Urteil zu Kita-Rechtsanspruch: Falsche Freudensprünge

Senat und Bezirke jubeln über ein Urteil, das sie zwingt, schnell Kitaplätze bereitzustellen. Doch wo sollen die herkommen?

Große Sprünge muss das Land machen, um den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen Foto: Jörg Carstensen/dpa

Das wird jetzt spannend: Allem ErzieherInnenmangel zum Trotz müssen binnen fünf Wochen Kitaplätze für zwei Kinder aus Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg her, und zwar maximal 30 Minuten Fahrtzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln von deren Zuhause entfernt. Mit anderen Worten: Der bestehende Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für über Einjährige gilt tatsächlich, hat das Berliner Oberverwaltungsgericht Ende vergangener Woche entschieden und damit die gängige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts kassiert.

Dort hatte man bei solchen Klagen stets argumentiert, der gravierende Fachkräftemangel bei ErzieherInnen sei quasi höhere Gewalt. Nun hat Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) fünf Wochen Zeit, um den Rechtsanspruch Realität werden zu lassen.

Dabei müssen einen die Reaktionen von Bezirken und Senat am Wochenende misstrauisch werden lassen. Wenn sich Bezirke und die verantwortliche Senatsverwaltung einhellig über ein Urteil freuen, das beide unter Druck setzt, dann geht es oft darum, dem anderen die Schuld an der Misere zuzuschieben.

Tatsächlich entspann sich das übliche Verantwortlichkeits­pingpong: Die Bezirke müssten nun alles tun, um freie Plätze zu vermitteln, mahnte eine Sprecherin von Senatorin Scheeres. Dabei geht es der Senatsverwaltung immer auch um Tausende Plätze, für die die Kitaträger zwar eine Betriebserlaubnis haben, die sie aber nicht anbieten: vor allem, weil ihnen ErzieherInnen fehlen. Trotz Verdopplung der Ausbildungsplatzkapazitäten, trotz massiv geförderten Quereinstiegs.

Der Rechtsanspruch Seit dem 1. August 2013 gilt der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz auch für Ein- bis Dreijährige, zunächst nur für fünf Stunden Betreuung täglich. Doch der rot-rot-grüne Senat hat das zum 1. Januar auf sieben Stunden erweitert. Dieser Rechtsanspruch ist vor dem Verwaltungsgericht einklagbar. Bisher wurde den KlägerInnen aber lediglich Schadenersatz für eine private Kinderbetreuung zugesprochen, wenn das Land dem Versorgungsanspruch nicht nachkam.

Der Mangel Mindestens 25.000 Kita-Plätze muss das Land bis 2021 schaffen. Zum Vergleich: In den vergangenen fünf Jahren kamen etwa 35.000 Plätze dazu. 2.500 AbsolventInnen verließen die staatlichen und privaten Fachschulen für die Erzieherausbildung im vergangenen Jahr. (taz)

Die Bezirke sagen indes: Sorry, wir würden ja gern mehr Kitaplätze vermitteln können – immerhin kriegen wir den geballten Frust der Eltern auf den Jugendämtern zuerst ab. Aber dann müsse das Land gefälligst zusehen, dass die Fachkräfte irgendwo herkommen. Sonst könnten die Träger ihre Kapazitäten eben leider auch nicht weiter ausbauen.

Leidige Zuständigkeitsdebatte

Unglücklicherweise lenken diese leidigen Zuständigkeitsdebatten davon ab, dass man jetzt vor allem handeln muss. Mehrere Kitaplatzklagen erreichten das Verwaltungsgericht jede Woche, sagte ein Gerichtssprecher kürzlich. Ziehen die alle weiter vors Oberverwaltungsgericht, könnte es bald mehr als zwei Fälle geben, um die sich Scheeres’ Verwaltung kümmern darf.

Senat und Bezirk schieben sich gegenseitig die Schuld zu

Wahrscheinlich ist, dass die Kitas in Folge des Urteils ihre Gruppen vergrößern müssen. Das Versprechen nach einer besseren Betreuung gerade bei den Kleinsten, also in den Krippengruppen für die unter Dreijährigen, das Scheeres vor zwei Jahren gegeben hatte, wird sie wohl nicht halten können.

Damit ist durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts auch klar: Die vor zwei Jahren, damals noch unter Rot-Schwarz, im Kita-Gesetz festgeschriebene Verbesserung des Betreuungsschlüssels war politisches Wunschdenken. Bereits bis Mitte 2109 sollte eine ErzieherIn im Schnitt eigentlich ein Kind weniger zu betreuen haben. Diese Idee, mit der die SPD auch die Beitragsfreiheit rechtfertigte („Gebührenfreiheit und mehr Qualität, das geht beides!“), trifft nun auf die Realität. Dabei wird es den Eltern – zu Recht – erst einmal egal sein, ob in der Kita die Gruppen ein bisschen größer ausfallen: Hauptsache, es gibt einen Platz, wenn das Ende der Elternzeit drohend näher rückt.

Auf Senatorin Scheeres kommt indes viel Arbeit zu: Sie muss dafür sorgen, dass die Kitaträger QuereinsteigerInnen positiver gegenüberstehen. Bis zu einem Drittel der Stellen kann eine Kita so besetzen. Die meisten nutzen das bei Weitem nicht aus, weil sie es für pädagogisch nicht sinnvoll halten.

Scheeres muss zudem Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) dazu bringen, sich in der kommenden Tarifrunde Anfang 2019 für deutlich verbesserte Gehälter bei den ErzieherInnen in den landeseigenen Kitas einzusetzen; die privaten Träger orientieren sich an diesen Tarifabschlüssen. Eine Gehaltslücke von immer noch einigen Hundert Euro im Vergleich zu anderen Bundesländern kann Berlin sich nicht mehr leisten – jetzt, da der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz gilt.

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