrenzen hinweg tätigen Unternehmens müssen konsequenterweise alle Bundesländer beteiligt werden, in denen sich Betriebsstätten dieses Unternehmens befinden. Als Maßstab für diese „Zerlegung“ werden die in den Betriebsstätten gezahlten Löhne herangezogen. Dass mit Blick auf die Lohnniveaus Länder mit vielen Unternehmenszentralen oder größeren Verwaltungseinheiten gegenüber Ländern mit eher produzierenden Tätigkeiten profitieren, ist selbstredend. Problematisch dabei ist jedoch, dass dieser (lohnsummenbezogene) Maßstab nicht die tatsächlichen Beiträge der Betriebsstätten zum Unternehmensgewinn abbildet, was eigentlich sachgemäß wäre. Im Ergebnis führen diese und andere Probleme der Steuerzerlegung dazu, dass das finanzielle Leistungsfähigkeitsgefälle bedeutend größer ist, als dies wirtschaftlich eigentlich gerechtfertigt wäre. Die Pro-Kopf-Einnahmen Bayerns vor Finanzausgleich betragen etwa 127 Prozent des Bundesdurchschnitts. Die Wirtschaftskraft (BIP) des Freistaats ist mit rund 116 Prozent merklich geringer. Umgekehrt ist es in Sachsen, das wirtschaftlich (77 Prozent des Bundesdurchschnitts) viel stärker ist, als dies finanziell (60 Prozent) zum Ausdruck kommt. Mit anderen Worten: Gemessen an der Wirtschaftskraft sind die Einnahmen Bayerns bereits vor dem Länderfinanzausgleich seit Jahren deutlich zu hoch (2017: um 4,9 Milliarden Euro), die Einnahmen Sachsens zu gering (2017: um 2,3 Milliarden Euro). Die überdurchschnittlichen Einnahmen Bayerns (und anderer Zahlerländer) sind vor diesem Hintergrund jedenfalls nur teilweise die finanziellen Früchte der eigenen Arbeit, als die sie in der Regel dargestellt werden, und in erheblichem Maße technisch überzeichnet.

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Oliver Rottmann ist Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge.

Bleibt noch die Frage: Werden die Zahlerländer im Länderfinanzausgleich überlastet? Die Antwort lautet klar: Nein! Bezogen auf die Gesamteinnahmen der Zahlerländer wurden 2017 nur 6,5 Prozent als Ausgleichsbeiträge abgeführt. Auch die relative Abschöpfung von zusätzlichen Einnahmen ist tatsächlich viel geringer, als dies gelegentlich suggeriert wird. Denn der Ausgleichsmechanismus schöpft im Wesentlichen Teile des überproportionalen, nicht jedoch des gesamten Einnahmewachstums eines Landes ab. Bereits ein einfaches Rechenbeispiel kann diesen wichtigen Unterschied illustrieren: Wachsen die Einnahmen aller Länder je Einwohner um 100 Euro und die Bayerns um 110 Euro, beträgt die Abschöpfung der Mehreinnahmen Bayerns über alle Ausgleichsstufen hinweg nicht mehr als 7 Euro je Einwohner, die restlichen 103 Euro je Einwohner verbleiben im Freistaat. Abschöpfungsquoten jenseits von 90 Prozent – wie gelegentlich behauptet – sind hingegen nur unter der spezifischen theoretischen Annahme möglich, dass die Einnahmen aller anderen Länder nicht ebenfalls mitwachsen, und bleiben auch mit Blick in die Vergangenheit im Bereich des Theoretischen. Eine Versachlichung der Debatte und ein Ansetzen an den tatsächlichen Problemursachen sind daher geboten.