Unterkunft für Geflüchtete: In Kreuzberg wird es eng

Der Bezirk plant eine Unterkunft für 450 Geflüchtete in der Ratiborstraße – sie könnte dort alteingesessenes Kleingewerbe verdrängen.

Wollen auch bleiben: Metallbauer in der „Ratibor 14“ Foto: Wolfgang Borrs

Morgens um neun scheint die Welt noch in Ordnung auf dem Kreuzberger „Areal Ratiborstraße 14“. In der Schlosserei von Alexander Fiedler fliegen die Funken des Schweißbrenners, nebenan kehrt Tischlerin Miriam Demmelhuber Sägespäne zusammen. In der Mitte ihrer Werkstatt steht ihr neuestes Produkt, ein Schrank aus alten Glasfenstern. „Den habe ich für eine Frau aus dem Kiez gebaut“, erzählt die zierliche Mittdreißigerin.

Doch leicht geht die Arbeit hier gerade keinem von der Hand: Seit einigen Wochen wissen die rund 20 Pächter, dass ihr Gelände auf der „MUF-Liste“ steht – also als Standort für eine „Modulare Flüchtlingsunterkunft“ gehandelt wird. „Wir haben auf keinen Fall etwas gegen Flüchtlinge – im Gegenteil“, betont Demmelhuber. „Wir sind offen für Veränderung, wir wollen auch gerne zusammenrücken. Aber wir wollen nicht selbst vertrieben werden.“

Seit 2013 gehört das drei Hektar große Gelände, auf dem sich auch der Park am Landwehrkanal sowie eine städtische Kita befinden, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) – die ihre Grundstücke gerne meistbietend verkauft. In der Ratiborstraße 14 enden die Pachtverträge 2020 – und nicht weniger als 80 Arbeitsplätze hängen daran, sagt Moritz Metz, Sprecher der Initiative, zu der sich die Handwerksbetriebe und Gewerbetreibenden, der Wagenplatz „L@s Fabulos@s“, der Biergarten „Jockel“ und die ebenfalls betroffene Waldorf-Kita „Sonnenkäferhaus“ zusammengetan haben.

Mitte Februar hatte die Sozialverwaltung eine Liste mit 25 Adressen veröffentlicht, zwei pro Bezirk beziehungsweise drei für Neukölln. Die geplanten Wohnhäuser in Platten- oder Leichtbauweise für in der Regel 400 bis 450 Menschen sind zunächst vorgesehen für die rund 22.000 Geflüchteten, die derzeit noch in Not- und Gemeinschaftsunterkünften leben. Später sollen sie auch anderen Bevölkerungsgruppen zur Verfügung stehen, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind.

Als vor zwei Jahren die ersten MUFs geplant wurden – zehn sind inzwischen fertig, weitere 19 im Bau –, gab es viel Ärger um die Standorte. Diesmal lief die Sache recht geräuschlos ab: Der Rat der Bürgermeister habe der Liste am 15. Februar ohne Gegenstimmen bei einer Enthaltung zugestimmt, sagt die Sprecherin von Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD), Eva Henkel. Bis vorigen Freitag hätten die Bezirke zudem Zeit für Einwände beim Finanzsenator gehabt, man habe aber „überwiegend konstruktive Anmerkungen bekommen“. Am 27. März will der Senat endgültig entscheiden.

„Kein Platz mehr für uns“

Dass der grüne Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg den Standort selbst vorgeschlagen hat, sorgt auf dem Areal Ratiborstraße 14 für – gelinde gesagt – Ratlosigkeit. „Wenn hier 450 Leute herkommen, ist für uns doch kein Platz mehr“, sagt Bernd Ballhause. Seit 1997 betreibt er die Max Kruppa GmbH, einen Metallbaubetrieb mit zwölf Mitarbeitern. „Noch gibt es im Kiez die berühmte Berliner Mischung aus Wohnung und Gewerbe. Aber wenn es zu eng wird, klappt das nicht mehr“, fürchtet er. So sei es in der Wrangel- und der Simon-Dach-Straße gewesen: „Das Gewerbe ist weg, da gibt es nur noch Cafés.“

Von der Politik fühlt sich Ballhause im Stich gelassen. So habe ihnen Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) zwar im November von den MUF-Plänen erzählt. „Aber da klang es so, dass er das irgendwie abbügeln wird.“

Tatsächlich ist der Bezirk in einer Zwickmühle. Bei der ersten Bau-Runde für die Flüchtlingsunterkünfte blieb Friedrichshain-Kreuzberg mangels geeigneter Freiflächen außen vor – der Bezirk hat bislang keine einzige MUF und auch relativ wenige Gemeinschaftsunterkünfte. 2017 lebten im Bezirk rund 1.100 Geflüchtete, in Lichtenberg, dem Spitzenreiter, waren es knapp 4.000, das Schlusslicht Neukölln hatte 800. Jetzt war Friedrichshain-Kreuzberg in der Pflicht, zu „liefern“.

Zumal sich Zurückhaltung bei diesem Thema nur schlecht mit dem grün-alternativen Selbstbild verträgt. „Der Bezirk steht ja dafür, dass er sich für Geflüchtete einsetzt“, sagt Baustadtrat Schmidt. Daher habe man bei der Finanzverwaltung sogar einen dritten MUF-Standort vorgeschlagen: in der Friedrichshainer Palisadenstraße.

Alle an einen Tisch

Andererseits will der Bezirk die Ratiborstraße als Gewerbestandort erhalten. Schmidt möchte deshalb alle Beteiligten an einen Tisch setzen, um ein integratives Konzept zu erarbeiten, das Gewerbe und Wohnen gleichermaßen ermöglicht. Wohnen für Geflüchtete sei dort zwar möglich, sagt er, „aber ich sehe nicht, dass dort ein großer MUF-Standort entstehen kann, wenn es keine Verdrängung geben soll“. So weit werde es auch nicht kommen, beschwichtigt Finanz-Sprecherin Henkel. „Nach meinen Informationen wird niemand vertrieben.“

Wie passt das alles zusammen? Beim Rundgang über das Gelände wird schnell klar, dass hier unmöglich 450 Menschen Platz finden können, ohne die vorhandenen Gebäude und Strukturen zu zerstören und alles zuzubetonieren. „Natürlich könnte ich etwas Platz abgeben“, sagt Orhan Kalayci, der für seinen Biergarten Jockel rund 4.000 Quadratmeter gepachtet hat.

Auch auf dem „Werkhof“, wo Tischlerin Demmelhuber arbeitet, gibt es noch freie Fläche. Die vielen Parkplätze hier und dort müssten auch nicht unbedingt sein, gibt Sprecher Metz zu. „Und wir wissen auch, dass Wohnungen dringend gebraucht werden“, sagt Klaus Eling, Leiter der Kita Sonnenkäferhaus, die einen Garten auf dem Areal betreibt, ohne den sie ihre Betriebserlaubnis verlieren würde.

Dass es enger wird, ist also allen klar. Aber man könne ja auch etwas bieten, sagt Metz: eine nette Nachbarschaft, vielleicht ein paar Lehrstellen für die Geflüchteten. Dennoch werden die Pächter den Verdacht nicht los, dass hier mal wieder Politik vom Reißbrett betrieben wurde. „Auf der Karte sieht das hier vielleicht leer aus“, sagt Marita vom Bauwagenplatz. „Aber das ist es nicht.“

Gut, dass an diesem Montag endlich der Baustadtrat und die Bezirksbürgermeisterin vorbeikommen und sich die Sache ansehen wollen.

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